Bischof Kräutler: „Die Kirche muss politischer werden“

Die Kirche muss „politischer werden“ und die Lebensumstände der Menschen konkreter in den Blick nehmen. Dafür hat sich der austro-brasilianische Bischof in einem Interview für die Zeitschrift „miteinander“ ausgesprochen.

Der Bischof der Amazonas-Diözese Xingu, Erwin Kräutler, wird am 12. Juli 75. Er werde zu diesem Zeitpunkt auch, gemäß Kirchenrecht, dem Papst seinen Rücktritt anbieten, so Kräutler. An einen „Ruhestand“ wolle er freilich nicht denken. Bereits 49 Jahre seines Lebens hat der österreichische Ordensmann in Brasilien verbracht.

Bischof Erwin Kräutler

APA/Roland Schlager

Bischof Erwin Kräutler wird am 12. Juli seinen 75. Geburtstag feiern und gemäß Kirchenrecht dem Papst seinen Rücktritt anbieten

Kräutler wörtlich: „Ich werde vielleicht etwas häufiger in Österreich sein, dort auch vermehrt seelsorgliche Termine wahrnehmen, aber in Amazonien und Brasilien gibt es für mich weiterhin viel zu tun. Ich bin sehr oft eingeladen, Exerzitien für Priester, Ordensleute und in der Pastoral engagierte Frauen und Männer zu geben.“

Projekt: Dreiteilung der Diözese Xingu

Er werde wohl auch künftig in seiner Diözese am Xingu tätig sein, so Kräutler: „Ich erhielt den Auftrag, einen Plan zur Dreiteilung dieser großen Diözese - sie ist viereinhalb Mal so groß wie Österreich - zu erarbeiten. Da stecke ich mitten drin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mich davon einfach abziehen wird.“ Darüber hinaus sei er auch weiterhin Vorsitzender des Rates für indigene Völker der brasilianischen Bischofskonferenz und Sekretär der bischöflichen Kommission für Amazonien.

Impulse gegen „Konsumentenhaltung“ in Europa

Viele Erfahrungen der Kirche in Brasilien seien auch für die Kirchen in Europa wichtig, zeigte sich Kräutler überzeugt: „Ich meine vor allem die Frage nach der Mit-Verantwortung der Laien für ihre Kirche, die in Lateinamerika stark ausgeprägt ist. In Europa spürt man, dass viele Laien immer noch in einer Art Konsumentenhaltung verharren. In unseren Basisgemeinden hingegen erleben wir, wie positiv die Arbeit der Laien auch in Fragen der Gemeindeleitung sein kann. Das wird man in Europa wohl erst zu schätzen lernen, wenn der Priestermangel noch schmerzhafter wird, als er es schon jetzt ist.“

Auf das Problem des Priestermangels angesprochen verwies der Bischof auf den Vorschlag des aus Deutschland stammenden und bereits emeritierten südafrikanischen Bischofs Fritz Lobinger. Dessen These: Eine priesterlose Gemeinde wähle aus ihren Reihen Älteste, die dann - als für diese jeweilige Gemeinde Ordinierte - den Eucharistiefeiern vorstehen. Das sei eine sakramentale Weihe für die jeweilige Gemeinde, wobei die Geweihten in ihren zivilen Berufen und Familien bleiben würden, so Kräutler: „Wir dürfen den Menschen die Eucharistie nicht vorenthalten.“

Einsatz gegen Kraftwerk gescheitert

Angesprochen auf seinen unermüdlichen Einsatz gegen das Kraftwerk Belo Monte räumte Kräutler ein, dass die Verhinderung des Dammbaus gescheitert sei. „Dreißig Jahre haben wir gegen dieses Mammutprojekt gekämpft. Ein Ausstieg aus dem Projekt ist nun nicht mehr realistisch.“ Deshalb gehe es nun um Schadensbegrenzung. „Wir drängen darauf, dass die von Umsiedlung betroffenen 40.000 Menschen anständig untergebracht und nicht abgespeist werden.“

Die Kirche sei eine wichtige Triebfeder des Protestes und Widerstandes, aber natürlich gebe es auch viele weitere Partnerorganisationen der Zivilgesellschaft - „es geht ja schließlich nicht um eine nur kirchliche Sache, sondern um Menschen“, so Kräutler. Nachsatz: „Wenn ich Kirche sage, meine ich im Übrigen tatsächlich die katholische Kirche, denn gerade die starken evangelikalen Kirchen üben sich bei sozialem Engagement eher in Zurückhaltung.“

Öko-Enzyklika

Zu der von Papst Franziskus derzeit erarbeiteten Enzyklika zur Ökologie würdigte Kräutler, „dass es offenbar keine bloß schöpfungstheologisch ausgerichtete Enzyklika sein wird, die auf Fragen des Wohls von Fauna und Flora abzielt“. Es gehe um sehr viel mehr als nur Fragen des Umweltschutzes. Der Papst ziele vor allem auch auf Fragen der Generationengerechtigkeit. Der Mensch in seiner Verantwortung solle im Mittelpunkt stehen.

Die Schöpfungstheologie müsse ausgeweitet werden und viel konkreter die realen Lebensumstände der Menschen in den Blick nehmen, die - wie in Amazonien - skrupellos ausgebeutet werden. Kräutler: „Wir haben als Christen den Auftrag, diese Probleme offen anzusprechen. Wir müssen insgesamt als Kirche politischer werden. Das meine ich nicht im Sinne von Parteipolitik, sondern im Sinne dessen, was auch die Befreiungstheologie immer wollte: die Realität der Menschen ernst nehmen und sie im Licht des Wortes Gottes und der kirchlichen Tradition reflektieren, Antworten suchen und dann bei konkreten Aktivitäten mitwirken.“

Info:

Das gesamte Interview erscheint im Wortlaut in der September-Ausgabe der Zeitschrift „miteinander“ des Canisiuswerkes.

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