Ukraine: Russisch-orthodoxe Kirche verliert an Einfluss

Das Moskauer Patriarchat muss laut einer aktuellen Studie des Kiewer Rasumkow-Zentrums in der Ukraine allem Anschein nach um seinen Einfluss fürchten.

Von jenen 70 Prozent aller Bürger des Landes, die sich im April zum orthodoxen Christentum bekannten, fühlten sich weniger als 25 Prozent der ukrainischen Kirche des Moskauer Patriarchats zugehörig. 2013 waren es noch 27,7 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil der Menschen, die sich zum nicht-kanonischen Kiewer Patriarchat bekennen, von knapp 26 auf knapp 32 Prozent. Unverändert rund 40 Prozent der orthodoxen Christen erklären, sie seien „einfach orthodox“, während die übrigen keine Angaben machten oder eine kleine andere Kirche nannten.

Außer den Umfragen gibt es keine genaue Bezifferung der Gläubigenzahl, weder seitens des Staates noch der Kirchen, da nur die Zahl der Pfarren offiziell registriert ist. Der Studie zufolge bekennen sich 7,8 der 46 Millionen Ukrainer zur mit Rom verbundenen griechisch-katholischen Kirche und je 1,0 Prozent zur römisch-katholischen Kirche und zum Protestantismus.

West-Ost-Gefälle weiter stark

Deutlich zeigen sich allerdings den Ergebnissen zufolge große regionale Unterschiede. Im einst zu Polen und bis zum ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn gehörenden Westen des Landes ist die griechisch-katholische Kirche mit 36,2 Prozent der Gläubigen die größte Einzelkonfession.

Die größte orthodoxe Kirche bringt es hier nur auf einen Anteil von 25,4 Prozent der Westukrainer, wenngleich orthodoxen Christen insgesamt auch hier mit 54 Prozent klar in der Mehrheit sind. Dem Moskauer Patriarchat fühlen sich hier nach 19,8 Prozent im Vorjahr derzeit nur noch 12 Prozent zugehörig, während sich mit 13,4 Prozent deutlich mehr Westukrainer als im Vorjahr (7,1 Prozent) als „einfach orthodox“ bezeichnen. Im Osten des Landes zählt die moskautreue orthodoxe Kirche mit 24,2 Prozent die meisten Gläubigen, gefolgt vom Kiewer Patriarchat mit 17,0 Prozent. Für beide Kirchen ist das ein Plus um jeweils mehrere Prozentpunkte. Rund 28 Prozent bezeichnen sich als „einfach orthodox“. Die Protestanten liegen bei 0,9 Prozent, die römisch-katholische Kirche bei 0,6 Prozent und die griechisch-katholische Kirche ist gar nicht vertreten.

Im Zentrum des Landes um die Hauptstadt Kiew bekennen sich mit 1,5 Prozent vergleichsweise besonders viele zur römisch-katholischen Kirche. Diese Region ist zugleich die Hochburg des orthodoxen Christentums. 79,5 Prozent bekennen sich hier zu ihm. Die meisten Gläubigen zählt hier mit 28,8 Prozent aller Bürger die Kirche des Kiewer Patriarchats (2013: 20,1). Dem Moskauer Patriarchat fühlen sich unverändert 16,4 Prozent zugehörig.

Junge orthodoxe Kirche

Die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats entstand erst 1992. Anlass der Gründung war ein Streit um die Stellung des ehemaligen ukrainischen Exarchats der russisch-orthodoxen Kirche. Ein ukrainisches Landeskonzil bat das Moskauer Patriarchat, nach der Unabhängigkeitserklärung des Landes 1991 der Kirche die Autokephalie (Eigenständigkeit) zu verleihen. Die Kirchenleitung in Moskau lehnte dies jedoch ab und enthob das Oberhaupt der ukrainisch-orthodoxen Kirche, den Kiewer Metropoliten Filaret, seines Amtes und belegte ihn später mit dem strengsten Kirchenbann, dem Anathema. Seit 1995 ist der heute 85-jährige Filaret das Oberhaupt dieser neuen Kirche.

Während der im Februar erfolgreichen „Revolution der Würde“, wie sie Bischöfe nennen, verhielten sich die Kirchen unterschiedlich. Die ukrainischen Bischöfe des Moskauer Patriarchats scheuten lange vor Kritik an Staatspräsident Viktor Janukowitsch zurück, obwohl dieser auf Demonstranten schießen ließ. Erst zwei Tage nach der Flucht des Präsidenten aus Kiew verurteilten sie dessen Taten. Die übrigen Konfessionen unterstützten dagegen monatelang den Bürgerprotest, allen voran das Kiewer Patriarchat und beide katholischen Kirchen.

Trotz mancher Differenzen arbeiteten die Kirchen unter anderem im Gesamt-ukrainischen Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften eng zusammen und riefen etwa mehrmals in gemeinsamen Appellen zum Gewaltverzicht auf.

religion.ORF.at/KAP