Marcel Ophüls: „Ein Reisender“ in Wien

Am vorletzten Tag des Jüdischen Filmfestivals 2014 ist ein Altmeister des Kinos in Wien zu Gast: Marcel Ophüls präsentiert seine filmische Autobiographie „Ein Reisender“, („Un Voyageur“).

Marcel Ophüls präsentiert in dem Film sehr persönliche Erinnerungen und verdichtet diese mit Exkursen in die Filmgeschichte zum Dokument einer ganzen Epoche.

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Jüdisches Filmfestival Wien
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Marcel Ophüls wurde 1927 in Frankfurt am Main geboren. Sein Vater, Max Ophüls, war der Sohn eine jüdischen Textilkaufmanns Leopold Oppenheimer in Saarbrücken, wo heute das Max-Ophüls-Filmfestival an ihn erinnert. Max Ophüls war ab 1925 als Schauspieler am Wiener Burgtheater engagiert, führte aber auch Regie am Akademietheater. 1926 heiratete er seine Schauspiel-Kollegin am Burgtheater, Hilde Wall.

Ihr Sohn Marcel wurde 1927 geboren, allerdings nicht in Österreich, sondern in Frankfurt am Main. Denn nach seiner vierten Theaterregie war Max Ophüls aufgrund wachsender antisemitischer Ressentiments am Burgtheater gekündigt worden. 1933, als Hitlers Nazi-Partei ihre Macht in Deutschland etablierte, gingen die Ophüls‘ nach Paris. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich flohen sie weiter in die Vichy-Zone, bevor ihnen über Spanien die Ausreise in die USA glückte.

Dokumentarischer Blick auf die Zeitgeschichte

1950 kehrte die Familie nach Paris zurück. Marcel Ophüls arbeitete zunächst als Regie-Assistent bzw. Regisseur von Spielfilmen, wandte sich dann aber auch dem Genre des Dokumentarfilms zu, in dem er seine größten Erfolge feierte. Ein zentrales Thema seiner filmischen Forschungsarbeit war die Zeit des Nationalsozialismus.

In „München oder Frieden in unserer Zeit“ (1967) etwa beleuchtet Ophüls die Hintergründe des Münchner Abkommens zwischen dem Deutschen Reich sowie England, Frankreich und Italien über die Angliederung der deutsch besiedelten Gebiete Böhmens und Mährens an das deutsche Reich. Der Film beginnt mit einem Zitat von Ambrose Bierce: „In internationalen Angelegenheiten nennt man die Periode der Betrügereien zwischen zwei Perioden des Kämpfens Frieden.“

Marcel Ophüls

Jüdisches Filmfestival Wien

Marcel Ophüls in „Un Voyageur“

Ein neues Bild von Vichy

„Le Chagrin et la pitié” (Leid und Mitleid, deutscher Verleihtitel „Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege“, 1969) befasst sich mit Frankreich zur Zeit der deutschen Besatzung. Widerstand und Kollaboration der Bevölkerung und des Vichy-Regimes werden thematisiert. Der Film führte zu heftigen Reaktionen, weil er dem bis dahin gepflogenen Bild von einem im Widerstand geeinten Frankreich widersprach.

„A Sense of Loss“ (Ein Gefühl von Verlust, 1072) macht anhand von vier Todesfällen in Belfast den Nordirland-Konflikt anschaulich. „The Memory of Justice“ (Erinnerung der Gerechtigkeit, 1976) analysiert die Hintergründe von in Kriegszeiten begangenen Gräueltaten.

Oscar für Klaus-Barbie-Dokumentation

„Hotel Terminus: Leben und Zeit des Klaus Barbie“ (1988) über den SS-Kriegsverbrecher, der als „Schlächter von Lyon“ in die Geschichte eingegangen ist, wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. Der Film ist eine 267 Minuten lange präzise Rekonstruktion, ein Lehrstück über die Grausamkeit. Im Hotel Terminus in Lyon hatte die Gestapo während der deutschen Besatzung 20 Zimmer zu sogenannten Vernehmungsräumen umfunktioniert. Mit „Un Voyageuer“ stellt Ophüls sein Lebenswerk noch einmal zur Diskussion.

Christian Rathner, religion.ORF.at

Heute, Mittwoch, 22. Oktober:

Fred Bondi. Glückskind
Nach einer langen Odyssee kehrt Fred Bondi mit 90 Jahren in seine Geburtsstadt Wien zurück. Im Film erinnert er sich an seine Kindheit und seine Jugendjahre, an den schwellenden Antisemitismus im Wien der 1920er und 1930er Jahre, an die Propaganda der Nationalsozialisten und an den vielerorts bejubelten Einmarsch Hitlers. Bondi erzählt von seiner Flucht und seinen Stationen des Exils. Dabei erteilt er keine Lektionen sondern regt vielmehr zum Nachdenken an. Sein Erlebnisbericht hinterlässt eine Spur in der Geschichte.
Dokumentarfilm, 89 Minuten, franz. mit dt. Ut
16.15 Uhr, DeFrance

Gatekeepers
Für seinen Film „Gatekeepers“ gelang es Regisseur Dror Moreh erstmals, sechs ehemalige israelische Geheimdienst-Chefs vor die Kamera zu bekommen, die in Gesprächen offen über ihre Zeit bei Schin Bet sprechen. Zu den Aufgaben von Schin Bet zählen Terrorismusbekämpfung, Spionageabwehr sowie Abwehr staatsfeindlicher Aktivitäten. Es ist eine der geheimsten Organisationen der israelischen Sicherheitskräfte. Die Schin Bet-Offiziere berichten über bedeutende Ereignisse ihrer Amtszeit und sprechen ungeschönt über den Zwiespalt, in dem sie sich auf Grund von Foltermethoden, Terror, Verhaftungen und Ermordungen befanden.
Dokumentarfilm, 101 Minuten, hebr. OF mit engl. Ut
18.15 Uhr, DeFrance
In Anwesenheit von Dror Moreh

Un Voyageur
Marcel Ophüls, ist einer der bedeutendsten Chronisten seiner Zeit. Der Sohn des großen Max Ophüls sorgte in den 1960er Jahren mit seinem Film „Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege“ für Aufregung, da er das Thema Kollaboration und Widerstand während der deutschen Besatzung Frankreichs in neuem Licht erscheinen ließ. Für „Hotel Terminus“ (1988), in dem er über das Leben des Gestapo-Manns Klaus Barbie berichtet, erhielt Ophüls den Oscar. Nun legt der Grandseigneur des dokumentarischen Films seine filmischen Memoiren vor und fügt individuelle wie kollektive Erinnerungen zusammen zu einem Mosaik einer Epoche und seiner Filmgeschichte.
Dokumentarfilm, 106 Minuten, engl./franz. OF mit engl. Ut
20.15 Uhr, Votivkino
In Anwesenheit von Marcel Ophüls

Erschlagt mich, ich verrate nichts
Käthe Sasso ist eine der letzten noch lebenden Zeitzeuginnen, die vom Ende der ersten Republik und dem ungleichen Kampf gegen die Nationalsozialisten erzählen können. Schon während der Zeit des Austrofaschismus war sie im politischen Widerstand aktiv. Von einem Gestapo-Spitzel denunziert, wurde sie 1942 in Wien inhaftiert und später ins KZ deportiert. Regisseur Kurt Brazda begleitet die inzwischen 87-Jährige, wie sie ihren Erlebnissen auf Wiener Originalschauplätzen nachspürt und von ihrer Widerstandsgeschichte und den Jahren in der Haft erzählt. Viele aus der Widerstandsgruppe wurden hingerichtet. Ihren MitkämpferInnen und Käthe Sassos Vermächtnis setzt diese Dokumentation ein filmisches Andenken.
Dokumentarfilm, 80 Minuten, dt. OF.
20.30 Uhr, DeFrance
In Anwesenheit von Käthe Sasso und Regisseur Kurt Brazda