Die Rückkehr des Konfuzius

Der Geburtstag des chinesischen Philosophen und Staatstheoretikers Konfuzius fällt heuer gemäß Überlieferung auf den 20. September. In China werden zu diesem Anlass in zahlreichen konfuzianistischen Tempeln große Feste veranstaltet. Doch das war nicht immer so.

Erst in den vergangenen 15 bis 20 Jahren hat der Konfuzianismus in seinem Heimatland ein beispielloses Revival durchlebt. Fast 2.400 Jahre prägte die Philosophie des Konfuzius (chinesisch: Kong Fuzi - Lehrmeister Kong; vermutlich 551 bis 479 v. Chr.) die Geschichte des heute bevölkerungsreichsten Landes der Welt entscheidend mit.

Mit dem Anfang des 20. Jahrhunderts langsam beginnenden politischen Umbruch begann allerdings der Niedergang des Konfuzianismus, der in der Kulturrevolution der 1960er und 1970er Jahre gipfelte. Die alten Denksysteme, hieß es damals vonseiten der Kommunisten, würden dem Fortschritt Chinas im Wege stehen. Konfuzius wurde fast völlig aus der Öffentlichkeit verbannt, seine Tempel entweder zerstört oder umgewidmet.

Bunte Prozession von Kindern

Reuters/Stringer

Prozession zum Konfuzius-Geburtstag 2013

Konfuzius als Exportschlager

In den vergangenen beiden Jahrzehnten scheint sich das allerdings wieder langsam zu ändern. Konfuzius-Tempel werden reaktiviert, die Verehrung des Weisen wird geduldet, und China selbst bedient sich seines Namens, um die eigene Kultur in die Welt hinauszutragen: Seit 2004 wurden – in etwa analog zu den deutschen Goethe-Instituten – überall auf der Welt von China finanzierte Konfuzius-Institute gegründet. Sie sollen – an westliche Universitäten angeschlossen – Kultur und Sprache Chinas promoten. Auch an den Universitäten Wien und Graz gibt es solche Institute.

Die schleichende Auferstehung des großen Weisen ist kein Zufall - sie wird von der chinesischen Regierung bewusst gesteuert und unterstützt. Diese politische Dimension sei allerdings nicht die einzige, erklärt Christian Göbel, Politikwissenschaftler und Sinologe an der Universität Wien, im Gespräch mit religion.ORF.at. „Die Frage ist, ob der Konfuzianismus wirklich jemals komplett verschwunden war. Wenn das so wäre, dann wäre die aktuelle Renaissance tatsächlich ein rein politisches Projekt. Das war sie aber nicht. Denn die Leute wussten, trotz aller Bemühungen des Regimes während der Kulturrevolution, wer Konfuzius war.“

Abwehr westlicher Einflüsse

Für Göbel hat das derzeitige Revival des Konfuzianismus also mehrere Ursachen. Schon in den 1980er Jahren sei vonseiten der Regierung eine gewisse Entspannung zu beobachten gewesen, sagt er. „Die Leute haben wieder begonnen, über Konfuzius zu sprechen, weil man eben keine Angst mehr haben musste, das zu tun. In den 90er Jahren kamen dann aber auch langsam von oben gezielte Maßnahmen.“

Letztere haben aus Göbels Sicht auch mit dem Tian’anmen-Massaker zu tun, der gewaltsamen Niederschlagung eines Volksaufstands auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking im Jahr 1989. „Die chinesische Regierung hat die Ursache für den damaligen Aufstand darin gesehen, dass vermehrt westliche Einflüsse nach China kamen. Deshalb wollte man diesen Einflüssen auch auf ideologischer Ebene etwas entgegenzusetzen“, so Göbel. „Und das war einerseits natürlich der Kommunismus, aber andererseits auch der Konfuzianismus.“

Chinas Präsident Xi Jinping zeigt auf eine Konfuzius-Statue

Reuters/Boris Roessler/Pool

Chinas Präsident Xi Jinping vor einer Konfuzius-Statue

Angst vor Werteverlust

Auch Martin Palmer, Religionswissenschaftler und Übersetzer mehrerer zentraler Werke des Konfuzianismus, schlug kürzlich in einem Interview mit der BBC in eine ähnliche Kerbe. „Viele in China haben den Eindruck, dass das Land angesichts des um sich greifenden Kapitalismus moralisch vom Weg abgekommen ist“, so Palmer zur BBC. Und das führe - auch in den Augen der politischen Führung - zu einem Werteverlust in der Gesellschaft, den man auszugleichen versuche.

„Die Einkindpolitik hat dazu geführt, dass es heute eine Menge Kinder gibt, die immer im Zentrum der Aufmerksamkeit standen und die jetzt denken, dass die Welt allein ihnen gehört“, sagte Palmer. Vor einigen Jahren habe er mit zwei ranghohen Politikern über dieses Problem gesprochen. Und sogar diese hätten eingestanden, dass die einzigen Orte, an denen junge Chinesinnen und Chinesen das Gefühl bekämen, Teil von etwas Größerem zu sein, die Religionen seien. Vom Konfuzianismus sei damals noch nicht die Rede gewesen. „Heute aber zitiert sogar der Präsident fast in jeder seiner Reden Aussagen von Konfuzius“, so Palmer.

Religion oder Philosophie?

Der Religionswissenschaftler spricht damit die zentrale Frage an, die den Konfuzianismus durch seine gesamte Geschichte begleitet hat: nämlich ob es sich dabei um eine Religion oder eher um eine philosophische Schule handelt. „Das ist die große Debatte“, sagte Palmer im BBC-Interview.

„Es gibt heute etwa 500 konfuzianistische Tempel in China, es gibt konfuzianistische Rituale und Feste, Konfuzius selbst wird wie ein Gott verehrt.“ Im Grunde aber sei der Konfuzianismus „ein moralischer philosophischer und politischer Code“, der seine Autorität aus dem „Himmel“ beziehe, so Palmer. „Der Himmel ist dabei aber keine Gottheit, sondern – wenn man so will – die letzte Ordnung des Universums, die seit dessen Beginn besteht.“

Die chinesische Führung würde auf jeden Fall abstreiten, dass der Konfuzianismus eine religiöse Dimension habe, meint Göbel im religion.ORF.at-Interview. „Sie würden sagen, dass es sich um ein Wertesystem handelt. Und dass Konfuzius selbst – umgelegt auf den Westen – so etwas ist wie eine Mischung aus Aristoteles, Sokrates und einem christlichen Heiligen.“ In der Alltagspraxis der Menschen nehme die Verehrung von Konfuzius aber sehr wohl religiöse Züge an - etwa wenn sie zu den Tempeln pilgerten und dort ihre Wünsche auf kleinen Zetteln vor Statuen platzierten.

Konfuzius-Statue vor einem Tempel

Reuters/Claro Cortes

Konfuzius-Statue vor einem Tempel

Zwei kompatible Systeme

Offenbar wird das aber von der Regierung in Peking in Kauf genommen. Göbel zieht in Bezug auf die Alltagspraxis der Verehrung von Konfuzius auch Parallelen zur in China weit verbreiteten Ahnenverehrung. Vor allem aber führt er die Duldung bzw. die Unterstützung des Konfuzianismus darauf zurück, dass dieser sich gut mit dem Sozialismus vereinbaren lässt.

Die Hauptaussage des Konfuzianismus liegt für Göbel nämlich in einer „integrierten Ordnung“, die gemäß der Lehre dem Universum, aber auch allen zwischenmenschlichen Beziehungen innewohne und als Basis einer streng hierarchischen Gesellschaft diene. „Zuerst muss in der Familie alles in Ordnung sein. Wenn in der Familie bzw. in allen Familien alles in Ordnung ist, dann wird auch in allen Dörfern alles in Ordnung sein, dann in allen Regionen und schließlich im ganzen Staat. So sind die Familien bzw. sogar die einzelnen Individuen mit dem Staat verbunden“, so Göbel.

Fünf Tugenden, drei soziale Pflichten

Konfuzius leitete dieses Prinzip von jenen menschlichen Eigenschaften ab, die er für die fünf grundsätzlichen Tugenden des Menschen hielt: Menschlichkeit, Gerechtigkeit, ethisches Verhalten, Weisheit und Güte. Daraus wiederum ergeben sich in seiner Lehre die „drei sozialen Pflichten“: Loyalität, kindliche Pietät (Respekt vor Eltern und Vorfahren) sowie die Wahrung der Riten (nicht nur im religiösen Sinn, sondern auch in Bezug auf alltägliche Vorgänge und Verhaltensregeln).

Alle zwischenmenschlichen Beziehungen sind im Konfuzianismus außerdem auf fünf Elementarbeziehungen zurückzuführen, nämlich jene zwischen Vater und Sohn, Herrscher und Untertan, Ehemann und Ehefrau, älterem Bruder und jüngerem Bruder sowie zwischen Freund und Freund. Lediglich Letztere betrachtet Konfuzius als gleichberechtigte Beziehung - in allen anderen gibt es stets eine über- und eine untergeordnete Person.

Bewährung statt Wahl

Daher lasse sich über den Konfuzianismus auch die Ablehnung der Demokratie ein Stück weit begründen, meint Göbel. „Im Konfuzianismus spielt das Element der Bewährung eine zentrale Rolle - also dass man nicht durch Wahl zu einem gewissen Amt kommt, sondern über die Bewährung in quasi objektiven Prüfungsverfahren. So verkauft das auch die Kommunistische Partei, die sagt, dass man sich in der Partei stufenweise bewähren muss, wenn man nach oben will.“

Aufgrund dieser Kompatibilität befürchte die chinesische Führung auch keine Konkurrenz vonseiten des Konfuzianismus, wie das etwa bei anderen Religionen der Fall ist. „Offiziell würde das natürlich nie so gesagt werden, aber ich denke, dass man in der Führung selbst auch weiß, dass der Kommunismus ein Glaubenssystem ist und dass man kein konkurrierendes System haben möchte“, sagt Göbel. Der Konfuzianismus werde nicht als Gefahr angesehen, weil er sich gut integrieren lasse und vor allem, weil man ihn kontrollieren könne.

Michael Weiß, religion.ORF.at