Papst: Kirche darf über Völkermord nicht schweigen

Nach dem Protest der Türkei gegen seine Armenier-Äußerung hat Papst Franziskus dazu aufgerufen, „die Dinge in Freiheit beim Namen zu nennen“. In der Türkei wird dem Papst das Schüren von Hass vorgeworfen.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat Papst Franziskus nach dessen Äußerungen zum Völkermord an den Armeniern zum Vorwurf gemacht, er würde den Rassismus in Europa befördern. Papst Franziskus Worte seien „unglücklich gewählt, falsch und widersinnig“, sagte Davutoglu am Sonntagabend in Istanbul. Sie beruhten auf einer „fehlerhaften Interpretation“ der Geschichte. „Gleichzeitig tragen sie zum steigenden Rassismus in Europa bei“, so der Ministerpräsident.

„Weg des christlichen Muts“

Der Papst sagte am Montag in seiner Morgenmesse im Vatikan, dass die Botschaft der Kirche auch heute eine „Botschaft für den Weg der Aufrichtigkeit, den Weg des christlichen Muts“ sei. „Wir dürfen nicht verschweigen, was wir gesehen und gehört haben“, so Papst Franziskus.

Der Papst legte in seiner Predigt in der Kapelle des Gästehauses Santa Marta eine Bibelstelle über das Verhalten der Jünger nach Jesu Auferstehung aus. Die Apostel seien zunächst verängstigt gewesen, hätten dann aber durch die Kraft des Heiligen Geistes den Mut gefunden, die Botschaft Jesu zu verkünden, so der Papst.

1,5 Millionen Opfer

Am Sonntag hatte der Papst die Verfolgung der Armenier während des Ersten Weltkriegs in einem Gottesdienst mit mehreren Tausend Armeniern als „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Er zitierte damit eine Erklärung von Papst Johannes Paul II. und dem armenischen Patriarchen aus dem Jahr 2000. Am 24. April 1915 begann die damalige Regierung des Osmanischen Reiches mit der Verhaftung der Armenier. In der Folgezeit fielen nach armenischen Angaben bis zu 1,5 Millionen Angehörige der Minderheit einem Völkermord zum Opfer. Die Türkei weist diesen Begriff zurück und setzt die Zahl der Opfer deutlich niedriger an.

Papst Festgottesdienst

REUTERS/Tony Gentile

Papst Franziskus spricht beim Festgottesdienst von „Völkermord“ im Jahr 1915

Begriff „Völkermord“ mit Spannung erwartet

An der Messe im Petersdom nahmen auch der armenische Patriarch Nerses Bedros XIX. (Tarmouni) und der armenische Präsident Serzh Sarksyan teil. Ob der Papst den Begriff Völkermord benutzen würde, war mit besonderer Spannung erwartet worden.

Der Papst sagte bei der Messe, dass für die beiden anderen Völkermorde des 20. Jahrhunderts der „Nazismus und Stalinismus“ verantwortlich gewesen seien. In jüngerer Vergangenheit habe es aber noch weitere Massenmorde gegeben, etwa in Kambodscha, Ruanda, Burundi und Bosnien. Die Menschheit sei offenbar nicht dazu in der Lage, „dem Vergießen von unschuldigem Blut ein Ende zu setzen“, so Franziskus.

Türkische Regierung kritisiert Papst-Äußerungen

Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu kritisierte die Äußerungen von Papst Franziskus zu den Massakern an den Armeniern am Sonntagabend als „unangemessen“ und „einseitig“.

Leider stünden die Bemerkungen des Papstes nicht im Einklang mit dessen Forderung nach Versöhnung, die er während seines Besuchs in der Türkei im November erhoben habe, sagte Davutoglu im Fernsehen. Er hoffe, dass der Papst seine Haltung revidieren werde. Die Türkei hatte nach Messe den Gesandten des Vatikan einberufen und zugleich den eigenen Botschafter am Heiligen Stuhl zu Konsultationen nach Ankara abberufen.

Türkei verhindert Messe des Papstes in Armenien

Laut Bericht der türkischen Zeitung „Vatan“ habe die Türkei einen Gedenkgottesdienst des Papstes in Armenien verhindert. Der Gedenkgottesdienst hätte eigentlich am 24. April in Eriwan stattfinden sollen, stattdessen fand der Gottesdienst am 12. April im Vatikan statt.

Das türkische Außenministerium warnte nun den Vatikan davor, „Schritte vorzunehmen, die irreparable Konsequenzen für unsere Beziehungen haben könnten“. Vom Pontifikat werde erwartet, zum Weltfrieden beizutragen, statt Feindseligkeiten über historische Ereignisse zu schüren, hieß es weiter.

Im Jahr 2006, als Jorge Mario Bergoglio noch Erzbischof von Buenos Aires war, hatte er die Türkei aufgefordert, die Massaker als „das größte jemals von der ottomanischen Türkei begangene Verbrechen gegen das armenische Volk und die Menschheit insgesamt“ anzuerkennen.

Wiederholte Proteste der Türkei

Ankara legte daraufhin Beschwerde ein und zitierte den Apostolischen Nuntius ins Außenministerium. Als Franziskus die Gräueltaten an den Armeniern knapp drei Monate nach seinem Amtsantritt als Papst, Anfang Juni 2013, schon einmal als „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete, protestierte die Türkei ebenfalls offiziell. „Absolut inakzeptabel“ sei diese Äußerung, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums in Ankara.

Auch damals wurde der vatikanische Botschafter zu einem Gespräch zitiert. Der Begriff war nicht in einer offiziellen Stellungnahme gefallen, sondern im persönlichen Gespräch mit Nachfahren von Opfern der Vertreibung am Rande einer Privataudienz für Nerses Bedros XIX. im Vatikan. Bekannt wurde die Äußerung durch einen Mitschnitt des vatikanischen Fernsehens.

religion.ORF.at/APA/KAP/dpa

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