Wenn Männer Frauen besitzen - Scheidung in Israel

Der Spielfilm „Gett“ begleitet ein Paar durch einen fünf Jahre andauernden Scheidungsprozess vor einem Rabbinatsgericht in Israel. Ein Lehrstück über männliche Macht und Missbrauch in Namen Gottes.

Die Kamera ist starr und unbeweglich und genauso festgefahren ist die Situation, in der sich Viviane Amsalem (Ronit Elkabetz) befindet. Der Film „Gett - Der Prozess der Viviane Amsalem“ nimmt nicht nur die Protagonisten, sondern auch die Zuseher im engen Raum eines israelischen Rabbinatsgerichts gefangen. Zwei Stunden lang - im Film sind es fünf Jahre - wird das Publikum Zeuge eines Streits um den Gett, den sogenannten jüdischen Scheidebrief, den Viviane von ihrem Ehemann Elisha (Simon Abkarian) vor Gericht erbittet. Einfordern kann sie ihn nicht, denn nur Männer können nach israelischem Recht die Scheidung beantragen.

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Jüdisches Filmfestival Wien
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Die Praxis des Gett geht auf das 5. Buch Moses der Thora zurück. Dort wird im Kapitel 24 die Praxis des Scheidebriefes bereits vorausgesetzt: “Wenn ein Mann eine Frau geheiratet hat und ihr Ehemann geworden ist, sie ihm dann aber nicht gefällt, weil er an ihr etwas Anstößiges entdeckt, wenn er ihr dann eine Scheidungsurkunde ausstellt, sie ihr übergibt und sie aus seinem Haus fortschickt, wenn sie sein Haus dann verlässt, hingeht und die Frau eines anderen Mannes wird, wenn auch der andere Mann sie nicht mehr liebt, ihr eine Scheidungsurkunde ausstellt [...], dann darf sie ihr erster Mann, der sie fortgeschickt hat, nicht wieder heiraten." Es ist der Mann, der hier in den jahrtausendealten Texten alleine über die Frau bestimmen kann.

Doch auch heute, nach jüdischer Zeitrechnung ist das das Jahr 5775, kann eine jüdische Frau in Scheidungsangelegenheiten nicht viel gegen den Willen eines Mannes ausrichten. Und genau dort fokussiert der Film: „Niemals“ werde er in die Scheidung einwilligen, sagt Elisha vor dem Rabbinatsgericht. Ihre Ehe sei gottgewollt und daher ihr beider Schicksal, komme was wolle. Gleich zu Beginn zementiert er so seinen Standpunkt. Doch ohne Scheidungspapiere ist Viviane nicht frei. In Israel fallen Vermählung und Scheidung noch immer in die alleinige Zuständigkeit der Religonsgemeinschaften. Und so muss das Film-Ehepaar Amsalem vor das Rabbinatgericht. Dort sitzen drei Männer am hohen Podest und urteilen, ausgestattet mit göttlicher Autorität.

Screeenshot Gett

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Viviane kämpft mehr als fünf Jahre um den Scheidebrief von ihrem Ehemann Elisha

Reale Fiktion

Was jetzt beginnt, ist zwar im Film eine fiktive Handlung, hat aber viele Vorlagen aus dem realen Leben von Paaren in Israel. Man wird Zeuge eines Prozesses, der außerhalb des Heilsystems, in dem sich die handelnden Personen befinden, nur als absurd beschrieben werden kann. Es wird eine Logik bedient, die man nur innerhalb der orthodoxen jüdischen Kultur und Frömmigkeit begreifen kann.

Was sich zunächst als besonders fromme Gesetzestreue von Elisha tarnt, entpuppt sich schnell als krankhaftes Besitzen-Wollen um jeden Preis. Bei „Gett“ ziehen sich die Verhandlung über Jahre und dennoch wird es einem als Zuseher nicht langweilig. Gebannt, entsetzt und kopfschüttelnd verfolgt man die Statements von Familienangehörigen, lauscht den Plädoyers der Anwälte.

Screenshots aus Gett

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Elisha (re.) und sein Bruder (li.) vor Gericht

Es geht um die Macht von Männern über Frauen, Macht die keine Argumente braucht, die sich willkürlich auf Gesetze bezieht und sich letztlich auf Gott beruft, wenn keine Logik mehr hilft. Viviane, eine starke selbstbewusste Frau, ist nicht nur ihrem Ehemann nahezu hilflos ausgeliefert, sondern auch den drei Rabbiner-Richtern. Das Unrecht ist offensichtlich, aber es scheint hier eher um Ordnung, Recht und Machterhalt als um Gerechtigkeit zu gehen.

Willkür der Männer über Frauen

Die Scheidung, die Viviane so vehement einfordert, war vor 1.000 Jahren meist ein Problem in die umgekehrte Richtung. Allzu leicht konnten sich Männer ihrer ungeliebt gewordenen Frauen mit einem willkürlich ausgestellten Scheidungsbrief entledigen. Dieser Praxis hat Rabbenu Gerschom ben Jehuda (965 - 1028) schließlich ein Riegel vorgeschoben. Seither darf sich ein Ehemann nicht ohne Zustimmung seiner Ehefrau von ihr scheiden lassen. Die jüdischen Gemeinden Europas haben diesen Beschluss Gerschom ben Jehudas anerkannt. Doch auch hinter dieser Regel stand kaum Mitgefühl mit den Frauen, als vielmehr die Sorge um das Ansehen und der Ruf der Juden unter den Andersgläubigen.

Aber warum ist es so schwer für das Rabbinergericht dem Begehren der Viviane nachzugeben und die Scheidung zu verfügen? Einerseits gilt die Familie als hohes gut und verdient größtmöglichen Schutz. Daher verfügen die Richter in der Hoffnung auf ein „Zusammenstreiten“ ein erneutes Zusammenleben des zerstritten Paares für einige Monate.

Geregelte Gründe für einen Scheidung

Andererseits sind die Gründe, bei denen ein jüdisches religiöses Gericht einen Ehemann zur Scheidung zwingen kann, genau geregelt. Zum Beispiel dann, wenn ein Mann sich weigert, mit seiner Frau Geschlechtsverkehr zu haben oder er seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Auch wenn ein Mann seiner Frau untreu ist, sie immer wieder schlägt oder unter einer abstoßenden Krankheit leidet.

Bei “Gett” werden all diese Punkte sorgfältig untersucht, Zeugen befragt. Doch nichts davon trifft zu. Elisha schlägt seine Frau nicht, sie haben vier Kinder und er ist weder krank noch verweigert er den Unterhalt. Viviane will nicht länger in dieser Beziehung leben, weil Elisha sie nicht liebt, nie geliebt hat, die Ehe als Pflicht ansieht und psychischen Druck ausübt. Dieser Fall ist aber im Gesetz nicht geregelt.

“Gett” spielt in einem Mikrokosmos. Im Gericht kennen sich alle. Man ist verwandt, verschwägert, besucht die gleiche Synagoge, stammt aus dem gleichen Dorf. Es gibt Abhängigkeiten, niemand hat einen freien unvoreingenommenen Blick auf das streitende Paar. Gerne vermeidet man auch ein genaueres Hinschauen auf den Nachbarn und verbirgt selbst die eignen Probleme so gut wie es eben geht. Ein Problem, das es oft bei den Ortsrabbinaten zu geben scheint.

Screenshots aus Gett

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Nach fünf Jahren wird Viviane endlich in die „Freiheit“ entlassen

Gesetzliche Erleichterungen seit 2013

Im Mai 2013 wurde daher in Israel von Naftali Bennett, dem Minister für religiöse Dienste, bekannt gegeben, dass Eheschließungen und auch Scheidungen nicht mehr vor dem örtlich zuständigen orthodoxen Ortsrabbinat behandelt werden müssen, Paare sollen schon bald frei sein, unter allen Rabbinatsstellen auswählen zu können. Zu einer säkularen staatlichen Eheregelung, die auch gemischt religiöse Ehen anerkennen würde, konnte man sich nicht durchringen.

Nach fünf Jahren Ringen haben die Geschwister Ronit und Shlomi Elkabetz als Drehbuchautoren und Regisseure dieses fesselnden Kammerspiels endlich Erbarmen mit der Figur der Viviane. Die Kamera wird beweglich. Viviane blickt endlich nicht nur gegen die schäbigen Wände des Gerichtssaals sondern durch eine Scheibe hinaus in die Natur. Sie beginnt zu gehen und als Zuseher heftet man sich an ihre Fersen. Gemeinsam wird man mit Viviane in die „Freiheit“ entlassen.

Marcus Marschalek, religion.ORF.at

Außerdem am Mittwoch 15. Oktober

The Lady in Number 6
Die im März dieses Jahres verstorbene Alice Herz-Sommer hat 107 Jahre lang Klavier gespielt. Ihr Talent wurde bereits im Kleinkindalter entdeckt, später war sie eine gefeierte Pianistin der Zwischenkriegszeit. 1943 wurde die gebürtige Pragerin von den Nationalsozialisten nach Theresienstadt deportiert und musste dort – für Propagandazwecke – Klavierkonzerte geben.
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In der Stille der Nacht
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18.30 Uhr, Gartenbaukino, Spielfilm, 90 Minuten, dt. OF

Gett
Ein Rabbinergericht in Tel Aviv. Im Gerichtssaal wartet Viviane Amsalem auf ihren Ehemann Eliyahu, um sich von ihm scheiden zu lassen. Vergeblich, er willigt nicht ein. Immer und immer wieder treffen die beiden vor Gericht aufeinander, jahrelang kämpft Viviane um ihre Freiheit, doch die Situation scheint aussichtlos: Am Rabbinergericht führt in Israel kein Weg vorbei.
18.00 Uhr, De France, Spielfilm, 115 Minuten, hebr./franz. OF, engl. UT