Friede oder Gewalt? Terror entfacht Debatte um Koran

Liegt die Wurzel des islamistischen Terrors tatsächlich im Koran, oder missbrauchen Terroristen die Botschaften des Propheten Mohammed? Islamexperten aus Österreich sind geteilter Meinung.

Nach den blutigen Anschlägen auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ in Paris, wird die Frage nach dem Verhältnis des Islam zu Gewalt einmal mehr breit diskutiert. Während Kritiker die islamische Theologie als mitverantwortlich für die Legitimation von Terrorakten sehen, bekräftigen Vertreter der Muslime, dass der Islam dem Terror keinen Vorschub leiste.

„Ich wünsche mir, dass die Muslime diesen Anschlag als Anlass nehmen, sich mit ihrer Situation kritisch auseinanderzusetzen“, sagte der Religionspädagoge Ednan Aslan gegenüber der ORF-„Orientierung“. Ihn habe der Anschlag in Paris „überhaupt nicht überrascht“. Er glaubt, dass es in Europa in Zukunft mehr solcher Anschläge geben wird.

Religionspädagoge Ednan Aslan

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Ednan Aslan, Religionspädagoge an der Universität Wien

Koran „Teil des Problems“

Der Islamwissenschaftler, der in der Vergangenheit immer wieder mit scharfer Kritik am Islam aufgefallen ist, sieht die jüngste Terrorattacke als Teil eines Problems, das von der islamischen Theologie ausgeht. „Wenn wir das Problem nur allein als islamisches Problem sehen, dann haben wir das Problem nicht verstanden. Aber wenn die Muslime sagen: ‚Das hat nichts mit der islamischen Theologie zu tun‘, dann haben die Muslime das Problem auch nicht verstanden“, so Aslan.

TV-Hinweis: - Orientierung: „Stimmen gegen Terror im Namen des Islam“

Wenn sich Muslime nicht kritisch mit diesem Thema auseinandersetzten, würden sie ewig in einer „Opferrolle“ bleiben. Man könne aus der islamischen Theologie das Bekenntnis zum Frieden ableiten, aber auch jede Menge Grundlagen für Gewalt finden. Diese Wahrheit müsse man zur Kenntnis nehmen. Die Attentäter von Paris, die bei dem Anschlag zwölf Menschen getötet haben, seien Muslime gewesen, die für ihre Handlungen eine theologische Grundlage hätten. „Ob diese Grundlage dem Sinn des Korans entspricht, ist eine andere Frage“, sagte Aslan.

Die Gesellschaft müsse aber auch darauf achten, dass die muslimische Präsenz in Europa nicht mit undemokratischen Mitteln bekämpft werde. Es sei „eine Aufgabe für die Mehrheitsgesellschaft, die Muslime von der Qualität der Demokratie zu überzeugen“. Wenn Moscheen und Muslime angegriffen würden, dann fürchte er um die Zukunft der Demokratie in Europa.

Muslime in „Geiselhaft“

Eine grundlegend andere Sichtweise zum Koran hat Amani Abuzahra, Dozentin der Philosophie und Interkulturelle Pädagogik am Privaten Studiengang für das Lehramt für Islamische Religion an Pflichtschulen. Die islamische Theologie sei „keine Gewalttheologie“. Wenn ständig von einer Gewalttheologie die Rede sei, nehme man damit alle Muslime in Geiselhaft und verwirke dadurch das Potenzial zu sehen, was Muslime in Europa leisten könnten, so die Meinung der Dozentin.

Amani Abuzahra, Dozentin für Interkulturelle Pädagogik

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Amani Abuzahra, Dozentin für Interkulturelle Pädagogik

Die terroristischen Anschläge hätten „keine Fundierung in der islamischen Lehre“, sagte Abuzahra zum ORF. Die Frage sei, wie man sich den Koran ansehe, ob man Gewalt im Fokus habe oder das Friedenspotenzial. Dass die Attentäter bei dem Massaker „Allahu Akbar“ (Gott ist der Größte) gerufen haben, heiße nicht, dass es als eine „islamische Tat“ zu beurteilen ist, so Abuzahra. Wenn jemand einen Menschen töte, dann sei das so, als habe er die ganze Menschheit getötet, zitierte Abuzhara den Koran. Der Terror sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und kein Problem des Islam.

In Bezug auf die Angriffe auf Moscheen, die sich in den vergangenen Monaten gehäuft haben, sprach Abuzahra von „steigender Islamophobie“ in Europa, etwa „wenn wir nach Deutschland und Schweden schauen, wo Moscheen brennen“. Auch hier liege die Verantwortung in der Gesamtgesellschaft.

Es sei notwendig, in einen über religiöse, nationale und ethnische Grenzen hinweggehenden Dialog, der fern von Gewalt ist, zu treten. „Ich glaube wir müssen das aushalten“, dass Karikaturen wie die von „Charlie Hebdo“ für die einen „eine Verletzung der religiösen Gefühle ist und für andere nicht“, und dass das alles in Europa möglich sein müsse.

Muslimische Vereine „defensiv“

Wenn muslimische Gemeinschaften gerade jetzt klar kommunizieren würden, „dass sie für freiheitliche, demokratische Werte einstehen“, wäre das eine Chance, sagte der Soziologe Kenan Güngor gegenüber dem ORF. In der Vergangenheit hätten muslimische Organisationen sich defensiv verhalten, und „Was hat das mit uns zu tun?“ gefragt, so Güngör. Man müsse aber starke Zeichen setzen. „Da geht es nicht um Distanzierung“, sondern um ein positives Einstehen für eine gewaltfreie Gesellschaft.

Kenan Güngör, Soziologe und Integrationsexperte

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Kenan Güngor, Soziologe und Integrationsexperte

Der Koran ermögliche sehr viele Auslegungen. „Humanisten finden etwas und auch Menschen, die die Unterwerfungsideologie suchen.“ Der Koran habe „entzündungsfähigen Inhalt“. Es werde, sagte Güngör, von den gesellschaftlichen Strömungen abhängen, welche Auslegung sich stärker durchsetzt.

Es brauche aber auch eine „differenziertere Herangehensweise“. In Österreich und in Gesamteuropa gebe es eine „massive Verhärtung des Klimas“. Das würden besonders Frauen spüren, die ein Kopftuch tragen. Man müsse erkennen, dass Muslime über die Verbrechen im Namen des Islam entsetzt seien und es sich bei den Terroristen von Paris um eine „Minderheit der Minderheit“ handle.

religion.ORF.at

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