Religionslehrer gegen Kirche: EGMR fällt Grundsatzurteil

Kirchen dürfen von Religionslehrern Loyalität in Bezug auf ihre Lehre verlangen. Das ist das Ergebnis eines jahrelangen Rechtsstreits, der am Donnerstag am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) endete.

Das Urteil des EGMR wurde in Bezug auf einen Fall in Spanien ausgesprochen. Der ehemalige katholische Priester Jose Antonio Fernandez Martinez hatte Klage eingereicht, weil sein Vertrag als Religionslehrer an einer staatlichen Schule nicht verlängert worden war.

Fernandez, der nach seiner Priesterkarriere heiratete und inzwischen fünf Kinder hat, sah darin sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention) verletzt. Die Gerichte in Spanien hielten dagegen, dass er seinen Job nicht aufgrund seiner Familiensituation, sondern wegen öffentlicher kritischer Aussagen zur Kirchenlehre verlor. Der EGMR wies nun - 17 Jahre später - die Beschwerde des Spaniers ab.

Knappe Entscheidung

Die Entscheidung des EGMR fiel denkbar knapp aus: Von den 17 Mitgliedern der Großen Kammer des EGMR entscheiden neun gegen Fernandez und acht für ihn. Die Kirche könne von Religionspädagogen eine Übereinstimmung mit dem kirchlichen Lehramt erwarten, heißt es in der Urteilsbegründung.

Der Entzug der Lehrerlaubnis sei durch die Autonomie der Kirche unter der Europäischen Menschenrechtskonvention gedeckt. Die Kirche darf im Rahmen der gesetzlichen Regelungen im jeweiligen Land eigenständig entscheiden, welche Kriterien sie bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter anlegt. Und dazu kann - zumindest bei öffentlichen Repräsentanten, auch eine Übereinstimmung mit der Kirchenlehre gehören.

Engagement für freiwilligen Zölibat

Der frühere Priesterseminarleiter Fernandez hatte bereits 1984 beim Vatikan die Befreiung von seinem Gelübde der Ehelosigkeit beantragt und 1985 zivil geheiratet. Ab 1991 unterrichtete er katholische Religion und Ethik an einer staatlichen Schule in der Region Murcia. 1996 erschien dort in einer Tageszeitung ein Beitrag über die „Bewegung für einen freiwilligen Zölibat“, in dem Fernandez als aktives Mitglied auftrat. In dem Artikel äußerte die Gruppe Kritik an kirchlichen Positionen zu Abtreibung, Scheidung, Sexualität und Empfängnisverhütung.

1997 befreite der Vatikan Fernandez schließlich von seinen priesterlichen Gelübden, verbunden mit der Auflage, nicht weiter als katholischer Religionslehrer zu arbeiten, sofern nicht der Ortsbischof anders entscheide und es keinen „Skandal“ gebe. Zwei Wochen später teilte der Bischof von Cartagena dem Bildungsministerium aufgrund des Zeitungsberichts mit, der Lehrauftrag für Fernandez solle nicht erneuert werden.

Unterschiedliche Urteile in Spanien

Ein Arbeitsgericht in Murcia gab dem Lehrer mit seiner Diskriminierungsklage zunächst Recht. Der Oberste Gerichtshof in Madrid urteilte hingegen 2001 zugunsten des Bildungsministeriums und der Kirche. Der Bischof habe im Rahmen der kirchenrechtlichen Vorgaben korrekt gehandelt, hieß es damals. Zudem sei die Nichtverlängerung des Vertrags nicht mit einer Entlassung gleichzusetzen.

Vor dem spanischen Verfassungsgericht scheiterte Fernandez ebenfalls. Hier hieß es, zusätzlich zu den bereits von den anderen Gerichten berücksichtigten Argumenten, dass Fernandez nicht aufgrund seiner familiären Situation diskriminiert worden sei. Vielmehr habe er durch sein Auftreten in dem Zeitungsbericht sowohl sein Privatleben als auch seine Kritik an der Kirchenlehre bewusst öffentlich gemacht und damit - in den Augen des Bischofs - genau den „Skandal“ heraufbeschworen, aufgrund dessen sein Vertrag nicht verlängert wurde.

2012 bestätigte auch die Kammer des EGMR die Urteile der spanischen Höchstgerichte. Fernandez beantragte daraufhin einen Verweis des Falls an die Große Kammer, die nun ebenfalls gegen ihn entschied. Die Richter erkannten im Verhalten der spanischen Regierungsbehörden und der Kirchenleitung wie schon die spanischen Gerichte vor ihnen keine Beeinträchtigung des Schutzes des Privatlebens.

Kirche darf besondere Loyalität verlangen

Die Kirche könne berechtigterweise eine besondere Loyalität von Religionslehrern erwarten, da diese als Repräsentanten der Kirche angesehen werden könnten, heißt es in der Urteilsbegründung. Widersprüche zwischen den zu unterrichtenden Lehren der katholischen Kirche und der persönlichen Haltung eines Pädagogen könnten zu einem Glaubwürdigkeitsproblem führen.

Auch der Bischof habe nicht unbegründet oder willkürlich gehandelt, so die Richter. Fernandez als ehemaliger Leiter eines Priesterseminars hätte voraussehen können, dass sein öffentlicher Widerstand gegen bestimmte Kirchengesetze Konsequenzen haben würde. Aus den Konkordatsbestimmungen zwischen Spanien und dem Heiligen Stuhl habe er wissen müssen, dass sein Unterrichtsvertrag ohne kirchliche Lehrerlaubnis nicht verlängert werden könne.

religion.ORF.at/KAP

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