Papst in Jerusalem: Zahlreiche interreligiöse Gesten

Papst Franziskus nutzte den dritten und letzten Tag seiner Reise ins „Heilige Land“ für zahlreiche Gesten des interreligiösen Miteinanders. Unter anderem besuchte er den Felsendom, die Klagemauer, das Grab Theodor Herzls und die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem.

Zum Abschluss seiner knapp dreitägigen Pilgerreise ins „Heilige Land“ feierte Franziskus am Montagabend eine Messe im Abendmahlssaal. „Hier, wo Jesus mit den Aposteln das Letzte Abendmahl einnahm, wo er, auferstanden, in ihrer Mitte erschien, wo der Heilige Geist mit Macht auf Maria und die Jünger herabkam, hier ist die Kirche geboren“, sagte der Pontifex.

Das Gebäude aus dem 15. Jahrhundert, in dessen Obergeschoß sich der Abendmahlssaal befindet, ist auch Juden heilig. Denn im Untergeschoß soll sich das Grab des biblischen Königs David befinden. Strenggläubige Juden hatten noch am Samstag dagegen demonstriert, dass der faktisch Israel gehörende Bau den Christen überlassen werden könnte.

Der Messfeier war am dritten und letzten Tag der Papst-Reise ein dichtes Programm mit zahlreichen wichtigen Begegnungen vorausgegangen. Papst Franziskus setzte dabei vor allem interreligiöse Akzente. Für einen Paukenschlag hatte er bereits am Sonntag mit seiner Einladung an Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas und Israels Staatspräsident Schimon Peres zu einem Friedensgebet in den Vatikan gesorgt.

Gegen Gewalt, für gegenseitiges Verstehen

Als erste Station hatte der Papst am Montag den Felsendom besucht, wo er mit dem muslimischen Großmufti von Jerusalem, Muhammad Ahmad Hussein, zusammentraf. „Achten und lieben wir einander als Brüder und Schwestern“, so der Papst bei seiner kurzen Ansprache auf dem Tempelberg. Christen und Muslime müssten lernen, das Leiden des anderen zu verstehen. Er warnte außerdem vor religiös motivierter Gewalt. „Niemand gebrauche den Namen Gottes als Rechtfertigung für Gewalt.“

Papst Franziskus umgeben von Sicherheitskräften vor dem Felsendom

Reuters/Nir Elias

Umringt von Sicherheitskräften besuchte Papst Franziskus den Felsendom

Besinnung auf gemeinsame Wurzeln

Franziskus erinnerte in seiner Rede bei der Begegnung, an der auch der Vorsitzende des Obersten Muslimrates, Ikrima Sabri, teilnahm, an die gemeinsamen Wurzeln von Muslimen, Christen und Juden. Alle drei Religionen verehrten die biblische Gestalt Abraham als „Vater im Glauben“ und großes Vorbild, „wenn auch auf unterschiedliche Weise“, so der Papst.

Der sunnitische Großmufti hatte sich vor gut zwei Jahren harsche Kritik Israels und der Europäischen Union zugezogen, als er einen religiösen Text zitierte, in dem zur Tötung von Juden aufgerufen wird. Der Großmufti wird vom jeweiligen Palästinenser-Präsidenten ernannt.

Zu Beginn des Besuchs besichtigte Franziskus den Felsendom. Das islamische Heiligtum erhebt sich über dem Ort, an dem der biblischen Überlieferung nach das Opfer Abrahams stattfand. Bis zur Zerstörung im Jahr 70 durch die Römer befand sich an dieser Stelle der jüdische Tempel. Der Felsendom diente unter den Kreuzfahrern im Mittelalter zeitweilig als Kirche. Papst Franziskus zog beim Betreten nach islamischer Sitte die Schuhe aus.

Gebet an der Klagemauer

Anschließend begab sich Franziskus an die jüdische Klagemauer, um dort zu beten. Die benachbarten heiligen Stätten sind religiöser Brennpunkt des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern um Jerusalem. Mit ernstem Gesichtsausdruck steckte er dem jüdischen Brauch folgend einen Zettel mit einem Gebet in eine Ritze der Klagemauer. Laut Medienberichten handelte es sich um das „Vater Unser“ in spanischer Sprache.

In einem historischen Moment umarmte Franziskus im Anschluss vor der Klagemauer den argentinischen Rabbiner Abraham Skorka und den Imam Omar Abbud, früherer Generalsekretär des Islamischen Kulturzentrums in Buenos Aires. Die beiden langjährigen Freunde des Papstes begleiten ihn auf seiner Nahost-Reise.

Papst Franziskus an der Klagemauer aus der Vogelperspektive

Reuters/Micky Rosenfeld/Israeli Police/Handout

Papst Franziskus beim Gebet an der Klagemauer

Vor der Klagemauer war Franziskus von jüdischen Spitzenvertretern empfangen worden. Zuvor ließ sich der Papst über die archäologischen Ausgrabungen an der Klagemauer und die Geschichte des Tempelbergs informieren. Auch Franziskus’ Vorgänger Benedikt XVI. und Johannes Paul II. hatten an der Klagemauer gebetet.

Wichtigstes jüdisches Heiligtum

Die Klagemauer in Jerusalem ist die wichtigste religiöse Stätte für Juden. Die Bedeutung leitet sich aus der Nähe zum 70 nach Christus zerstörten Jüdischen Tempel ab. Die Mauer gehört zum westlichen Stützfundament und ist nach allgemeiner Überzeugung der dem Allerheiligsten des zerstörten Tempels nächstgelegene Ort. In die Fugen stecken fromme Juden Zettel mit Wünschen an Gott. Mittlerweile ist auch eine elektronische Übermittlung an die örtlichen Geistlichen möglich.

Die deutsche Bezeichnung Klagemauer entspringt einer falschen Deutung der laut vorgetragenen Gebete frommer Juden. Hebräisch heißt sie „ha Kotel“, die Mauer, im Englischen meist Western Wall, also Westmauer. Sie ist etwa 50 Meter breit und 18 Meter hoch; weitere 18 Meter verbergen sich im Untergrund.

Historische Kranzniederlegung am Herzl-Grab

Als dritten Programmpunkt am Montagvormittag besuchte Papst Franziskus schließlich das Grab des Begründers des modernen Zionismus, Theodor Herzl (1860 - 1904). Im Beisein von Israels Staatspräsident Schimon Peres und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu legte er am Grab Herzls auf dem israelischen Nationalfriedhof auf dem Mount Herzl einen Blumenkranz nieder. Es war das erste Mal, dass ein Papst Herzls Grab aufsuchte.

Herzl, der aus Budapest stammte und in Wien lebte, war Gründer des politischen Zionismus. Seine sterbliche Hülle wurde 1949 vom Döblinger Friedhof nach Jerusalem überführt. Der Publizist und Journalist war Vordenker eines eigenen Staates für die Juden. Sein 1896 veröffentlichtes Werk „Der Judenstaat“ gilt als diesbezügliches Grundsatzwerk. In palästinensischen Kreisen war der Papst-Besuch am Herzl-Grab auf Kritik gestoßen. Zuvor hatte der Papst den wegen Aufrufen zur Gewalt umstrittenen Großmufti von Jerusalem getroffen, was in Israel missfiel.

Gebet für Terroropfer

Außerplanmäßig ging der Papst danach auch zu dem Denkmal für Terroropfer, das in der Nähe des Herzl-Bergs liegt. Mit der gleichen Geste wie an der israelischen Trennmauer in Bethlehem und an der Klagemauer berührte Franziskus mit seiner rechten Hand und mit geneigtem Haupt die Wand aus hellem Jerusalem-Stein, in die 78 schwarze Tafeln mit den Namen der Toten eingelassen sind. Er verurteilte „Terror“ als das „absolute Böse“, er „kommt vom Bösen und verursacht Böses“.

Franziskus nahm die Programmänderung laut israelischen Medien auf Bitte Netanjahus vor. Das 1998 eingeweihte Mahnmal auf dem Herzl-Berg erinnert an zivile Terroropfer, die seit 1851 auf israelischem Boden ums Leben kamen.

„Niemals wieder, Herr!“

Auch der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem stattete Franziskus am Montagvormittag einen Besuch ab. In seiner Ansprache nannte er den Holocaust eine „unermessliche Tragödie“. „Vielleicht konnte nicht einmal der Vater (Gott) sich einen solchen Fall, einen solchen Abgrund vorstellen“, sagte er. „Niemals wieder, Herr, niemals wieder“, rief er aus.

Papst Franziskus vor einem Blumenkranz in der Gedenkstätte Jad Vaschem

Reuters/Baz Ratner

Papst Franziskus bei der Kranzniederlegung in Jad Vaschem

Franziskus erinnerte daran, welchen Horror Menschen angerichtet hätten, die sich berufen fühlten, über das Gute und das Böse zu entscheiden. Vergebung durch Gott sei deshalb zur Rettung des Menschen notwendig. „Gib uns die Gnade, uns zu schämen für das, was zu tun wir als Menschen fähig gewesen sind“, erbat der Papst.

Treffen mit Oberrabbinern

Nach Kranzniederlegung und Gebet in Jad Vaschem stand eine Visite im „Heichal Shlomo“-Center des Großrabbinats auf dem dichten Programm des Papstes. „Gemeinsam können wir einen wichtigen Beitrag für die Sache des Friedens leisten“, sagte Franziskus bei dem Treffen mit dem aschkenasischen Oberrabbiner David Lau und dem sephardischen Oberrabbiner Izchak Josef.

Oberrabbiner Lau ermunterte Papst Franziskus, demnächst eine interreligiöse Konferenz nach Jerusalem einzuberufen. Der Papst würdigte seinerseits die Fortschritte im jüdischen-katholischen Dialog. Was auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahrzehnten geschehen sei, ein „echtes Geschenk Gottes, eines der von ihm vollbrachten Wunder“, so der Papst. Zugleich äußerte er sich zuversichtlich, dass die regelmäßigen Gespräche zwischen dem Vatikan und dem Großrabbinat von Israel eine „glänzende Zukunft“ vor sich hätten.

Erneutes Treffen mit Peres

Auch mit Ministerpräsident Netanjahu und Staatspräsident Schimon Peres traf Franziskus am Montag erneut zusammen, nachdem die beiden ihn schon am Sonntag in Tel Aviv empfangen hatte. Während des Treffens mit Peres rief der Papst zum Widerstand gegen alles auf, was sich einem Nahost-Frieden und dem respektvollen Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen entgegenstelle. Konkret wandte sich Franziskus gegen Gewalt und Terrorismus, gegen jede Art der Diskriminierung und gegen Antisemitismus.

„Mit Entschiedenheit muss das alles verworfen werden“, sagte Franziskus. Zudem mahnte er zur Achtung der heiligen Stätten von Juden, Christen und Muslimen in Israel. Diese seien „keine Museen oder Sehenswürdigkeiten für Touristen“, sondern Orte, an denen die religiösen Gemeinschaften ihren Glauben, ihre Kultur und ihr soziales Engagement lebten. Ihr sakraler Charakter müsse stets geschützt werden.

Franziskus mahnte zugleich die Rechte der christlichen, zumeist arabischen, Minderheit in Israel an. Deren Präsenz und die Achtung ihrer Rechte seien die Garantie eines gesunden Pluralismus und der Beweis für die Lebendigkeit demokratischer Werte. Die Zusammenkunft mit Peres dauerte bedeutend länger als geplant, der Friedensnobelpreisträger hatte den Papst überaus herzlich begrüßt. Gemeinsam pflanzten Papst und Staatschef im Garten des Präsidentensitzes einen Olivenbaum, ein Symbol des Friedens.

Friedensgebet im Vatikan geplant

Am Sonntag hatte der Papst für eine Überraschung gesorgt, als er in Bethlehem Peres und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zu einem Friedensgebet in den Vatikan einlud, das schon im kommenden Monat stattfinden soll - mehr dazu in Papst lädt Abbas und Peres zu Friedensgebet ein.

Palästinenserpräsident Abbas und Israels Staatspräsident Peres signalisierten noch am Sonntag ihre Zustimmung, letzterer bekräftige am Montag seine Zusage. Es sei ihm „eine Ehre“, ein solches Gebet zu sprechen, so der 90-Jährige. „Wir werden zusammenarbeiten, Juden, Christen und Muslime, um alle Konflikte zu einem Ende zu bringen“, versprach er. Der Papst hatte schon am Sonntag betont, es gehe darum, im gemeinsamen intensiven Gebet „von Gott das Geschenk des Friedens zu erflehen“. Ende April waren neunmonatige Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern ergebnislos zu Ende gegangen.

Überraschungsbesuch bei Franziskanern

Am Montagnachmittag traf der Papst nach zahlreichen interreligiösen und interkonfessionellen Begegnungen mit Vertretern seiner eigenen Kirche in Jerusalem zusammen. In der Gethsemane-Kirche traf er Priester, Ordensleute und Seminaristen. Der Papst appellierte an die Geistlichen, die eigenen Schwächen und Fehler zu erkennen. Auch Geistliche könnten in ihrem Zeugnis für den Glauben schwankend werden und fallen.

Zuvor hatte der Papst kurzerhand einen Programmpunkt - ein gemeinsames Mittagessen mit seinem Gefolge - abgesagt. Stattdessen stattete er dem Jerusalemer Franziskanerkonvent einen Überraschungsbesuch ab. Auf seinen eigenen Wunsch wurde er dabei einzig vom Vatikanbotschafter, Erzbischof Giuseppe Lazzarotto, und vom Kustos der Franziskaner im Heiligen Land, Pierbattista Pizzaballa, begleitet. Nach Ordensangaben kam der Besuch so überraschend, dass die Küche nicht mehr rechtzeitig über den hohen Gast informiert werden konnte. Auch die Brüder seien erst eine Stunde vor dem Mittagessen informiert worden.

religion.ORF.at/APA/KAP/AFP/dpa

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