Bischof Kräutler hat „ungutes Gefühl“ bei Fußball-WM

Als „Indio-Bischof“ hat es Erwin Kräutler weit über die Grenzen Brasiliens hinaus zu Bekanntheit gebracht. Im APA-Interview sprach er über seine Beziehung zum Fußball und das „ungute Gefühl“, das er bei der WM in Brasilien hat.

Sein fast 50 Jahre währender Einsatz für die indigenen Völker im größten Land Südamerikas bescherte dem gebürtigen Vorarlberger den Alternativen Nobelpreis, aber auch zahlreiche Morddrohungen, weshalb er seit acht Jahren unter ständigem Polizeischutz steht.

Nachzulesen sind die Erlebnisse des bald 75-Jährigen in seinem neuen Buch „Erwin Kräutler - Mein Leben für Amazonien“, in dem auch die sozialen Auswirkungen der Fußball-WM in Brasilien angeschnitten werden. Im Gespräch mit der APA erzählte der aus Vorarlberg stammende Bischof der Amazonas-Diözese Xingu vom Ärger der Menschen über hohe Ausgaben für Stadien und fehlende „FIFA-Standards“ bei der Infrastruktur und berichtete auch über seine Papst-Audienz im April.

„Milliarden für Stadien rausgeschmissen“

Auf die Frage, ob sich der „Brasilianer in ihm“ auf die Fußball-WM freue, sagte Kräutler im APA-Interview: „Ich habe zum Fußball eine enge Beziehung und schaue mir sicher Spiele im Fernsehen an. Ich habe aber auch ein ungutes Gefühl bei der WM. Da sind Milliarden für Stadien rausgeschmissen worden, die nachher niemand mehr braucht.“

Bischof Erwin Kräutler

APA/Roland Schlager

Bischof Erwin Kräutler

Dafür gebe es „in anderen Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Transport und Sicherheit keine FIFA-Standards. Deswegen demonstrieren die Leute in Brasilien, und diese Demos sind prinzipiell friedlich. Nur sind bei 100.000 Menschen immer ein paar Chaoten dabei, und darauf stürzen sich dann die Medien“, so der Bischof.

Gefragt, warum haben sich die Menschen in Brasilien erst in den letzten Monaten in Massen gegen die Verschwendung von öffentlichen Geldern aufgelehnt hätten, sagte Kräutler: „Wahrscheinlich waren die Ausgaben für die WM der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Für die Regierung waren die Demonstrationen rund um den Confederations Cup letztes Jahr ein wahnsinniger Schock, die hätte nie gedacht, dass so viele Leute auf die Straße gehen.“

Mangel an Lebensqualität

Aus Sicht der Regierenden seien in Brasilien wirtschaftliche Fortschritte passiert, „aber denen geht es beim Fortschritt nur um Bruttosozialprodukt, Exporte und Wirtschaftswachstum. Wir haben von Entwicklung einen anderen Begriff, da geht es um Lebensqualität, und da mangelt es enorm. Politiker und Konzerne sind nur auf schnellen Profit aus“, sagte Kräutler der APA.

Er würde nicht sagen, dass Brasilien die WM nicht veranstalten könne. Aber auch ein Weltmeistertitel würde nichts daran ändern, „dass drei Tage nach dem Finale wieder Katerstimmung herrscht, weil in der Infrastruktur vieles im Argen liegt. Und es ist ein Wahnsinn, welche Unterwürfigkeit die FIFA von der brasilianischen Regierung verlangt, da wurde fast eine Diktatur aufgebaut. Dabei wurde die brasilianische Bevölkerung nicht einmal gefragt, ob sie die WM überhaupt haben will“, sagte der Bischof der Diözese Xingu.

Chancen für Indigene

Die Frage, ob die WM nicht wenigstens die Chance für die indigenen Völker Brasiliens biete, auf ihre Benachteiligung aufmerksam zu machen, beantwortete Kräutler positiv: „Ja, und diese Chance werden sie sicher nützen. Ihre Vertreter fordern schon jetzt in den großen Städten völlig zu Recht ihre in der Verfassung verankerten Rechte ein, die von der Regierung missachtet werden. Dass die Rechte der indigenen Bevölkerung in die Verfassung aufgenommen wurden, war einer meiner größten Erfolge, aber was nützt es, wenn diese Rechte nicht zur Anwendung kommen?“

Buchhinweis:

Erwin Kräutler - Mein Leben für Amazonien. Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien 2014; 232 Seiten; 22,95 Euro

Über seine Privataudienz bei Papst Franziskus im April erzählte der gebürtige Vorarlberger: „Er freut sich, dass meine Mitarbeiter und ich uns für diese Völker einsetzen, das ist ihm ein großes Anliegen. Er hat gesagt, man muss Courage und Mut aufbringen, für sie einzutreten, ohne Angst vor Rückschlägen.“ Für diese Völker gehe es um Leben und Tod - „der Tod kann nicht nur physisch, auch kulturell eintreten. Die Kirche kann hier nicht ihre Augen verschließen. Sie muss sich nicht nur an die geografische, sondern auch an die existenzielle Peripherie begeben“, so Kräutler weiter.

„Keine Kirche, die über den Sternen hängt“

Zu seiner Rolle als Unterstützer der Befreiungstheologie, die vor allem in europäischen Kirchenkreisen kritisiert wird, sagte Kräutler, die Befreiungstheologie sei in Europa leider missverstanden und als marxistisch bezeichnet worden, doch das stimme nicht. „Ich möchte den Papst nicht für die Befreiungstheologie vereinnahmen, aber alle Anliegen der Befreiungstheologie hat der Papst auch. Es geht um die Würde aller Menschen. Und wir wollen keine Kirche, die über den Sternen hängt, sondern eine, die ganz nah bei den Menschen ist“, sagte der 74-Jährige der APA.

Gefragt, wie lange er noch bei den Menschen in Amazonien sein werde - schließlich müsste Kräutler nach seinem 75. Geburtstag am 12. Juli laut Kirchenrecht seinen Rücktritt einreichen - erwiderte er: „Meine Prälatur Xingu ist so groß, dass sie dreigeteilt wird, also werde ich wahrscheinlich drei Nachfolger bekommen, und es kann dauern, bis die gefunden sind. Deshalb denke ich, dass mein Abschied als Bischof nicht abrupt passieren wird.“

religion.ORF.at/Alois Tschida, APA

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