Das Werk: Aussteiger erheben schwere Vorwürfe

Die geistliche Gemeinschaft Das Werk mit Hauptsitz in Vorarlberg gilt Kritikern seit Jahren als zweifelhafte ultrakonservative Hochburg innerhalb der katholischen Kirche. Jetzt melden sich Aussteiger zu Wort - und üben scharfe Kritik.

Er habe am Ende jeden Tag geweint, erzählt der Engländer Darren Canning, der sechs Jahre lang Mitglied der Gemeinschaft war, im Gespräch mit dem ORF-Religionsmagazin „Orientierung“. „Ich habe immer gehofft und darum gebetet, einfach zu sterben. Es war die Hölle.“ Canning stieg 2003 aus der Gemeinschaft aus. Er stand vor dem Nichts, hatte weder Ausbildung noch Geld und musste sich in seinem Heimatland ein völlig neues Leben aufbauen.

Sendungshinweis:

„Orientierung“, am Sonntag, 9. November, 12.30 Uhr, ORF 2
„Das Werk“: Aussteiger erheben schwere Vorwürfe

Das Werk wurde 1938 von der Belgierin Julia Verhaeghe (1910 bis 1997) gegründet. 2001 wurde es vom damaligen Papst Johannes Paul II. als „Familie des geweihten Lebens päpstlichen Rechts“ anerkannt. Zur Gemeinschaft gehören eine Schwestern- und eine Priestergemeinschaft. Darüber hinaus gibt es auch nicht-geweihte männliche und weibliche „Mitglieder im weiteren Sinn“. Das Werk betreibt neben dem Hauptquartier im Kloster Thalbach in Bregenz weitere Niederlassungen in mehreren Ländern Europas, in den USA und in Jerusalem.

Darren Canning

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Darren Canning im Interview mit der „Orientierung“

Kaum Kontakte nach außen

Canning berichtet laut „Orientierung“ von einem „System aus religiösem Wahn, Überwachung und Unterdrückung, das abgestellt werden müsse“. Kontakte zur außenstehenden Personen seien beispielsweise nur sehr begrenzt möglich gewesen, erzählt er. Über die Inhalte sämtlicher Telefongespräche und Briefe musste er den Ordensoberen Rechenschaft ablegen, selbst wenn sie völlig belanglos waren. Ein Sprecher der Gemeinschaft bestätigt gegenüber der „Orientierung“ zwar, dass es diese Regeln gegeben habe, beteuert aber, dass sie mittlerweile abgeschafft worden seien.

Doch Canning erhebt weitere Vorwürfe: Die Einschränkung persönlicher Kontakte sei so weit gegangen, dass er nicht zur Beerdigung seines verstorbenen Großvaters nach England reisen durfte. Die Gemeinschaft habe sich daran gestoßen, dass dieser kein Christ gewesen sei, so Canning. Der Sprecher der Gemeinschaft dementiert: Hätte Canning sich wirklich darum bemüht, dann wäre die Reise erlaubt worden, sagte er.

Missbrauch im Beichtstuhl?

Canning ist allerdings nicht der einzige Aussteiger, der Vorwürfe erhebt. Ein ehemaliger Priester des Werks, der anonym bleiben möchte, erzählt von angeblichen Missbrauchsfällen in den Reihen der Gemeinschaft. Sogar bei der Beichte habe es Annäherungsversuche gegeben. „Frauen wurden immer als die Verführerinnen schlechthin dargestellt“, sagt er gegenüber der „Orientierung“. „Mag eine Frau auch sexuell missbraucht worden sein, so trägt sie doch immer eine Mitschuld am Verbrechen, aufgrund ihres Frauseins, hat es geheißen.“

Die Berichte decken sich auch mit dem Inhalt eines am vergangenen Freitag präsentierten Buches unter dem Titel „Nicht mehr ich“, das im Wiener Verlag „edition a“ erschienen ist. Darin berichtet Doris Wagner, eine Aussteigerin aus der Schwesterngemeinschaft des Werkes, von ihren Erlebnissen.

Kloster Thalbach in Bregenz

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Der Hauptsitz der Gemeinschaft Das Werk: Das Kloster Thalbach in Bregenz

„Kontrolliert, manipuliert, sexuell missbraucht“

„Als sie diese Gemeinschaft 2011 wieder verließ, war sie depressiv, praktisch mittellos und hatte keine sozialen Kontakte mehr“, heißt es in einer Presseaussendung des Verlags. „Sie war kontrolliert, manipuliert, sexuell missbraucht und unter Druck gesetzt worden. Ihre Oberen hatten sie entmündigt, als billige Haushaltskraft eingesetzt, vor sexuellen Übergriffen nicht geschützt und nicht versorgt, wenn sie krank war.“

Wagner erstattete laut Verlagsinformationen sowohl in Deutschland als auch in Österreich Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs. Die Anzeigen seien aber ohne Ergebnis geblieben, so der Pressetext zum Buch. Der Priester habe ausgesagt, man habe einvernehmlich gehandelt.

Das Erscheinen des Buches nehme der Orden „mit Betroffenheit“ zur Kenntnis, heißt es in einer Stellungnahme des Regionalverantwortlichen der Gemeinschaft, Pater Georg Gantioler, vom Samstag. Er bedauere es sehr, dass die ehemalige Mitschwester „in einer derartig negativen Weise auf die Jahre in unserer Gemeinschaft zurückblickt und viele positive Dinge, die sie erlebt hat, ausblendet“. Gleichzeitig bestätigt der Orden, dass die Vorwürfe im Rahmen einer bereits abgeschlossen Apostolischen Visitation geprüft wurden, deren Ergebnis noch nicht bekannt ist.

Gute Beziehungen

Innerkirchlich ist Das Werk gut aufgestellt. Der Gemeinschaft werden gute Kontakte zu hohen Funktionsträgern im Vatikan nachgesagt. Im Umfeld der Nachbesetzung des Vorarlberger Bischofssitzes im Jahr 2013 gab es Gerüchte, denen zufolge auch ein Kandidat aus den Reihen der Gemeinschaft gute Chancen hatte.

Trotzdem ordnete der Vatikan 2012 eine Apostolische Visitation der Gemeinschaft an. Bei Das Werk betont man, dass es sich dabei um einen routinemäßigen Vorgang handle, Kritiker führen die Untersuchung allerdings auf die Vorwürfe von Aussteigern zurück. Ergebnisse gibt es noch keine.

Michael Weiß, religion.ORF.at