Vor Hadsch: Aufruf zu Selfie-Enthaltsamkeit

Am Donnerstagabend beginnt der Hadsch, die wichtigste Pilgerfahrt für Muslime. Gelehrte warnten im Vorfeld vor einer Verwässerung dieses wichtigen Ereignisses im Leben jedes Muslims durch ein modernes Phänomen: Selfies.

Man könne sie überall sehen: Pilger mit Kameras, die den traditionellen Marsch rund um die Kaaba, das zentrale Heiligtum im Innenhof der Heiligen Moschee von Mekka (Saudi-Arabien), filmen. Gläubige fotografierten sich und andere beim Küssen des schwarzen Steins in der Kaaba, neben den Hügeln Safa und Marwa kauernd und bei der Grünen Kuppel der Prophetenmoschee stehend, wie die saudi-arabische Zeitung „Arab News“ (Onlineausgabe) am Mittwoch berichtete.

Zwei Männer, einer betend, einer ein Selfie schießend, beim Hadsch in Mekka

Reuters/Amr Abdallah Dalsh

„Selfie-Fieber“ während des Hadsch

Das „Selfie-Fieber“ habe Pilger und Besucher der zwei heiligen Moscheen in jüngster Zeit „im Sturm gepackt“, wie die Zeitung es formuliert - sehr zum Ärger von Gelehrten und anderen Pilgern, die ein solches „touristisches Benehmen“ verurteilen würden.

Pilgerfahrt als Social-Media-Event

„Ich habe Pilger in Al-Masdschid al-Haram (der großen Moschee in Mekka, Anm.) gesehen, die Selfies mit der Kaaba im Hintergrund aufgenommen und sie dann auf Facebook gepostet haben“, sagte Sahra Mohammed, eine 27-jährige Lehrerin für Islamstudien aus Riad, den „Arab News“. Dadurch hätten sie einen Social-Media-Event daraus gemacht und so ihre „Ibadah“ (gottesdienstliche Handlung) durch „Demutsprahlerei“ zerstört.

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Video-on-Demand

Der grassierende Drang, jeden Schritt in der Nähe der heiligen Moscheen in Mekka und Medina zu dokumentieren und „diese kostbaren Momente mit Freunden und Familien in den Sozialen Netzwerken zu teilen“, habe zu einem stärkeren Gebrauch von Mobiltelefonen in den heiligen Stätten geführt als je zuvor, so die Zeitung.

Fotografieren ohne „legitimen Grund“

Dieses Verhalten könne dazu führen, dass Gläubige während des wichtigen, für viele Muslime einzigartigen Ereignisses, des Hadsch, von „Bescheidenheit und Gelassenheit“ abgehalten würden. Das Fotografieren ohne einen legitimen Grund ist ohnehin ein Diskussionsthema unter islamischen Gelehrten.

Abgesehen davon solle es aber keinen Disput über das Thema geben, wenn es um „die wahre Bedeutung des Hadsch und die Essenz“ gehe, sagte Assim al-Hakim, ein Gelehrter aus Dschidda, gegenüber „Arab News“. Der Prophet selbst habe gesagt: „‚O Allah, ich bitte dich um eine Pilgerfahrt ohne Prahlerei und Angeberei.‘ Solche Selfies und Videos zu machen widerspricht dem Wunsch unseres Propheten.“

Pilger umrunden die Kaaba in Mekka im Zuge des Hadsch

APA/EPA/Ali Hassan

Pilger umrunden die Kaaba in Mekka im Zuge des Hadsch

„Es ist, als ob der einzige Grund für diese Reise diese Bilder seien und nicht das Gebet“, so der prominente Gelehrte Abdel Rassak al-Badr über Selfies schießende Pilger. „Und wenn sie heimkommen, sagen sie: ‚Schau mich an, das bin ich auf dem (Berg, Anm.) Arafat, das bin ich in Musdalifa (Ort nahe Mekka, wo viele Pilger unter freiem Himmel übernachten, Anm.)!‘“ Man sehe Leute, die Gesten der Demut vor der Kamera vollführen und diese dann gleich nach dem Schießen eines Fotos wieder unterlassen würden.

Vor ein paar Jahren galt noch Kameraverbot

Der „plötzliche“ starke Anstieg von Selfies und Fotos in den heiligen Stätten entspreche zum einen dem weltweiten Trend zur fotografischen Selbstdarstellung, zum anderen habe er auch etwas mit den höheren Verkaufszahlen in der Fotobranche und der weiter verbreiteten Nutzung von Smartphones zu tun, vermuten die „Arab News“. Zudem war es bis vor wenigen Jahren überhaupt verboten, Kamerahandys in die Moscheen mitzunehmen - obwohl auch damals einige Pilger es geschafft hatten, sie hineinzuschmuggeln.

Jedenfalls scheinen die zuständigen Behörden diese Regeln nun gelockert zu haben. Pilger, die bei der Kaaba posieren, sind kein unüblicher Anblick mehr, wie man dem „Arab News“-Artikel entnehmen kann. Lediglich professionelle Kameras würden von den Wächtern an den Eingängen der Moscheen verboten werden.

In Andacht gestört?

Gläubige fühlten sich durch die Kameras in ihrer Andacht gestört: Man habe sogar das Gebet in der Großen Moschee gefilmt, beklagte sich ein Pilger. Die Zahl der Menschen, die er mit Kameras in den heiligen Stätten während seiner Umrah, einer kleineren Pilgerfahrt, die im Gegensatz zum Hadsch jederzeit durchgeführt werden kann, gesehen habe, sei in die Tausende gegangen.

Diese Ausbreitung sei schwer zu stoppen, weil so viele Menschen Kamerahandys hätten, fügte er hinzu. Sein Vorschlag: Die Veranstalter von Hadsch-Reisen sollten ihre Gruppen informieren und vom exzessiven Kameragebrauch abhalten - damit sie nicht sich und andere vom Hauptgrund ihrer Pilgerreise abhalten.

religion.ORF.at

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