Papst fühlt sich im Papamobil wie in „Sardinendose“

Der Papst fühlt sich im Papamobil eingesperrt wie in einer „Sardinendose“. Er wolle den Menschen lieber nahe sein, sagte er in einem Interview mit der spanischen Zeitung „La Vanguardia“ (Freitag-Ausgabe).

Wenn er sich in einer „Sardinendose“ befinde, könne er „die Menschen nicht begrüßen und ihnen sagen, dass ich sie liebe, selbst wenn sie aus Glas ist“, sagte der 77-Jährige in dem Interview. „Für mich ist es eine Mauer.“

Das Papamobil mit seinem kugelsicheren Glaskasten, in dem der Papst stehend den Gläubigen zuwinken kann, wurde nach dem Anschlag auf Papst Johannes Paul II. im Jahr 1981 eingeführt. Franziskus’ Vorgänger Benedikt XVI. nutzte das Fahrzeug, Franziskus bevorzugt dagegen so oft wie möglich offene Fahrzeuge.

„Habe nicht viel zu verlieren“

„Es stimmt, dass mir etwas zustoßen könnte - aber seien wir realistisch, in meinem Alter habe ich nicht viel zu verlieren“, so der Papst. „Es liegt in Gottes Hand.“ Zuletzt hatte Franziskus bei seinem Besuch in den Palästinensergebieten Ende Mai mit Extratouren überrascht, als er das Papamobil auf dem Weg nach Bethlehem an der israelischen Sperranlage verließ, um zu beten.

Freimütig äußerte sich der Papst zu seinen Schwierigkeiten mit dem vatikanischen Protokoll. Seine eigentliche Berufung sei die des Pfarrers. Aber er fühle sich auch als Papst, und seine Umgebung helfe ihm, seine Pflicht zu erfüllen. Er betonte, es wäre kindisch, wenn er den „Pfarrer-Papst spielen würde“. Wenn ein Staatschef ihn besuche, müsse er ihn mit der Würde und gemäß dem Protokoll empfangen, das dieser verdiene. Er fügte hinzu: „Es ist wahr, ich habe meine Probleme mit dem Protokoll, aber das Protokoll muss man beachten.“

Auf die Frage, ob er ein Revolutionär sei, antwortete der Papst: „Für mich besteht die große Revolution darin, zu den Wurzeln zu gehen, sie zu erkennen und zu sehen, was diese Wurzeln heute zu sagen haben. Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem Revolutionären und dem Zurückgehen an die Wurzeln.“ Weiter führte der Papst aus: „Ich glaube, die wahre Veränderung kommt aus der Identität.“ Wer voranschreiten wolle, müsse wissen, woher er komme und welchen kulturelle und religiöse Identität er habe.

Kein persönliches Reformprojekt

Franziskus dementierte Spekulationen, wonach er seit langem ein persönliches Reformprojekt für den Vatikan und die katholische Kirche verfolge. Die Veränderungen, die er im Vatikan angestoßen habe, seien die Umsetzung der Wortmeldungen der Kardinäle während des Vorkonklaves im März 2013. Dazu gehöre auch die Berufung von acht Kardinälen in eine Reformkommission für die vatikanischen Kurie. Das nächste viertägige Treffen der Kardinalskommission kündigte der Papst in dem Interview für Anfang Juli an.

Der Papst äußerte sich in dem Interview auch erneut zum weltweiten Wirtschaftssystem und bezeichnete dieses als „unerträglich“. „Wir schließen eine ganze Generation junger Leute aus“, sagte er angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern der Welt.

„Das Geld als Gott“

„Damit das System fortbestehen kann, müssen Kriege geführt werden, wie es die großen Imperien immer getan haben“, so Franziskus. „Einen Dritten Weltkrieg kann man jedoch nicht führen, und so greift man eben zu regionalen Kriegen.“

Die führenden Volkswirtschaften in der Welt sanierten ihre Bilanzen mit der Produktion und dem Verkauf von Waffen. Sie opferten den Menschen dem Idol des Geldes. „Wenn man Fotos von unterernährten Kindern aus verschiedenen Teilen der Welt sieht, kratzt man sich am Kopf. Das versteht man nicht“, sagte der Papst. „Das Wirtschaftssystem sollte im Dienst des Menschen stehen. Aber wir haben das Geld in den Mittelpunkt gerückt, das Geld als Gott.“

Nahost-Reise auf Einladung Peres’

In Bezug auf seine vor kurzem absolvierte Reise in den Nahen Osten und das anschließende Friedensgebet mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Israels Altpräsident Schimon Peres offenbarte der Papst neue Details. So sei sein Beschluss, schon 2014 und nicht erst später ins Heilige Land zu reisen, zustande gekommen, weil Peres ihn 2013 nach Jerusalem eingeladen habe.

Bisher war davon ausgegangen worden, dass mit dem Besuch und dem Treffen mit Patriarch Bartholomaios I. des 50. Jahrestags der Zusammenkunft von Paul VI. (1963-1978) mit dem Patriarchen von Konstantinopel, Athenagoras, erinnert werden hatte sollen. „Seine Einladung hat den Reisetermin beschleunigt. Ich hatte das eigentlich nicht so geplant“, sagte Franziskus über Peres.

Friedensgebet ohne Präzedenzfall

Das Friedensgebet zu Pfingsten im Vatikan sei nicht leicht zu organisieren gewesen, weil es dafür keinen Präzedenzfall gegeben habe, so der Papst. Er habe gespürt, „dass das etwas war, was uns alle übersteigt. Hier im Vatikan sagten 99 Prozent, dass das nicht klappen würde, und danach wuchs dieses eine Prozent immer mehr.“

Franziskus hob gleichzeitig seine innere Verbundenheit mit dem Judentum hervor, weil man „sein Christentum nicht wirklich leben kann, wenn man seine jüdische Wurzel nicht anerkennt“. Der interreligiöse Dialog müsse dies anschneiden, nämlich „die jüdische Wurzel des Christentums und die christliche Blüte aus dem Judentum heraus“.

Holocaust-Leugnung „ein Wahnsinn“

Es sei „ein Wahnsinn“, wenn Leute den Holocaust leugneten, betonte der Papst. Die Öffnung der Vatikan-Archive zum Holocaust werde „viel Licht in die Sache bringen“. Franziskus nahm dabei Papst Pius XII. in Schutz: „Dem armen Pius XII. haben sie wirklich alles Mögliche vorgeworfen.“

Man müsse daran erinnern, dass Pius XII. früher einmal als der große Verteidiger der Juden gegolten habe. „Er versteckte viele in den Klöstern Roms und anderer italienischer Städte, und auch in der Sommerresidenz Castel Gandolfo. Dort, im Zimmer des Papstes, in seinem eigenen Bett, wurden 42 Babys geboren, Kinder von Juden oder anderen Verfolgten, die sich dorthin geflüchtet hatten“, so der Papst. „Ich will damit nicht sagen, dass Pius XII. keine Irrtümer begangen hätte - ich selbst begehe auch viele -, aber man muss seine Rolle im Kontext der Epoche lesen.“

religion.ORF.at/APA/AFP/dpa/KAP