1914-2014: Der Vatikan als erfolgloser Vermittler

Mit stiller Diplomatie, Bemühungen um Waffenstillstände und 1917 einer großen Friedensinitiative hat sich der Vatikan während des Ersten Weltkrieges bemüht, dem weltweiten Kampfgeschehen ein Ende zu setzen - vergeblich.

Schon Papst Leo XIII. (1878-1903) hatte mit zunehmender Besorgnis das Misstrauen unter den Großmächten und die wachsenden Rüstungsausgaben verfolgt. Sein Nachfolger Pius X. (1903-1914) musste zusehen, wie sich der politische Himmel über den Völkern immer mehr verdüsterte und sah den Weltkrieg lange kommen.

Überliefert sind den Erinnerungen seines Staatssekretärs Merry del Val zufolge mehrere Bemerkungen wie „Che viene el guerrone“ (Es kommt der große Krieg) oder „Eminenz, es steht schlecht, wir kommen über das Jahr 1914 nicht hinaus!“ 1913 sagte der Papst zum scheidenden Gesandten beim Heiligen Stuhl, Bruno Chaves: „Der Balkan ist nur der Anfang eines großen Weltenbrandes, den ich nicht hinanthalten, noch ihm Widerstand leisten kann!“

Papst Pius X.

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Papst Pius X.

Pius X.: Tod kurz nach Kriegsbeginn

Vom Kriegsausbruch Ende Juli 1914 war er tief erschüttert, wie er es in einem Apostolischen Schreiben am 2. August 1914 an die Katholiken weltweit betonte und darin auf Jesus Christus als Friedensfürst und Vermittler zwischen Gott und den Menschen hinwies. Der Kriegsausbruch setzte dem Kirchenoberhaupt auch gesundheitlich stark zu. Er starb am 10. August 1914 nach kurzer Krankheit.

Am 4. September 1914 wurde der 60-jährige Erzbischof von Bologna, Giacomo della Chiesa, zum Papst gewählt. Das neue Kirchenoberhaupt, das den Namen Benedikt XV. annahm, zeichnete sich durch seine Fähigkeit zu vorsichtiger, behutsamer und diplomatischer Handlungsweise, sowie durch sein Streben nach Ausgleich von Gegensätzen aus. Es handelte sich um Eigenschaften, die man bei Kriegsereignissen von einem Papst erwartete.

Ungehörte Friedensappelle

Vor dem Hintergrund des Krieges verzichtete Benedikt XV. auf größere Feierlichkeiten zur Amtseinführung. So fand seine Krönung am 6. September 1914 nicht in der Peterskirche, sondern in der Sixtinischen Kapelle statt. Schon am 8. September erfolgte sein erster Aufruf an alle Katholiken der Erde, sich für ein Ende des Blutvergießens einzusetzen. Noch deutlicher wurde er in seiner ersten Enzyklika vom 1. November mit seiner Klage über das Kriegsgeschehen und einem Gebetsaufruf.

Den Weltkrieg selbst bezeichnete der Papst als „Selbstmord der europäischen Nationen“. Er sah es als seine Pflicht an, so eindringlich wie möglich die allen Völkern gemeinsamen christlichen Ideale, die Gebote der Liebe, des Friedens und der Versöhnung einzuschärfen und Schritte zur Wiederherstellung des Friedens zu unternehmen.

„Le Pape Boche“ und „Franzosenpapst“

Benedikt XV. hielt sich streng an das Prinzip der Überparteilichkeit, auch wenn er während des Krieges wiederholt von den gegnerischen Parteien beschuldigt wurde, er unterstütze die Gegenseite. So nannte ihn der spätere französische Premierminister Georges Clemenceau „Le Pape Boche“, unter Verwendung des französischen Schimpfwortes für die Deutschen.

Der deutsche Generalstabschef Erich von Ludendorff sprach dagegen vom „Franzosenpapst“. Der Papst zeigte sich unbeeindruckt, und hielt auch nach dem Kriegseintritt Italiens im Jahr 1915 an seiner Überparteilichkeit fest. „Menschenurteile bekümmern Uns nicht, die Wahrheit wird sich eines Tages durchringen“, sagte er.

Um einen Waffenstillstand zu Weihnachten 1914 zu erreichen, richtete Benedikt XV. eine entsprechende Anfrage an das Oberkommando der Donaumonarchie. Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf riet jedoch ab, weil er glaubte, dass sich die Russen nicht daran halten würden.

Papst Benedikt XV.

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Papst Benedikt XV.

Päpstliche Vermittlungsversuche

Als sich Anfang 1915 der Kriegseintritt Italiens abzeichnete, versuchte der Papst, zwischen Wien und Rom zu vermitteln. Benedikt XV. empfahl Österreich-Ungarn, bezüglich Gebietsabtretungen an Italien gesprächsbereit zu sein. Als Emissär fungierte Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII.. Pacellis Gespräche mit Kaiser Franz Joseph bleiben erfolglos.

Der Monarch war gegen Gebietsabtretungen, insbesondere im Isonzo-Gebiet, weil dadurch die Staatsgrenze zu nahe an die bedeutende österreichisch-ungarische Hafenstadt Triest heranrücken würde. Am 23. Mai 1915 erfolgte die Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn.

Der Papst als Friedensbote

Im Dezember 1916 versuchten die Mittelmächte den Papst für die Unterstützung eines Friedensangebots an die Entente zu gewinnen. Benedikt XV. schwieg jedoch dazu, was ihm von Berlin und Wien sehr übel genommen wurde. Großbritannien ließ damals verlauten, dass jeder Schritt des Papstes zu einem Friedensschluss sehr negativ aufgenommen würde. Die Initiative fiel nämlich in eine Zeit, in der sich die Entente in der Defensive befand.

Benedikt und sein Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri fühlten bei den Streitparteien bezüglich der Friedensbedingungen vor. Berlin lehnte entsprechende Auskünfte zunächst ab. Anfang 1917 gab es einen Meinungsaustausch zwischen dem Vatikan und Berlin über eine mögliche deutsch-belgische Verständigung, doch blieb dieser eine Episode. Besonders London hätte an einer Räumung Belgiens durch die Deutschen größtes Interesse gehabt.

1917: Erste Hoffnungszeichen

Ende Mai 1917 erhielten die Vermittlungsbemühungen des Vatikan schließlich neuen Schwung, als Eugenio Pacelli zum Nuntius in München bestellt wurde. Er reiste Ende Juni nach Berlin, um zunächst mit Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg zu verhandeln, anschließend begab er sich in das Große Hauptquartier nach Bad Kreuznach, um Wilhelm II. ein Handschreiben des Papstes zu überreichen.

Bethmann-Hollweg antwortete „vorsichtig positiv“ auf die päpstlichen Fragen zu deutschen Kriegszielen und Friedensbedingungen. So sei Berlin für Rüstungsbeschränkungen, Schiedsgerichte zur Verhütung von Konflikten, eine Unabhängigkeit Belgiens und für Grenzberichtigungen in Elsass-Lothringen.

Pacelli zeigte sich erfreut über die Antwort und glaubte, die Möglichkeit eines Friedens zu sehen. Er fuhr nach München zurück, wo er am 30. Juni den österreichischen Kaiser Karl traf. Seit Mai 1917 hatten der Papst und Gasparri versucht, auch von Österreich konkrete Unterlagen für eine Friedensvermittlung zu erhalten. Vatikanische Kreise erhofften von Österreich noch immer die Abtretung des Trentino an Italien im Interesse eines Friedens zwischen Wien und Rom.

Soldatenfriedhof in Verdun, Frankreich

APA/EPA/Nicolas Bouvy

Soldatenfriedhof in Verdun

Pacelli besuchte am 24. Juli 1917 neuerlich Berlin und unterbreitete ein echtes Vermittlungsangebot. Sollte das Deutsche Reich die Bedingungen annehmen, würde der Papst das Friedensangebot unter strengster Diskretion gegenüber Deutschland allen kriegsführenden Mächten zuleiten. Allerdings hatte sich die Haltung Berlins nach dem Rücktritt Bethmann-Hollwegs im Juni verändert, Zusagen über Belgien und Elsass-Lothringen wurden auf Druck der Armeeführung erheblich eingeschränkt.

Eine Friedensnote aus dem Vatikan

Kardinalstaatssekretär Gasparri veröffentlichte schließlich am 1. August 1917 im Auftrag des Papstes eine sechs Punkte umfassende Friedensnote. Für Österreich war insbesondere Punkt fünf wichtig: Italien und Österreich, sowie Deutschland und Frankreich sollten ihre gegenseitigen Gebietsfragen in versöhnlichem Geist prüfen und dabei die Wünsche der Völker nach Maßgabe des Gerechten und Möglichen berücksichtigen. Die anderen Punkte betrafen die gleichzeitige und gegenseitige Abrüstung nach Maßgabe der Erfordernisse zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in den Staaten.

Berlin und Wien wollten übereinstimmend antworten, aber zunächst die Reaktion der Gegner abwarten. Letztlich ignorierten beide Seiten die päpstlichen Vorschläge. Alle Großmächte waren durch Rücksichtnahme auf ihre Bundesgenossen in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt.

Ende August 1917 erklärte Kaiser Karl gegenüber dem Nuntius in Wien, Teodoro Valfre de Bonzo, dass er auf die Anregungen des Papstes bezüglich des Trentino unmöglich eingehen könne. Laut zugänglichen Geheimakten scheiterte die päpstliche Friedensvermittlung, weil weder die protestantische Führung in Berlin noch die alliierten Regierungen einen vom Papst vermittelten Frieden wollten. Italien hatte sich schon im Londoner Vertrag 1915 von seinen neuen Verbündeten den Ausschluss jeder Vertretung des Heiligen Stuhles bei künftigen Friedensverhandlungen verbürgen lassen, aus Furcht vor einer Wiederherstellung des Kirchenstaates.

Vom Vermittler zum Helfer

Die Unvereinbarkeit der beiderseitigen Kriegsziele trat nun immer schroffer zutage. Der Papst litt schwer unter dem Scheitern seiner Mission und konzentrierte sich auf die Milderung der durch den Krieg verursachten Leiden. So wurden viele Verwundete durch päpstliche Vermittlung ausgetauscht und in neutrale Staaten gebracht. Es gab Unterstützung durch Lieferungen von Lebensmitteln, medizinischem und Verbandmaterial, einen Suchdienst für Vermisste und Vertriebene. Romain Rolland nannte den Vatikan im Ersten Weltkrieg zurecht ein „zweites Rotes Kreuz“.

Relativ erfolgreich war auch die stille Diplomatie des Vatikan zur Rücknahme von Todesurteilen durch Österreich. Eine im Juli 1917 von Kaiser Karl erlassene Amnestie ist zum Teil auf Intervention des Heiligen Stuhl zurückzuführen.

Kritik an Pariser Verträgen und Völkerbund

Nach dem Krieg forderte der Papst, der die Pariser Friedensverträge als „rachsüchtiges Diktat“ brandmarkte, Gerechtigkeit für die besiegten Mittelmächte, hatte aber auch hier keinen Erfolg. In der Enzyklika „Pacem Dei munus“ vom 23. Mai 1920 distanzierte sich Benedikt XV. von den Pariser Friedensverträgen. Auch der Völkerbund, dem die besiegten Mächte zunächst nicht angehörten, wertete der Vatikan als „einseitiges Instrument der Sieger“. Wie die USA hielt sich der Vatikan davon abseits.

Auf internationaler Ebene ging der Heilige Stuhl gestärkt aus dem Krieg hervor, viele der alten und neuen Staaten suchten diplomatische Kontakte mit dem Vatikan. So nahmen auch Frankreich und der Heilige Stuhl wieder diplomatische Beziehungen auf und mit Italien wurde die Römische Frage durch die Lateranverträge von 1929 beigelegt.

religion.ORF.at/APA