Islamisierung: Auf den Spuren eines Kampfbegriffs

Moscheen, Minarette, Frauen mit Kopftuch auf den Straßen: Besonders rechte Politiker bezeichnen dieses Szenario als Islamisierung - ein Begriff, der stark mit den frühen islamischen Expansionskriegen in Verbindung steht.

Dass der Islam auch in Europa stärker vertreten ist, wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer augenscheinlicher. Muslime und ihre Glaubenssymbole wurden im öffentlichen Raum präsenter, die Zahl der Gläubigen stieg konstant - eine Entwicklung, die nicht von allen gern gesehen und oft als Islamisierung bezeichnet wird.

Begriff hat Hochkonjunktur

Vor sieben Jahren gründeten einige Vertreter rechtsgerichteter Parteien die „Europäische Städteallianz gegen Islamisierung“. Auch die FPÖ beteiligte sich an dem Bündnis. Sechs Jahre später gingen im deutschen Dresden Tausende Menschen auf die Straße und forderten den Schutz der „christlich-jüdischen Abendlandkultur“.

Die neue Bewegung Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) scharte eine große Anhängerschaft um sich - bekannte Rechtsextreme, Mütter und Väter aus der bürgerlichen Mitte, sozial Schwache wie Gebildete. Sie alle eint das Auftreten gegen Islamisierung und die Ablehnung des Bedeutungsgewinns des Islam in Europa. Eines ist klar: Der Begriff Islamisierung hat in der gesellschaftspolitischen Debatte über Muslime wieder Hochkonjunktur.

Träume vom politischen Islam

Im antiislamischen Diskurs werde Muslimen unterstellt, dass sie Europa langsam unterwandern wollten, sagte der Politologe und Islamexperte Thomas Schmidinger im Gespräch mit religion.ORF.at, nach dem Motto: „Jetzt sind sie freundlich, aber wenn sie die Mehrheit sind, werden sie uns unterdrücken“, so Schmidinger.

Thomas Schmidinger

ORF

Politologe und Islamexperte Thomas Schmidinger

„Der Islam ist eine Religion, die die Missionierung kennt – so wie das Christentum auch“, sagte der Politologe. Menschen zur - wie sie es nennen - „wahren Religion“ zu bekehren verfolgt etwa die „Lies!“-Stiftung, die Koranverteilungen in verschiedenen Städten Europas organisiert. Ihre Mitglieder propagieren einen einfachen Islam und werben für ihre Religion. „Menschen, die den Koran verteilen, tun das mit der Absicht, andere vom Islam zu überzeugen“, so Schmidinger. Es sei unbestritten, dass es auch jene Gruppen gibt, die sich das Erstarken des politischen Islam in Europa wünschen.

„Wahngebilde von Islamhassern“

Doch die immer wiederkehrenden Warnungen vor einer drohenden Islamisierung sind für Schmidinger Ausdruck eines „Wahngebildes von Islamhassern“. Sie würden die verschiedensten islamischen Strömungen, Vereine, Moscheen als „Tentakel derselben Krake, die die Islamisierung betreiben will“, begreifen.

In Österreich leben laut einer Schätzung des Instituts für Islamische Studien der Universität Wien etwa 574.000 Muslime. Der Trend ist steigend. Der Anteil der Muslime an der Wiener Bevölkerung werde bis zum Jahr 2046 voraussichtlich von zwölf auf 21 Prozent steigen, ergab ein Forschungsprojekt der Akademie der Wissenschaften. Begünstigt wird diese Zunahme durch Migration und die höhere Geburtenrate bei muslimischen Frauen.

Zukunftsprognose: Mehr Muslime

In Europa leben laut Pew Research Center mehr als 44 Mio. Muslime, was einem Anteil von sechs Prozent der europäischen Bevölkerung entspricht. 2030 könnten rund 58 Mio. Menschen, also acht Prozent der europäischen Bevölkerung, muslimisch sein.

Die muslimische Gemeinde bleibt eine Minderheit, aber sie wächst. Kann das nun als Islamisierung verstanden werden? Keineswegs, so Schmidinger. Eine Zunahme der muslimischen Bevölkerung in Europa als fortschreitende Islamisierung zu bezeichnen sei schlichtweg Unsinn: „Nur weil es mehr Muslime gibt, heißt das nicht, dass Nicht-Muslime zum Islam übertreten werden.“ Auch eine Diskriminierung der christlichen Mehrheit durch die muslimische Minderheit ist nicht zu erwarten. Eine Islamisierung Europas, so Schmidinger, stehe sicher nicht bevor.

Mohammeds Expansion

Im historischen Sinne wird unter Islamisierung die territoriale Ausbreitung des Islam in seiner Frühphase verstanden. Nachdem der Islam zu Beginn des siebenten Jahrhunderts von Mohammed, einem Kaufmann und Nachfahren Abrahams, begründet wurde, verbreitete er sich rasch auf der Arabischen Halbinsel. Nach dem Tod von Mohammed (632 n. Chr.) wurde die islamische Expansion von seinen Nachfolgern, den Kalifen Abu Bakr, Umar, Uthman und Ali, weiter fortgesetzt.

Streitigkeiten in der Nachfolge des Propheten Mohammed führten zur Spaltung der Muslime in Sunniten und Schiiten. Unter der Herrschaft der sunnitischen Umajaden-Dynastie expandierte das Reich 670 n. Chr. nach Nordafrika und 711 n. Chr. über die Iberische Halbinsel bis an die Grenzen des Frankenreichs. Im Osten erstreckte sich das Herrschaftsgebiet bis nach Indien.

„Toleranter als Christen“

Der Begriff Islamisierung hänge mit den Expansionskriegen zusammen, die in der Geschichte auch von christlichen Herrschern geführt wurden und Zwangstaufen und eine Christianisierung der Bevölkerung zur Folge hatten, so die evangelische Theologin und Expertin für christlich-muslimischen Dialog, Susanne Heine, im Gespräch mit religion.ORF.at. In den jeweiligen Ländern wurde dann der Islam oder das Christentum zur Staatsreligion erhoben. Es habe aber einen deutlichen Unterschied gegeben: „Gegenüber Andersgläubigen waren die Christen nicht tolerant“, sagte Heine.

Susanne Heine

Privat

Susanne Heine, evangelische Theologin an der Uni Wien

Zwar dürfe man Toleranz nicht mit Religionsfreiheit verwechseln, aber unter muslimischer Herrschaft seien Andersgläubige toleriert worden. Sie mussten eine Schutzsteuer zahlen, konnten aber ihren Glauben leben. „Während der Gegenreformation sind viele Protestanten ins Osmanische Reich geflüchtet, weil sie dort ihren Glauben praktizieren konnten", sagte Heine. Dass sich nicht alle muslimischen Herrscher daran gehalten haben, stehe auf einem anderen Blatt.

Untergang des Abendlandes befürchtet

In den von Muslimen eroberten Gebieten hatten Anhänger der Buchreligionen zwar Freiheiten, aber waren schlechter gestellt als Muslime. So war es etwa nur Muslimen vorbehalten, staatliche Ämter zu bekleiden. Die Vorteile, die Muslime genossen, führten mitunter dazu, dass viele Nicht-Muslime schließlich den Glauben der Machthaber annahmen. Heute wird der Islam in gesellschaftspolitischen Debatten weniger mit Toleranz gegenüber Andersgläubigen in Verbindung gebracht, vielmehr mit Gewalt, Zwang und Terrorismus.

Der Islam wird mitunter als Gefahr für das christliche Abendland und seine Werte angesehen - Ängste, die sich etwa in den vergangenen Monaten in Protestmärschen von PEGIDA-Demonstranten gegen eine Islamisierung Deutschlands und auch Österreichs manifestierten. Die PEGIDA-Sympathisanten sehen in dem Bedeutungsgewinn des Islam und der zunehmenden muslimischen Bevölkerung Europas eine reale Bedrohung der christlichen Mehrheitsgesellschaft. „Ich verstehe die Angst, aber sie führt zu Katastrophenfantasien und verzerrt die Realität", so Heine. Es gebe kein Zurück hinter das Prinzip der Religionsfreiheit.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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