Radikalisierung „kein rein religiöses Problem“

Dass sich besonders junge Menschen in Europa radikalisieren, sei kein rein religiöses Problem, hat der islamische Reformtheologe Mouhanad Khorchide am Freitag im Ö1-Morgenjournal gesagt.

Mehr als hundert Kämpfer aus Österreich sind laut österreichischem Verfassungsschutz schon in den Bürgerkrieg nach Syrien gezogen, rund 60 befinden sich aktuell in Syrien. Bei der Rekrutierung aus Europa handle es sich in erster Linie um ein soziales Problem, so Khorchide gegenüber Ö1: „Es handelt sich in erster Linie um bildungsferne Schichten bzw. Schulabbrecher oder junge Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt nicht angekommen sind“, sagte der liberale Islamwissenschaftler.

„Gefühl von Ohnmacht und Minderwertigkeit“

Diese hätten „ein Gefühl von Ohnmacht, ein gewisses Gefühl von Minderwertigkeit, und das alles wird kompensiert, wenn ihnen eine Ideologie angeboten wird, wo sie Macht haben, das heißt, auch Macht über Leben und Tod“. Die Religion diene den Terroristen dazu, diese Macht über Leben und Tod als „göttlich“ zu legitimieren. Natürlich würden die jungen Menschen dadurch auch manipuliert, so Khorchide.

Mouhanad Khorchide

AP/dapd/Volker Hartmann

Mouhanad Khorchide

Neun der zehn mutmaßlichen Dschihadisten, die am Mittwoch im Burgenland und in Kärnten aufgegriffen worden sind, waren ursprünglich aus Tschetschenien nach Österreich geflüchtet. Sie seien „viel anfälliger“ für eine Radikalisierung: In Tschetschenien würden seit Jahren Krieg und militärische Unterdrückung herrschen. Das gleiche gelte für traumatisierte Heimkehrer aus Kriegsgebieten aus Nahost und Afghanistan.

„Hier sind Menschen, die schon zum Teil auch traumatisiert sind beziehungsweise schon Kriegserfahrung haben“, so Khorchide. Es sei jedenfalls eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, junge Menschen besser einzubinden, um die Radikalisierung zu verhindern. Außerdem sollten muslimische Theologen und Gelehrte ihre Stimme laut erheben und betonen, „es ist nicht das Anliegen des Islam, einen islamischen Staat zu errichten, sondern einen gerechten Staat“, so Khorchide. Und der funktioniere nach ethischen Prinzipien wie Gerechtigkeit und Freiheit.

Politologe: „Mit Islam nur ganz wenig zu tun“

Ähnlich argumentierte am Donnerstag der Wiener Politologe Thomas Schmidinger im Ö1-Morgenjournal. Die Ereignisse im Irak hätten zum einen nichts mit der islamischen Religion zu tun, zum anderen diskreditieren und belasten die Begriffe all jene Muslime, die sich friedlich auf den Islam berufen.

So betonte Schmidinger etwa, dass die Milizen der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) „mit dem Islam als Religion nur ganz wenig zu tun“ hätten. Es handle sich vielmehr um eine „radikalisierte Ideologie, die den Islam zur Mobilisierung nutzt“, so Schmidinger. Das zeige sich auch darin, dass selbst konservative wahabitische islamische Theologen sich mehrheitlich von der IS distanziert hätten - mehr dazu in Experten: IS hat nichts mit islamischer Religion zu tun.

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