Papst-Rede als „Appell zum Dialog mit EU“

Die Rede von Papst Franziskus vor dem Europaparlament in Straßburg am Dienstag ist von Beobachtern, Politikern und der Presse überwiegend als wichtiger Appell gewertet worden.

Allen voran zeigte sich freilich die katholische Kirche begeistert: Der Europa-Referent der Österreichischen Bischofskonferenz, Michael Kuhn, sieht die Rede als einen Aufruf des Papstes, den Dialog der Kirche mit den EU-Institutionen voranzutreiben. „Das kann für uns als Kirche, die in Brüssel wirkt, nur ein Auftrag sein, uns wirklich in die Politik einzubringen“, sagte der langjährige stellvertretende Generalsekretär der katholischen Bischofskommission ComECE in Brüssel am Mittwoch in einem Interview mit Radio Vatikan.

Die Papst-Rede müsse als allgemeine Ermutigung und Aufruf zur Hoffnung für Europa verstanden werden, so Kuhn. Gleichzeitig habe Franziskus auch ganz konkrete Punkte betont, so der kirchliche Europa-Experte. „Er hat Familie, Bildung, Ökologie, die Arbeit in Würde angesprochen; das sind alles Themen, an die wir uns jetzt als Kirche wieder heranmachen müssen. Wir müssen sehen, wie die europäische Politik diese Themen aufgreift und wie wir uns aus dem Auftrag der christlichen Soziallehre in diesen Dialog einbringen können.“

„Unverstellter und frischer“ Blick

Der Papst aus Südamerika schaue anders auf Europa als die Päpste vor ihm, die „direkt aus dem europäischen Geschehen“ kamen, so Kuhn weiter. Der Blick von Franziskus sei dadurch „vielleicht unverstellter und auch etwas frischer“: „Dadurch kann er auch leichter ansprechen, wo Europa alt wird, wo Europa Probleme hat und wo es nicht funktioniert - genauso wie er Europa Mut zusprechen kann und ermuntern kann, Mut und Selbstvertrauen zu haben, um sich an die Arbeit zu machen.“

Papst Franziskus bei seiner Rede vor dem Europaparlament

APA/EPA/Maurizio Brambatti

Franziskus’ Rede vor dem Europaparlament

Auch der Münchner Kardinal und ComECE-Vorsitzende Reinhard Marx betonte nach der Papst-Rede den Appell Franziskus’ zum Dialog zwischen Kirchen und EU. „Die Rede des Papstes war für mich ein wichtiger Appell, dass die Kirche eine Stimme in Europa hat“, sagte Marx bei einem Pressegespräch in Straßburg.

Kardinal Marx: „Werte in den Mittelpunkt“

Es sei nun Aufgabe der Kirchen, für das Zusammenleben in Europa einen Beitrag zu schaffen. Dabei biete der Dialog die beste Möglichkeit, die unterschiedlichen Nationen und Kulturen in Europa zu vereinen. „Der Papst hat deutlich gemacht, dass das Evangelium eine Quelle der Inspiration für ein multikulturelles Europa sein kann“, so Marx.

Franziskus habe nicht die wirtschaftlichen Ziele, sondern die kulturellen und sozialen Werte Europas in den Mittelpunkt gestellt. „Das war eine Rede, die sicherlich in Erinnerung bleiben wird“, so Marx. Der Papst habe Europa „Mut für die Zukunft“ gemacht, in der es nicht allein um das Überleben in der globalen Welt gehe. „Der eine oder andere Parlamentarier ist sicherlich ins Nachdenken gekommen“, so der Kardinal.

„Solidarität und Verantwortung“

Als Stärkung der EU, die diese gut gebrauchen könne, bezeichnete der österreichische Europaparlamentarier Othmar Karas (EVP) die Straßburger Papst-Visite. „Gerade in Zeiten, in denen Extremisten und Populisten in manchen Ländern an Boden gewinnen, ist es wichtig, allen in Erinnerung zu rufen, wie wichtig es ist, verantwortungsvoll mit dem europäischen Einigungsprojekt umzugehen“, so Karas so Karas nach der „beeindruckenden“ Rede von Franziskus.

In einer Presseaussendung von Mittwoch betonten auch SPÖ-Nationalratsabgeordnete Gisela Wurm und SPÖ-Bundesrat Stefan Schennach, beide Ausschussvorsitzende im Europarat, die Bedeutung der Rede von Papst Franziskus. „An einem Tag, an dem vor der Küste Kretas wieder hunderte Flüchtlinge gerettet worden sind, ist das eine Aufforderung an uns alle, Solidarität und Verantwortung zu zeigen“, so Wurm. „Dass der Papst Arbeit als eine Frage der Würde bezeichnete und in diesem Zusammenhang jede Form von Menschenhandel und Ausbeutung kritisierte, war ein wichtiges Signal“, so Schennach.

Die EU-Abgeordnete der FPÖ, Barbara Kappel, zeigte sich am Mittwoch beeindruckt von Papst Franziskus’ Rede. Er habe eine „Rückbesinnung auf Europas Werte gefordert und den Menschen und dessen Würde in den Mittelpunkt gerückt“, so Kappel. Seine Forderung nach Solidarität und Achtung der „Heiligkeit der Person“ habe auch eine weise und differenzierte Sichtweise erkennen lassen, so die FPÖ-Abgeordnete.

Schulz: „Persönlichkeit, die Orientierung gibt“

Europaparlamentspräsident Martin Schulz wertete die Rede als eine Ermutigung für die EU sowie für eine gute Zukunft Europas. „Ich glaube, wir haben viele gemeinsame Aufgaben, bei denen uns die Worte von Papst Franziskus helfen“, sagte er am Dienstag nach der Rede des Papstes im Parlament. „Sie sind eine Persönlichkeit, die Orientierung gibt in Zeiten der Orientierungslosigkeit. Dafür sind wir Ihnen dankbar.“

Papst Franziskus mit Europaparlamentspräsident  Martin Schulz vor seiner Rede vor dem Europaparlament

APA/EPA/Christophe Karaba

Papst Franziskus mit Europaparlamentspräsident Martin Schulz

Die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Anne Brasseur würdigte die Papst-Rede am Dienstag als „wichtigen Impuls für die weitere Entwicklung Europas. Der vom Papst geforderte Dialog zwischen Kulturen, Generationen und Religionen sei heute wichtiger denn je, sagte sie am Dienstag in Straßburg. Dies gelte besonders angesichts der aktuell aufflammenden Gewalt, die im Namen von Glauben und Religion verübt werde“.

Der Papst habe im Europa-Parlament gesprochen, nun sollte er gehört werden, schreibt Reinhard Göweil in seinem Leitartikel in der „Wiener Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe). „Der Papst sprach von Menschenwürde, deren Grundlage die Menschenrechte sind. Dahinter stecken Religionen und europäische Philosophen, von Epikur bis zur Postmoderne. Auf ihren Ideen ruht Europa, und die europäische Kunst hat sich an ihnen über Jahrhunderte abgearbeitet und tut es bis heute“, so die „Wiener Zeitung“.

Zeitung: „Ton der Gründungsväter“

Auch in der internationalen Presse beschäftigten sich viele Kommentare mit der Analyse von Franziskus’ Auftritt vor europäischen Institutionen. So liest man in der liberalen Turiner Tageszeitung „La Stampa“ (Mittwoch-Ausgabe) zu den Reden des Papstes vor dem Europaparlament und dem Europarat: „Der erste nicht-europäische Papst nach mehr als 1.200 Jahren hat in Straßburg vor den Institutionen des vereinten Europas mit dem Ton und der Tiefe der Gründungsväter gesprochen.“

Er habe Gedanken aufgeworfen, in denen sich die überzeugtesten Unterstützer eines vereinten Europas wiederfinden können, die aber genauso die Ängste der Anti-Euro-Bewegungen treffen.

„Europaabgeordnete ins Gebet genommen“

Ähnlich sieht es die deutsche „Neue Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe): „Papst Franziskus spricht Klartext: Offen hat er die Europaabgeordneten ins Gebet genommen, eindringlich an ihr Gewissen appelliert. Die Würde des Menschen müsse im Mittelpunkt der Politik stehen, mahnt Franziskus. Sein Weckruf kommt zur richtigen Zeit. Denn es ist erschreckend, wie Europa mit Flüchtlingen umgeht.“

„Wie die Kirche krank wird, wenn sie sich in die Sakristei einschließt, so wird auch ein in sich gekehrtes Europa krank, das nicht mehr Friedens- und Freiheitsprojekt sein will für seine Bürger und die Bedrängten, die dorthin wollen. Franziskus sprach als Europäer mit der weltkirchlichen Autorität des Papstes“, so die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe).

religion.ORF.at/KAP

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