„March of the Living“: Holocaust-Überlebende mahnen

Zum Holocaust-Gedenktag haben sich 10.000 Menschen zum „March of the Living“ (MoL) in Auschwitz versammelt. Erstmals hat sich auch das Oberhaupt der katholischen Kirche an die Teilnehmer gewandt.

Im Zeichen der Befreiung der Konzentrationslager (KZ) durch die Alliierten im Jahr 1945 stand am Donnerstag der „Marsch der Lebenden“ vom Konzentrationslager Auschwitz zum Vernichtungslager Birkenau. Angesichts der ungeheuren Zahl der von den Nationalsozialisten im Holocaust Ermordeten kam die Rettung vor 70 Jahren viel zu spät. „Wir werden nie mehr zu spät kommen“, hieß es daher am Beginn der Gedenkveranstaltung.

Alleine in Auschwitz und Birkenau wurden nach Schätzungen etwa 1,3 Millionen Menschen umgebracht. Die meisten der Ermordeten waren Juden. Im Gedenken an die Opfer des 2. Weltkrieges und der sechs Millionen Opfer der Shoa traten am Donnerstag mehr als 10.000 vor allem junge Menschen zusammen mit Überlebenden den drei Kilometer langen „March of the Living“ (MoL) an. Seit 2007 nehmen auch österreichische Schülerinnen und Schüler teil. Heuer waren es etwa 500 Jugendliche aus Österreich, darunter erstmals auch eine Delegation mit hohen politischen Vertretern um den Zweiten Nationalratspräsidenten Karlheinz Kopf (ÖVP) und Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ).

Grußbotschaft von Papst Franziskus

Erstmal hat sich auch Papst Franziskus als Oberhaupt der katholischen Kirche zum Holocaust-Gedenktag „Yom Hashoa“ an die Teilnehmer des „MoL“ gewandt. In einer während der Gedenkfeier verlesenen Grußbotschaft ließ er ausrichten, er fühle sich der „Mission des Marsches nahe“. Er bete um Segen für den „Kampf um Leben und Würde“, schrieb Franziskus.

March of the Living

Der „Marsch der Lebenden“ wird seit 1988 am israelischen Nationalfeiertag und Holocuast-Gedenktag Yom Hashoa begangen. An diesem Tag wird einerseits der Opfer des Holocuast gedacht, andererseits auch der Juden, die Widerstand geleistet hatten und somit als Helden gelten. Der Marsch wird auch als Protest gegen Holocaust-Leugnungen verstanden.

Heinisch-Hosek, Kopf und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch entzündeten im Rahmen der Zeremonie eine von sechs Fackeln, der österreichische Holocaust-Überlebende Marko Feingold sprach das Totengebet am Ende der Veranstaltung und führte danach ein Gespräch mit den heimischen Schülern.

„Nicht vergessen - nicht vergeben“

„Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird auch Probleme mit der Zukunft haben“, erklärte Feingold unter anderem. Sein Überleben verdanke er vielen Zufällen und seinem Willen, dieses Martyrium „unbedingt durchzustehen“, so der 101-jährige Überlebende mehrerer Konzentrationslager, darunter auch das KZ Auschwitz.

Solidarität mit den Ermordeten verpflichte zum Erinnern, sagte Zygmunt Rolat, ein in Polen geborener Holocaust-Überlebender vor rund 10 000 Teilnehmern des „Marschs der Lebenden“. Dabei zogen junge Juden aus aller Welt von Auschwitz nach Birkenau.

Ein Holocaust-Überlebender spricht vor dem Eingang zum KZ Auschwitz

Reuters/Lukas Krajewski/Agencja Gazeta

Ein Holocaust-Überlebender vor dem Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz

„Wenn ich die Wahl hätte, würde ich es vorziehen, mich nicht zu erinnern“, sagte Rolat, der nach dem Krieg in die USA auswanderte. „Ich würde es vorziehen, nicht diese Erinnerungen zu haben, aber ich habe keine Wahl.“ Zugleich warnte er davor, dem „schönen Zauber“ des Appells „Nie wieder“ zu vertrauen: „Glaubt das nicht. Es ist wieder passiert, in Bosnien, in Ruanda, in Kambodscha, im Sudan.“

Sendungshinweis:

Erfüllte Zeit, Sonntag, 19.4.2015, 7.05 Uhr, Ö1

„Nach 70 Jahren, nach einem Menschenleben, könnte man glauben, dass es an der Zeit ist, das Kapitel der Vergangenheit abzuschließen“, sagte der Rabbiner Meir Lau aus Tel Aviv, der als Achtjähriger den Holocaust überlebte. „Aber wir dürfen nicht vergessen, und wir werden nicht vergeben.“

„Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart“

In einer Videobotschaft nannte der israelische Präsident Reuven Rivlin die Jugendlichen eine „Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart“. Während die Generation der Zeitzeugen sterbe, müsse die junge Generation von den Überlebenden die Flamme der Erinnerung übernehmen. „Stellt sicher, dass die Erinnerung immer Teil unseres Lebens ist“, sagte er.

Ausgehend vom Tor zum Stammlager Auschwitz I mit der berüchtigten zynischen Aufschrift „Arbeit macht frei“ führt der Weg, der im Rahmen der Gedenkveranstaltung seit 1988 jedes Jahr beschritten wird, über die Bahnstrecke in Richtung des Lagers Birkenau (Auschwitz II). Die gute Bahnanbindung war auch einer der Gründe, warum die Nazis diesen Ort als Hauptschauplatz für ihre Pläne zur Ausrottung auserkoren hatten. Die Dimension der industrialisierten Vernichtung wurde spätestens dann spürbar, als die weitläufigen Gebäudekomplexe des Lagers Birkenau in Sicht kamen.

Appelle an die Jugend

Kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee, am 27. Jänner 1945, wurden von der SS die Holzbaracken verbrannt. Die Ruinen und die erhaltenen, aus Stein gemauerten Baracken sowie die ebenfalls von der SS gesprengten Ruinen der Krematorien zeichnen ein unheimlich schauriges Bild. Bei Eintreffen des Gedenkzuges wurden die Namen ermordeter Kinder verlesen, die exemplarisch für die unglaubliche Anzahl getöteter Kinder und Jugendlicher standen. Alleine in Auschwitz I und II wurden laut Schätzungen 234.000 Kinder und Jugendliche ermordet, 220.000 davon waren Juden.

Die jugendlichen Teilnehmer waren oft die Adressaten, an die die Redner bei der Gedenkzeremonie in Birkenau - viele davon Holocaust-Überlebende - ihre Appelle richteten. Die jüdischen und nicht-jüdischen jungen Menschen seien diejenigen, die die Erinnerung an das Grauen an diesem und so vielen anderen Orten zu dieser Zeit weiter tragen sollten. Es gelte, wachsam zu bleiben, damit so etwas nie wieder passiert, betonte Rivlin in seiner Videobotschaft.

religion.ORF.at/APA/dpa

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