Historikerin untersuchte Exorzismus-Fall Michel

1976 stirbt die Studentin Anneliese Michel nach einem Exorzismus. Die erste wissenschaftliche Aufarbeitung zeigt: Bis heute dient der Fall manchen als Beleg für die Existenz des Teufels.

Eine epilepsiekranke Studentin, tief religiös und felsenfest überzeugt, von Dämonen besessen zu sein. Eltern, die von Medizinern keine Hilfe mehr erwarten. Und ein Bischof, der einen Exorzismus genehmigt, also eine Austreibung des Bösen mit Gebeten und Handauflegung. Am Ende ist die 23-jährige Anneliese Michel aus dem fränkischen Klingenberg tot. Der Fall löste harsche Kritik an der katholischen Kirche und eine Debatte über ihre Riten aus. Fast 40 Jahre später ist er nun erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet worden.

Tod durch Unterernährung

Anneliese Michel starb am 1. Juli 1976 an den Folgen extremer Unterernährung, sie wog nur noch 31 Kilogramm. Während der Monate, in denen der Salvatorianerpriester Arnold Renz und der Pfarrer Ernst Alt 67 Mal den Exorzismus vollzogen, hatte sie zunehmend das Essen verweigert. Ihre strenggläubige Familie und die Geistlichen, die sie abgeschottet und keinen Arzt gerufen hatten, wurden wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Die Doktorarbeit der Würzburger Historikerin Petra Ney-Hellmuth zeigt, wie verschieden die Reaktionen ausfielen. Während Kirchenkritiker das Vorgehen als „mittelalterlich“ werteten, sahen traditionalistische katholische Kreise den Fall als Beleg für Besessenheit und die Realexistenz des Teufels. Sie instrumentalisierten ihn als Argument gegen die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Noch heute kursieren die Tonbandaufnahmen der „dämonischen Botschaften“ aus dem Mund der Studentin im Internet. „Das spielt sich überwiegend in einer Art Suböffentlichkeit ab“, sagt Ney-Hellmuth.

Sie stützt sich auf bislang gesperrte Akten aus dem Würzburger Diözesanarchiv, darunter eine Pressedokumentation, interne Unterlagen sowie Briefe an Bischof Josef Stangl, in denen dieser zum Teil wüst beschimpft wird. Außerdem wertete sie Unterlagen der Staatsanwaltschaft und Gerichtsakten aus.

Frage nach Verantwortung des Bischofs

Offen bleibt dabei die Frage nach der Verantwortung des damaligen Bischofs, der den Exorzismus genehmigte, aber nie selbst vor Ort war. „Die viel diskutierte Frage, ob Bischof Stangl sich nicht intensiver und initiativer um Verlauf, Erfolg oder Misserfolg des Exorzismus hätte kümmern müssen, ist auch heute nicht eindeutig zu beantworten“, sagt Ney-Hellmuth. „Die Echtheit der persönlichen Betroffenheit Stangls steht jedoch zweifelsfrei fest.“

Die konservativ-religiöse Familie Michel war regelmäßig in den nicht anerkannten Wallfahrtsort San Damiano gepilgert. Anneliese litt über Jahre unter Krampfanfällen und berichtete von „Fratzen“. „Die Diagnose einer Epilepsieerkrankung (...) ist weder von Anneliese noch von ihrem direkten Umfeld jemals akzeptiert worden“, schreibt Ney-Hellmuth. Stattdessen habe die Familie Zuflucht in einer religiösen Deutung der Symptome gesucht - und damit später Annelieses Überzeugung, besessen zu sein, bestärkt. Ein Gutachten sprach von einer schweren Psychose.

Regeln für Exorzismen geändert

Hintergrund der Debatten um die Teufelsaustreibung von Klingenberg war auch das Ringen zwischen reformorientierten und konservativen Kräften innerhalb der Kirche. So wurde zum Beispiel eine Erklärung Stangls scharf kritisiert, weil Konservative sie als Leugnung des Teufels verstanden. In der Folge änderte die Kirche ihre Regeln für Exorzismen.

Welchen Nachhall der Fall auch heute noch findet, zeigen nicht nur verschiedene Filme, sondern auch ein Kriminalfall aus dem vergangenen Jahr. Als ein leerstehendes Klingenberger Sägewerk in Flammen aufging, stellten Boulevardmedien einen Zusammenhang her. Schließlich brach das Feuer am 6.6.2013 aus - mit der Quersumme der Jahreszahl ergibt sich die Zahl 666, Chiffre des Teufels. Manche meinten gar, auf einem Foto einen Geist zu erkennen.

Als Brandstifter wurde letztlich ein junger Feuerwehrmann gefasst. Im Zeugenstand des Prozesses klagte die Besitzerin des Anwesens, eine Verwandte Anneliese Michels, über die Art der Berichterstattung. Auch Petra Ney-Hellmuth erlebte Ähnliches: „Kurz nach diesem Brand hatte ich einen Fachvortrag, bei dem dann auf einmal 150 Leute waren, von denen einige von mir wissen wollten, ob es den Teufel gibt.“

Sebastian Kunigkeit, dpa