Vom Frühlingsfest zum Frühlingsfest

Im Interview mit religion.ORF.at erklärt der Religionswissenschaftler Hans Gerald Hödl den Zusammenhang von religiösen Festen und dem Zyklus der Jahreszeiten und zeichnet dabei die Entwicklung des Osterfests nach.

religion.ORF.at: Herr Professor Hödl, wie kommt es, dass in so vielen religiösen Traditionen große Feste in den Frühling fallen?

Hans Gerald Hödl: Es handelt sich bei all diesen Frühlingsriten um kalendarische Riten. Und bei diesen kalendarischen Riten gibt es zwei Grundtypen: Die einen sind auf den Jahreskreislauf bezogen und die anderen sind Erinnerungsriten, die an bestimmte Ereignisse in der jeweiligen Heilsgeschichte erinnern. Religionsgeschichtlich ist es meist so, dass kalendarische Riten, die auf die Jahreszeit bezogen sind, von diesen Erinnerungsriten überlagert werden.

Woher kommen diese jahreszeitlichen Riten?

Sie beziehen sich immer auf die jeweilige sozio-ökonomische Umwelt und im Besonderen auf die agrarische Situation der jeweiligen Kultur. Das heißt, jahreszeitliche Riten stehen bei Völkern, die hauptsächlich Tiere halten, meistens in Verbindung mit dem Weidewechsel, bei solchen die Ackerbau betreiben, in Verbindung mit Anbau und Ernte.

Zum Beispiel?

Bei den Inselkelten zum Beispiel sieht man das ganz deutlich: Da gibt es einen Ritus für den Zeitpunkt, an dem die Tiere aus dem Stall auf die Weide gebracht werden – Beltaine, May-Day oder Walpurgisnacht – und einen, an dem sie von der Weide wieder in den Stall zurückgebracht werden – Halloween. Bei Ackerbaukulturen ist es etwas anders gelagert. Da beziehen sich die Riten auf den für das jeweilige Getreide relevanten Zyklus der Jahreszeiten. Man findet zum Beispiel in verschiedenen Kulturen, die Reis anbauen, durchaus ähnliche Rituale, die sich auf den Anbau- und Erntezyklus der Reispflanzen beziehen.

Grün bemalter indischer Mann umgeben von Massen, die mit Farbpulver um sich werfen

Reuters/Jitendra Prakash

Jahreszeitliche Riten sind oft mit einer Art Statusumkehr, also mit der Aufhebung sozialer Grenzen, verbunden - so wie beim nordindischen Holi-Fest

Welche Funktion haben solche Riten?

Eine der grundlegenden Funktionen von Festen und Riten ist das Ordnen der Zeit. Sie sind oft auch mit einer Statusumkehr verbunden. Beim indischen Holi-Fest ist das ganz typisch – die Grenzen der Kasten werden aufgehoben. Oder es öffnen sich die Pforten der Unterwelt, die Sklaven sind die Herren, usw. Das ist typisch für diese Feste – die säuberliche Trennung der Sphären ist für kurze Zeit hinfällig, die Ordnung aufgehoben.

Was bedeutet das in Bezug auf das jüdische Pessach-Fest, auf das sich ja auch das christlichen Ostern bezieht?

Beim Pessach-Fest ist das Interessante, dass es eigentlich aus zwei verschiedenen Festen entstanden ist, nämlich aus jeweils einem einer Viehkultur und einem einer Ackerbaukultur. Das eine war ein Fest der nomadischen Viehhalter, bei dem ein Lamm geschlachtet wurde und das Blut dieses Opferlamms zur Abwehr böser Geister an die Zeltpfahle gestrichen wurde. Das andere ist das Fest der ungesäuerten Brote, das zur Zeit der Gerstenernte gefeiert wurde.

Kurzbiografie

Hans Gerald Hödl (geboren 1959) ist Professor für Religionswissenschaft an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen afroamerikanische Religionen, westliche Esoterik, Leben und Denken von F. W. Nietzsche, Religionsästhetik, Religion & Film, Religionsphilosophie sowie Ritualtheorien.

Wie wurde daraus das heutige Pessach?

In der Kultreform unter König Joschia sind die beiden Feste zusammengelegt worden. Joschia hat damals auch das Privatopfer abgeschafft und den Opferkult am Tempel zentralisiert. Dadurch wurde Pessach zum einen zu einem Wallfahrtsfest und zum anderen – für diejenigen, denen die Wallfahrt nicht möglich war – zu einem häuslichen Fest. Die Erinnerung an den Auszug aus Ägypten wurde zum zentralen Motiv. Nach der Zerstörung des zweiten Tempels wurde der häusliche Aspekt noch wichtiger, dadurch wurden die ungesäuerten Brote zentral. Das Opfer fiel weg, daran erinnert nur mehr ein Knochen mit einem Fleischrest, der neben anderen Dingen am Tisch des Pessachmahls zu finden ist.

Und Ostern?

Ostern ist die christliche Überbietung des jüdischen Pessach-Festes. Das Pessachfest ist ja – ungeachtet seiner Ursprünge – zum zentralen Erlösungsfest des Judentums geworden – also zum Symbol des erlösenden Handelns Gottes an seinem Volk. In der Zeit der römischen Herrschaft war das eng mit einer Heilserwartung verbunden. Und für diejenigen, die geglaubt haben, dass Jesus der Messias und auferstanden ist, war das Zusammenfallen von dessen Leiden und Tod mit dem Pessachfest dann natürlich eine Bestätigung.

Dass Ostern heute mit einer derart reichen Frühlingssymbolik verbunden ist, ist also ein religionsgeschichtlicher Zufall? Schließlich hätte Jesus ja auch zu einer anderen Jahreszeit nach Jerusalem kommen können...

Grundsätzlich stimmen die biblischen Erzählungen schon darin überein, dass die Passion und die Auferstehung Jesu zu Pessach stattgefunden haben. Das wird meines Wissens auch von historisch-kritischen Forschern nicht hinterfragt. Bei den Synoptikern ist das „letzte Abendmahl“ ein Pessachmahl, bei Johannes stirbt Jesus zur Zeit, da die Lämmer geschlachtet werden, was die theologische Aussage, Jesus sei das wahre Opferlamm, stärkt. Dass es heute immer mehr ein Frühlingsfest ist, liegt wohl daran, dass die zentrale religiöse Botschaft, die vielen Menschen immer weniger wichtig oder gar nicht mehr bekannt ist, zunehmend von anderen Symboliken überlagert wird.

Also doch wieder ein Frühlingsfest?

Es finden komplexe Transformations- und Überlagerungsprozesse statt. Aus einem ursprünglich landwirtschaftlich geprägten Frühlingsfest wird die Erinnerung an ein zentrales Ereignis in der jüdischen Geschichte. Diese rituelle Gedächtnisfeier wird wiederum überlagert durch die Vergegenwärtigung des zentralen Heilsereignisses des Christentums. Mit der Zeit und mit der Ausbreitung des Christentums wird diese durch lokale Traditionen so eingefärbt, dass am Ende wieder ein Frühlingsfest übrig bleibt.

Reispflanzen vor blauem Himmel

Reuters/Baz Ratner

Der Anbauzyklus von Reis und anderen Getreidesorten ist die Wurzel vieler religiöser Riten

Das heißt, die größten religiösen Feste, die heute noch gefeiert werden, kommen im Prinzip alle aus einfachen Agrarkulturen?

Natürlich. Man sieht das zum Beispiel auch sehr deutlich im Vergleich der geografischen und klimatischen Regionen der Welt. Dort, wo es harte Winter gibt, sind zum Beispiel Austreibungen von Dämonen, die den Winter beherrscht haben, an der Tagesordnung – wie es beispielsweise in Alpentälern der Brauch ist.

Gibt es auch Gegenbeispiele in der Religionsgeschichte?

Im Islam sind die großen Festtage völlig von den Jahreszeiten abgekoppelt. Das liegt daran, dass der Islam bekanntlich nicht nach einem Sonnenkalender rechnet, sondern strikt nach einem Mondkalender. Und daher wandern die Festtage mit der Zeit durch die Jahreszeiten und sind – nach unserem Sonnenkalender – immer anders gelagert. Damit wird eine Distanz zwischen dem auf die religiösen Ereignisse bezogenen Gedächtniskalender zum natürlichen Jahreskreislauf geschaffen, die etwa im Christentum nicht in dieser Art gegeben ist.

Wie stellt sich das in Kulturen dar, die aus Regionen kommen, in denen es keinen richtigen Jahreszeitenzyklus gibt – zum Beispiel bei den westafrikanischen Religionen, die Sie ja intensiv beforscht haben?

Mir sind hier keine echten jahreszeitlichen Riten bekannt. Es gibt zwar wiederkehrende Feste, aber die beziehen sich weniger auf Jahreszeiten als auf zentrale Gottheiten. Die Yoruba in Oyo zum Beispiel feiern jedes Jahr zu Beginn einer Regenzeit ein Fest für den Gott Shango, der für den Blitz steht. Aber das bezieht sich doch eher auf die Gottheit an sich als auf die Landwirtschaft.

Das Interview führte Michael Weiß, religion.ORF.at

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