Revolution der Frauen - Revolution von innen

Frauen spielten im "arabischen Frühling“ eine zentrale Rolle, doch ist selten von ihnen die Rede. Die Filmemacherin Alexandra Schneider begleitete vier Ägypterinnen, die für eine bessere, gerechtere, demokratischere Welt eintreten.

Der Film „Private Revolutions“ zeigt das jeweilige Umfeld der Protagonistinnen, allesamt gläubige Musliminnen, und vermittelt lebendige Eindrücke von Kairo und Teilen des Landes zur Zeit der Revolution, von 2011 bis 2013. Die Bilder führen mitten in das Leben der Großstadt, lassen den Zuschauer an den melodischen Sprechchören am Tahrir-Platz teilhaben und erlauben mitunter tiefe Einblicke in die Privatsphäre der Ägypterinnen. Schneider bildet die Lebensrealitäten der Frauen, ihre unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe und ihre politischen Einstellungen ab, die von konservativ bis liberal reichen, ohne diese zu bewerten.

Alexandra Schneider

Daniela Praher Filmproduktion

Filmemacherin Alexandra Schneider

Der bereits mit Preisen ausgezeichnete Film, dessen Realisierung der ORF finanziell unterstützt hat, entstand durch das Interesse Schneiders an den Frauen, die sich in der Revolution engagierten. Durch Kooperationen mit der EU seien erste Kontakte entstanden, sagt Schneider in einem ihrer mittlerweile zahllosen Interviews. Dann habe sich das rein weibliche Filmteam aufgemacht – mit offenem Zeithorizont.

Revolution braucht Zeit

Entgegen den Konventionen der ägyptischen Gesellschaft sowie Vorurteilen aus westlicher Perspektive zeigen die Frauen in dem Film ihre Stärke, ihren Willen, etwas bewirken zu wollen – von innen heraus. Wenn auch die Früchte der Revolution, wie Sharbat Adullah, eine dreifache Mutter aus einfachen Verhältnissen, sagt, vielleicht erst in zehn Jahren geerntet werden können.

Protagonistin aus "Private Revolutions" Sharbat Abdullah

Daniela Praher Filmproduktion

Sharbat Abdullah ging mit ihren drei Söhnen demonstrieren – hier mit ihrem Jüngsten

Die Straßenaktivistin Sharbat war – „bewaffnet“ mit Gas- und Sturmmaske, Hautschutz und Schere – von Anfang an bei den Demonstrationen auf dem Kairoer Tahrir-Platz dabei, mit ihren drei Söhnen und gegen den Willen ihres Mannes. Trotz der Brutalität, die herrschte – ihr ältester Sohn wurde vom Militär verhaftet und misshandelt – diskutierte sie damals auf der Straße mit Männern über Politik und kämpfte für eine gerechtere Welt für ihre Kinder. „Eine Gesellschaft ändert sich nicht von heute auf morgen“, ergänzt Schneider im Gespräch mit religion.ORF.at.

Arbeiten für ein höheres Ziel

Obwohl nur zwei der Frauen (Sharbat Abdullah und Fatema Abouzeid) Kopftuch tragen, seien alle vier Frauen sehr gläubig und würden Halt und Kraft in ihrem Glauben finden, sagt Schneider gegenüber religion.ORF.at. Die unverheiratete 25-jährige Nubierin May Gah Allah etwa hat den Koran auf ihrem Mobiltelefon – immer dann abrufbereit, wenn sie „Ruhe und Frieden“ braucht, wie sie sagt.

Protagonistin aus "Private Revolutions" May Gah Allah

Daniela Praher Filmproduktion

May Gah Allah baut in Assuan ein Bildungszentrum für die nubische Minderheit

Sie hat ihren gut dotierten Job bei einer Bank in Dubai aufgegeben, um sich im Zuge der Umbrüche der Wiederbelebung der Kultur und Tradition der nubischen Minderheit in Assuan im Süden Ägyptens zu widmen. „Wenn ich jetzt sterbe und Gott mich fragt, was ich für die Menschen getan habe – soll ich ihm sagen, dass ich nur Geld gemacht habe?“, schildert May ihre Beweggründe.

Sendungshinweis

Erfüllte Zeit, Sonntag, 22.2.2015, ab 7.05 Uhr, Ö1

Sie hat es geschafft, für ihre Projekte ein Areal in Assuan und Geld von staatlicher Seite zu bekommen. Geplant sind Gemeindezentren mit Schulen, Computerkursen für Erwachsene und die Wiederbelebung traditionellen Handwerks.

Radio „nur für Mädchen“

Die ebenfalls ledige Amani Eltunsi, die jüngste Verlegerin des Landes und Betreiberin eines Internetradios „nur für Mädchen“, ist Frauenrechtsaktivistin und behandelt sowohl in ihren Büchern als auch im Radio Themen zu häuslicher Gewalt, sexueller Belästigung und persönlicher Freiheit.

Die Warnung der Behörden, sie dürfe weder über Religion noch über Sex reden konterte sie mit: „Nein, tu’ ich nicht, meine Themen sind gesellschaftspolitisch.“ Sie sprach ganz offen die sensibelsten Themen an und informierte junge Mädchen unter anderem darüber, dass die in Ägypten weit verbreitete Beschneidung von Mädchen niemals „notwendig“ sei und sich nicht religiös legitimieren lasse. Aus welchem Grund ihr Verlag abbrannte, bleibt offen.

Protagonistin aus "Private Revolutions" Amani Eltunsi

Daniela Praher Filmproduktion

Amani Eltunsi spricht offen Themen wie die Beschneidung von Frauen an

„Private Revolutions“

derzeit im Votivkino in Wien, ab 20.2. im Wiener Topkino sowie im Moviemento in Linz.

Ab 2.3. im Rahmen der FrauenFilmTage im Programmkino Wels, am 8.3. im Leokino Innsbruck

Ab 15.3. im Kino Freistadt und ab 21.3. im Rechbauerkino in Graz

Aktiv als Muslimschwester

Mit ungeheurer Energie, wenig Schlaf, Ausdauer und Enthusiasmus bewegten die vier Frauen ihr Umfeld. Fatema Abouzeid, 26, war Mitbegründerin der politischen Partei der Muslimbrüder und engagierte sich im Bereich Pressearbeit vor den ersten freien Präsidentschaftswahlen im Juni 2012, die der Spitzenkandidat der Organisation, Mohammed Mursi, gewann. Nach den Wahlen sei ihre Arbeit noch wichtiger geworden, so Fatema.

Die Mutter von drei kleinen Söhnen schloss neben ihrer Haus- und Pressearbeit ihr Politikwissenschaftsstudium ab. Sie musste allerdings als einzige Protagonistin ihre Mitwirkung bei den Dreharbeiten abbrechen. Der Schluss liegt nahe, dass diese der Partei wohl zu heiß waren.

Protagonistin aus "Private Revolutions" Fatema Abouzeid

Daniela Praher Filmproduktion

Fatema Abouzeid hatte zur Zeit der Dreharbeiten einen mindestens 18-stündigen Tag

Viele Ägypter glaubten, oder hatten zumindest gehofft, mit dem Sturz Hosni Mubaraks sei das Ziel erreicht. Die Enttäuschung, dass dem nicht so war, kommt in „Private Revolutions“ ebenso zum Ausdruck wie die unbändige Kraft und Energie, die die vier Frauen weiterhin an den Tag legten. Bis heute sind allerdings die Ziele und Ideale der Revolution nicht erreicht. Die Muslimbruderschaft ist verboten und das Land wird vom ehemaligen Oberbefehlshaber des Militärs regiert.

Die Bereitschaft der Hauptfiguren, sich für den Film zu öffnen, verdankt die Regisseurin ihrer Unvoreingenommenheit den Frauen gegenüber, wie sie betont. Anders sei es nicht vorstellbar, zeitgleich mit einer Muslimschwester und einer Frauenrechtsaktivistin zu drehen, so Schneider. Das ehrliche Interesse und die Unvoreingenommenheit sind auch für den Zuschauer den ganzen Film hindurch spürbar.

Nicht unerwähnt bleiben soll der geniale Titelsong aus der Feder des Wieners Julian Hruza. Seine Komposition bringt die Dynamik von Tradition und Moderne und die Kraft, die zu einem Umbruch führen kann, musikalisch auf den Punkt.

Nina Goldmann, religion.ORF.at

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