Der Hass auf die Bilder

Aus dem wichtigsten Gebot für Muslime - „es gibt keine Gottheit außer Gott“ - leiten Islamisten ein mehr oder weniger völliges Verbot bildlicher Darstellungen ab. Dabei gibt es im Koran gar kein klares Bilderverbot.

Dennoch ist im Islam die Darstellung von Menschen weitgehend verpönt. Nach Meinung der meisten frommen Muslime sollten weder Allah noch Mohammed noch andere Propheten des Islam bildlich dargestellt werden. Konservative Muslime empfinden sämtliche Darstellungen Mohammeds als Beleidigung ihrer Religion. Zeichnungen, die den Propheten durch den Kakao ziehen, finden nur wenige liberale Muslime witzig.

Abgrenzung vom Polytheismus

Anhaltspunkte für ein Bilderverbot findet man in den Hadithen, den überlieferten Aussagen und Handlungen Mohammeds. „Diejenigen, die Bilder geschaffen haben, zählen zu den Menschen, die am jüngsten Tag besonders hart bestraft werden“, soll der Prophet gesagt haben. Dieses und ähnliche Zitate sieht der Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker in Zusammenhang mit dem Kampf des frühen Islam gegen heidnische Kulte, wie er zu religion.ORF.at sagte. Götzenbilder und auch einfache Steine wurden angebetet, was Mohammed als Gründer einer monotheistischen Religion bekämpfte: „Das ist der Rahmen, in dem diese Diskussion entstanden ist“, so Lohlker.

Der Prophet Mohammed predigt vor Anhängern, Illustration in einer osmanischen Handschrift, 17. Jhdt.

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Der Prophet Mohammed predigt vor Anhängern, Illustration in einer osmanischen Handschrift, 17. Jhdt.

Als „Auseinandersetzung mit heidnisch-polytheistischen Positionen“ sieht auch der Historiker Karl Brunner Bilderverbote der drei Buchreligionen. „Mohammed hat den jüdischen Glauben genau studiert, das islamische Bilderverbot kann parallel zu dem in der jüdischen Bibel gesehen werden.“ Das bekannteste Gebot in dem Kontext ist Exodus 20,4, wo es heißt: „Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“

Das Zeichen wird selbst heilig

"In Wirklichkeit geht es um das Verbot, Götzenbilder zu machen, etwa bei Leviticus 26,1 („Ihr sollt euch keine Götzen machen, euch weder ein Gottesbild noch ein Steinmal aufstellen und in eurem Land keine Steine mit Bildwerken aufrichten, um euch vor ihnen niederzuwerfen ..."). Das ist die Grundlage für Bilderverbote im Judentum“, so Brunner gegenüber religion.ORF.at. Die Vergöttlichung eines Bildes, einer Sache, die nicht mehr Zeichen, sondern selbst Heiligtum wird, das sei „das Grenzwertige“. Auch das Judentum habe sich gegen die Kulte der es umgebenden Völker wie Ägypter und Perser abgrenzen müssen, bei denen das Zeichen oft dem Heiligen gleichgestellt war. Das Christentum führte die Auseinandersetzung mit dieser Grenze vom Bild zum Götzenbild in verschiedenen Epochen.

Biblia pauperum, Frankreich, 14. bis 15. Jhdt.

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„Biblia pauperum“, Frankreich, 14./15. Jahrhundert

So schwer Menschen westlicher Prägung sich damit tun, das weit verbreitete Bildertabu unter Muslimen zu verstehen, auch in der Geschichte des Christentums gab es zu vielen Zeitpunkten Abbildungsverbote, die sogar zu Kriegen führten. Auch die junge Schriftreligion Christentum war, - in Abgrenzung gegenüber polytheistischen Kulten der Antike - skeptisch gegenüber dem Bild. Der Weigerung von Christen, das Bild des (gottgleichen) römischen Kaisers zu verehren, führte zu Christenverfolgungen. Die frühen Christen selbst empfanden nicht ein Götterstandbild als ihr Zentrum, sondern die Versammlung der Gemeinde zum Abendmahl.

Religionsvermittlung mit „Comicstrips“

Doch wie sich zeigte, war die Religion ganz ohne Bilder schwer vermittelbar, man brauchte das Bild zur Verkündigung. So war im Mittelalter die „Biblia pauperum“, die „Armenbibel“, weit verbreitet, in der biblische Geschichte in einer Art kommentiertem Comicstrip erzählt wurden. Hier wurde das Bild als Verstärker oder Ergänzung für das Wort genutzt. Doch „Bilder neigen dazu, sich zu verselbstständigen“, so Brunner. Wenn das Bild mehr werde als ein Medium, müsse man von Missbrauch reden.

Im byzantinischen Bilderstreit (8. und 9. Jahrhundert.) sei es zwar vor allem um politische Fragen gegangen, so der Historiker, er wurde aber über theologische Themen verhandelt: Die Verehrung einer Ikone, die als das „wahre Abbild“ Gottes oder eines Heiligen galt, überschritt die heikle Grenze zwischen Zeichen und Götzenbild. „Der Ikonoklasmus griff diese Grenzwertigkeit an“, so Brunner. Auch die Reformation kannte Bilderstürme. So wurden etwa im niederländischen Raum im 16. Jahrhundert in katholischen Kirchen von Protestanten die Gesichter der Heiligenbilder ausgekratzt. Der Protestantismus meide generell die „katholische Sinnlichkeit“, die in üppigen Bildern ihren Ausdruck fand und findet.

„Unreinheit“ der Bilder

Im Islam wiederum findet sich laut Islamwissenschaftler Lohlker als eine Rechtfertigung für die Ablehnung von Bildern deren „Unreinheit“: Der Überlieferung nach habe Mohammed Bilder aus der Kaaba entfernen lassen, damit sie nicht vom Beten ablenkten. In dem Hadith „Die Engel betreten keine Wohnung, in der es einen Hund bzw. ein Bild oder eine Skulptur gibt“ vermengte sich die Unreinheit des Hundes mit der von dessen Abbildung in etwas unklarer Weise, das Zitat werde aber gerne zur Untermauerung eines Bilderverbots herangezogen, sagte Lohlker zu religion.ORF.at.

„Er ist Allah, der Schöpfer, der Bildner, der Gestalter“ (Sure 59, Vers 24): Da nach traditioneller Auffassung Gott der alleinige Schöpfer ist, darf diese Schöpfung ebenfalls nicht abgebildet werden. Doch das Bilderverbot wurde und wird nicht von allen Muslimen so streng befolgt. Es gibt viele historische künstlerische Darstellungen des Propheten und seines Umfelds, die von Muslimen stammen, ebenso wie Abbildungen von Engeln.

Blühende Bildkultur im Islam

Vor allem im osmanisch beherrschten Raum blühte im Spätmittelalter und in der Neuzeit die Kunst der Buchillustration. Der schiitisch geprägte Iran wiederum bildet im Nahen Osten, wo vor allem im arabischen, vorwiegend sunnitischen Raum strenge Regeln für die Darstellung von Menschen gelten, eine Ausnahme, so Lohlker. Spätestens seit der mongolischen Eroberung des heutigen Iran sei hier durch Elemente aus Ostasien in Verbindung mit der persischen Tradition die spezifische Miniaturkunst entstanden. Diese breitete sich im gesamten osmanischen Raum aus.

Türkische Buchmalerei aus dem 16. Jhdt: Mohammed vor der Kaaba

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Türkische Buchmalerei aus dem 16. Jahrhundert: Der gesichtslose Mohammed vor der Kaaba, Ausschnitt

Ganz allgemein ist im schiitischen Islam der Umgang mit Bildern lockerer als im sunnitischen: Abbildungen des Propheten und seiner Familie, etwa des von Schiiten besonders verehrten Ali, Schwiegersohn und Erbe Mohammeds, sind keine Seltenheit. Allerdings gehen diese Bilder selten so weit, die Gesichter darzustellen. Sie sind häufig hinter einem Schleier versteckt oder mit einer weißen Fläche nur angedeutet. Beliebt sei auch die Darstellung des mit einer Flammenaura umgegebenen Mohammed und von Ali, wobei die Flammen auch gleich das Gesicht verdecken, so Lohlker.

Eine alte Bildertradition hat der südostasiatische Raum, so auch Indonesien, heute das Land mit den meisten Muslimen weltweit. „Hier gibt es auch eine ausgeprägte Comic-Kultur mit islamischen Inhalten“, so der Islamwissenschaftler. Selbst im strengeren arabischen Raum gebe es heute politische Karikaturen in islamischen Zeitschriften. Ein „Ausweg“ ist in der muslimischen Kultur die stark verfeinerte Kunst der Kalligrafie - doch auch hier kommt es auf dem Umweg über die Schrift zu Darstellungen von Tieren und Menschen, die mit Schriftzügen nachgestellt werden.

Islamisten als Videostars

Dschihadisten wettern gegen „lästerliche“ bildliche Darstellungen des Propheten und auch des Menschen an sich. Gleichzeitig bedienen auch sie sich Bildern, auch in Form von Videos, um ihre eigene „Sache“ zu propagieren und Gegner einzuschüchtern. Historiker Brunner erwähnt als Beispiel etwa den regelrechten „Starkult“ um den selbst ernannten „Kalifen“ und Führer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), Abu Bakr al-Baghdadi, von dem Bilder und Videos im Internet zirkulieren.

"Kalif" Abu Bakr al-Baghdadi

APA/EPA/Furqan Media/MOA

„Kalif“ Abu Bakr al-Baghdadi in einem Videostandbild

Wie Islamisten das mit einem strengen Bilderverbot in Einklang bringen? „Gar nicht“, so Lohlker. In dschihadistischen Foren etwa gebe es seit Jahren Debatten darüber. Doch würden die Bilder einfach damit gerechtfertigt, dass sie der „muslimischen Gemeinschaft“ nützen würden. Ganz ohne Bilder geht es nicht - als „abgekürzte Form der Verständigung“, so Brunner, seien sie durch einen intellektuellen Diskurs nicht zu ersetzen.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at