Schönborn: „Edith Stein: vorurteilsfreies Hinhören“

Auf die Vorbildwirkung der Heiligen Edith Stein hat Kardinal Christoph Schönborn am Freitagabend beim Auftakt-Gottesdienst zur diesjährigen „Edith-Stein-Tagung“ im Stephansdom verwiesen.

Stein ermutige dazu, „das Wissen um unserer Erwählung als Kinder Gottes bewusst zu halten, Gott mit einem hörenden Herzen zu suchen und die Zeichen der Zeit zu erkennen und im Licht des Evangeliums zu deuten“. Die diesjährige Edith-Stein-Tagung im Erzbischöflichen Palais in Wien steht unter dem Motto „Menschenbilder, Menschenwürde und Menschenrechte“ und dauert noch bis Samstag.

Edith Stein, Johannes Paul II.

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Edith Stein, Johannes Paul II.

In eindrucksvoller Weise habe Stein, die 1891 als Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Breslau geboren wurde und später zum Christentum konvertierte und in den Karmel der unbeschuhten Karmelitinnen in Köln-Lindenthal eintrat, etwa zu Beginn der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 in einem Brief an den damaligen Papst Pius XI. vor einer schweigenden Kirche gewarnt und gleichzeitig eine klare Positionierung gegen den Nationalsozialismus und die aufkommende Juden-Verfolgung gefordert.

Friede nicht durch Schweigen erkäuflich

Der Friede mit der Deutschen Regierung sei nicht durch Schweigen erkäuflich, bald werde in Deutschland kein Katholik mehr ein Amt haben, wenn er sich nicht der entsprechenden Ideologie beuge, habe die heutige Mitpatronin Europas damals in dem Brief die Entwicklung der kommenden Jahre vorausgesehen.

Schönborn beschrieb Stein auch als „leidenschaftliche Suchende“ von Jugend an, die ihr Ziel schließlich nach ihrer Konversion zum Christentum im Glauben an Gott gefunden habe. Die vorurteilsfreie Weise sich Dingen und Phänomenen zu näheren, die ihr zu eigen gewesen sei, habe ihr „hörendes Herz“ ausgemacht, „das fähig war, die Stimme Gottes wahrzunehmen“.

Expertin: Steins Tod war Substitution

Den Tod der Ordensschwester, der sie 1942 in einer Gaskammer in Auschwitz ereilte, umschrieb die deutsche Stein-Expertin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz in einem anschließenden Vortrag im Erzbischöflichen Palais als „äußerte Übergabe“, als Stellvertretungs-Tod.

In ihrem Testament habe Stein bereits Jahre zuvor und ohne die genauen Umstände ihres Todes zu kennen, formuliert, Gott möge ihren Tod annehmen für die Kirche, ihre Familie, ihre Freunde, den Karmel, die Ignoranz der Juden Jesus gegenüber aber auch für Deutschland, „damit die Herrschaft des Antichrist ohne einen Weltkrieg zu Ende geht“.

Stellvertretend für das deutsche Volk gestorben

Stein sei in Auschwitz stellvertretend für das deutsche Volk gestorben und so eine jener Märtyrerinnen, „auf dessen Schultern wir versuchen können, in eine neue Zukunft zu gehen“. Über die Ungeheuerlichkeiten der Nazi-Herrschaft könne „nicht einfach so hinwegspazieren“ werden, stellte die Expertin klar.

Dazu brauche es Heilung, die in die Tiefe geht. Die (Lebens-)Hingabe Edith Steins sei ein Stück solche Heilung, so Gerl-Falkovitz, die seit ihrer Emeritierung von der TU Dresden 2011 das neu gegründete Institut EUPHRat („Europäisches Institut für Philosophie und Religion“) an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz leitet.

Ich-Du-Beziehung

Eine bleibende Wirkung habe auch Steins Verständnis vom Menschen, das sehr stark von einer Leib und Geist umfassenden Ich-Du-Beziehung ausgehe, in der sich das Ich mit der Öffnung auf ein konkretes Du hin konkretisiere und entfalte.

Gerade in einer Zeit der zunehmenden Digitalisierung von Beziehungen, deren Kommunikation oftmals virtuell über Medien wie Telefon oder Computer passiere und so keine richtige Tiefe mehr erreiche, könnte die Anthropologie Edith Steins einen fruchtbaren Gegenentwurf bilden.

Gerl-Falkovitz konkretisiert das an einem Beispiel: „Eine Liebeserklärung über Telefon bleibt an der Oberfläche, weil die laue Mainacht fehlt, die Nachtigall, das rasende Herz, die versagende Stimme.“ Diese ausbleibenden seelischen und körperlichen Resonanzen machten den Menschen ein Stück ärmer, denn, „in dem ich mich körperlich und seelisch verausgabe - das rasende Herz, die bangen Gedanken, die krächzende Stimme - setze ich Potenzen und Energien in mir selber frei. Alles, das ich bin, mein Leib, die Kraft, die Bewegungsfreude kommt nicht in Schwung, wenn ich nur auf den Bildschirm starre.“

Mensch im Zentrum der Tagung

Menschenbilder, Menschenwürde und Menschenrechte stehen im Mittelpunkt der diesjährigen Tagung der „Edith Stein Gesellschaft Österreich“ am 24. und 25. Oktober in Wien. Weitere Vortragende am Samstag, 25. Oktober, sind u.a. Anna Mayrhofer vom Verein Solwodi, der Wiener Aids-Seelsorger Clemens Kriz, Psychiater und Psychotherapeut David Oberreiter und die Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel.

Begleitend dazu können auch von verschiedenen Referenten gestaltete Einkehrnachmittage, Exerzitien oder Vertiefungstage im „KarmelZentrum Wien“ besucht werden.

Die Tagung wird von der Edith-Stein-Gesellschaft Österreich gemeinsam mit der Wiener Katholischen Akademie, dem Teresianischen Karmel in Wien und dem Institut für Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Wien veranstaltet. Die Vorträge werden via Livestream im Internet unter www.edith-stein-gesellschaft.at übertragen.

Die „Edith-Stein-Gesellschaft Österreich“ wurde im Herbst 2012 gegründet. Ziel der Gesellschaft ist es, „die Erinnerung an Edith Stein - als Frau, Philosophin, Tochter des jüdischen Volkes, Christin und Karmelitin und ihre Verehrung als Heilige und Mitpatronin Europas zu wecken, wach zu halten und zu vertiefen“. Die Gesellschaft will das philosophische, pädagogische und spirituelle Erbe Edith Steins erschließen, in den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs einbringen und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.

Leben einer Heiligen

Edith Stein wurde 1891 als Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Breslau (heute: Wroclaw) geboren. Sie studierte Philosophie, Germanistik, Geschichte und Psychologie. 1922 trat sie zum katholischen Glauben über. Sie wurde Lehrerin am Lehrerinnenseminar in Speyer, das von Dominikanerinnen geführt wurde. Stein lebte wie eine Ordensfrau. 1933 trat sie in den Kölner Karmel „Maria vom Frieden“ ein; ihr Ordensname lautete Sr. Teresia Benedicta vom Kreuz.

Nach dem NS-Pogrom am 9. November 1938 konnte auch Stein mit ihrer jüdischen Herkunft nicht mehr in Deutschland bleiben. Sie floh nach Holland und lebte dort im Karmel in Echt. Mit der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen und nach der Verlesung eines Hirtenbriefs der katholischen Bischöfe 1942 in niederländischen Kirchen, in denen sie gegen die Judenverfolgung protestierten, wurde es auch hier gefährlich.

Am 2. August 1942 wurden Stein und ihre mittlerweile ebenfalls getaufte und zu ihr nach Echt gereiste Schwester Rosa verhaftet. Wenige Tage später wurden die Frauen in das KZ Westerbork und von dort nach Auschwitz gebracht. Edith Stein gehörte zu jenen Gefangenen, die sofort getötet wurden.

Papst Johannes Paul II. sprach sie 1987 bei seinem Deutschlandbesuch in Köln selig. 1998 wurde sie heiliggesprochen und ein Jahr später zur „Mitpatronin Europas“ erhoben.

religion.ORF.at/KAP

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