Erster amerikanischer Anti-Nazi-Film ist in Wien zu sehen

Beim Jüdischen Filmfestival Wien steht heute die Europa-Premiere einer filmhistorischen Rarität auf dem Programm. „Hitler’s Reign of Terror“ aus dem Jahr 1934 ist der erste US-amerikanische Anti-Nazi-Film.

Die Dokumentation verdankt sich einem Mann namens Cornelius Vanderbilt IV., der mit einem erheblichen Vermögen ausgestattet gewesen sein dürfte. Jedenfalls konnte er sich eine damals für Privatleute kaum erschwingliche Filmausrüstung leisten und mit ihr durch Europa reiste. Sein klingender Name – er war der Nachfahre eines Eisenbahn- und Dampfschiffindustriellen – muss seine journalistische Karriere durchaus befördert haben. Es heißt, er habe unter anderem Stalin, Mussolini und Papst Pius XI. interviewt.

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Jüdisches Filmfestival Wien
religion.ORF.at begleitet das Jüdische Filmfestival Wien als Medienpartner und berichtet über ausgewählte Programmpunkte.

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Ein nachgespieltes Hitler-Interview

Für seinen Anti-Nazi-Film fuhr Vanderbilt mit zwei französischen Kameraleuten durch Deutschland und Österreich. In Wien bekam er einige Nazi-Tumulte zu sehen. Auch das Grab der Hitler-Eltern in Leonding war ihm einen Besuch wert. In Berlin will Vanderbilt auch Hitler begegnet sein. Am Tag der Reichstagswahl, dem 5. März 1933, unmittelbar vor einer großen Rede im Sportpalast, sei es ihm gelungen, dem neuen Reichskanzler ein paar Sätze zu entlocken.

„Sagen Sie den Amerikanern“, soll Hitler dabei verkündet haben, „dass Adolf Hitler der Mann der Stunde ist, nicht weil er von Hindenburg zum Kanzler ernannt wurde, sondern weil niemand sonst hätte ernannt werden können.“ Auf die letzte Frage Vanderbilts „Und was ist mit den Juden, Exzellenz?“ gab Hitler keine Antwort. Im Film wird das kleine Interview nachgespielt - vor einem Plakat, auf dem es heißt: „Hitler sprecht (statt spricht) heute abend.“

Screenshot Hitler's Reign of Terror

Jüdisches Filmfestival Wien

In Berlin will Vanderbilt auch Hitler begegnet sein. Das wird jedoch heute von Historikern stark angezweifelt

Ob die Szene wirklich so stattgefunden hat, ist mehr als fraglich. Wie Sven Felix Kellerhoff in der „Welt“ herausgefunden hat, war Hitler am genannten Tag gar nicht im Sportpalast. Die anschließend gezeigten Redeausschnitte stammen nicht vom 5. März, sondern vom Wahlkampfauftakt am 10. Februar 1933. Aufgrund dieser und weiterer Indizien bezeichnet Kellerhoff die ganze Szene daher als „Wunschdenken“.

Ein gespieltes Interview hat natürlich keine dokumentarische Aussagekraft. Von historischem Interesse ist daher nicht, ob und was Hitler geantwortet hat, sondern die Fragestellung. Sehr früh wird hier die – wie sich zeigen sollte - nur allzu berechtigte Sorge um das Schicksal der Juden in Deutschland zum Ausdruck gebracht.

Eine andere Spielszene zeigt, wie Vanderbilts Fahrzeug von Nazis angehalten und kontrolliert wird. Zum Glück hat er vorher seine Filmrollen an der Unterseite des Autos versteckt. Einige davon werden aber doch entdeckt und beschlagnahmt. Jedenfalls, das soll die Szene verdeutlichen, gelang es dem Reporter nicht, sein gesamtes Material nach Hause zu bringen.

Der Film mischt daher selbst gedrehtes Material mit Wochenschau-Bildern. Für die Fertigstellung in den USA engagierte Vanderbilt den bekannten NBC-Mann Edwin Hill als Sprecher und Interviewer sowie Michael Mindlin als Regisseur, vor allem für die Spielszenen – wobei sich Mindlin nicht als großes Talent outet. Vanderbilt spielt sich selbst und tritt als engagierter Journalist auf. In von Hill geführten Interviews erzählt er ausführlich von seinen Eindrücken.

Ein verschollener Film

Der Film wurde am 30. April 1934 im Mayfair Theatre am Broadway uraufgeführt und erlebte, obwohl er keine Lizenz bekommen hatte, einige gut besuchte Folgeaufführungen in New York. Aber heftige Proteste der deutschen Botschaft und die auch von der Filmindustrie übernommene Staatsräson, nach der jede Provokation Deutschlands vermieden werden sollte, riefen die Zensoren auf den Plan. In Chicago konnte der Film nur unter einem verkürzten Titel („Hitler’s Reign“, Hitlers Herrschaft) gezeigt werden. Zahlreiche Änderungen mussten vorgenommen werden. Aber auch die zensurierte Fassung war bald aus den Kinos verschwunden.

Über Jahrzehnte galt der Film als verschollen, bis im Vorjahr in einem belgischen Filmarchiv eine Kopie auftauchte. Vermutlich hatte sie jemand bestellt und dann – weil inzwischen die Deutschen auch in Belgien einmarschiert waren – nicht vom Zoll abgeholt.

„Ein Fiasko“

Die Begegnung mit diesem frühen Aufschrei gegen Hitler hinterlässt ein zwiespältiges Gefühl. Die filmhistorische Bedeutung steht außer Zweifel, die Europa-Premiere ehrt die Veranstalter. Aber so sehr das Anti-Nazi-Engagement anzuerkennen ist, so misslungen ist die Dokumentation als Film. „Unfreiwillig komisch“ wirke das Werk heute, schrieb Solveig Grothe im „Spiegel“. Auch das Urteil der US-Presse nach der Uraufführung war vernichtend. Das Branchenblatt „Variety“ fand ein klares Wort: „ein Fiasko“. Der Kritiker der New York Times, Mordaunt Hall, schrieb: „Vanderbilts und Hills Worte wären unendlich viel wirksamer gewesen, hätten sie ein wenig Feingefühl und Sinn für Humor an den Tag gelegt.“ So ist „Hitler’s Reign of Terror“, was das Filmhandwerk betrifft, vor allem eines: ein Schulbeispiel für den Unterschied zwischen „gut“ und „gut gemeint“.

Christian Rathner, religion.ORF.at

Außerdem am 12. Oktober im Programm

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Hitler’s Reign of Terror
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