Gedenken: Zeugen Jehovas und der lila Winkel

Zeugen Jehovas in Österreich gedenken der Befreiung Mauthausens vor 70 Jahren. Die damals als Bibelforscher bezeichneten Zeugen Jehovas wurden von den Nationalsozialisten nur wegen ihres Glaubens verfolgt.

Dieser Tage gedenkt die auch als Jehovas Zeugen bekannte Religionsgemeinschaft jener ihrer „Glaubensbrüder- und Schwestern“, die in Mauthausen und den angeschlossenen Nebenlagern interniert waren. Am 5. Mai 1945 wurde das Konzentrationslager Mauthausen von amerikanischen Truppen befreit und übernommen. Das Gedenken an die Schrecken dieses Lagers, in dem die „Vernichtung durch Arbeit“ das erklärte Ziel war, jährt sich dieses Jahr zum 70. Mal.

„Ablehnung des Führerprinzips“

Verfolgt wurden die Bibelforscher, wie man sie damals nannte, aus mehreren Gründen: Einer von zwei Hauptgründen sei „Ablehnung des Führerprinzips“ gewesen, sagte der Historiker und Zeuge Jehovas Timon Jakli zu religion.ORF.at. Das bedeutet, dass die Bibelforscher sich weigerten, in Adolf Hitler ihren „Führer“ anzuerkennen. Wer es etwa ablehnte, eine Hakenkreuzfahne an seinem Haus zu hissen, konnte dafür bei der Staatspolizei angezeigt und verhaftet werden. Danach folgte die Haft in einem Konzentrationslager. Auch die Verweigerung des „Hitlergrußes“ wurde mit Haft geahndet. Denunziationen spielten hier - wie auch bei der Verfolgung anderer Bevölkerungsgruppen durch die Nazis - eine Rolle.

Eine Armbinde aus einem Konzentrationslager mit  einer Nummer und einem violetten Dreieck - zur Kennzeichnung von Zeugen Jehovas.

Public Domain/ Coreyjo

Zeugen Jehovas wurden in den Lagern mit lila Winkeln gekennzeichnet

„Wehrkraftzersetzung“

„Wehrkraftzersetzung“ und vor allem, nach Einführung der Wehrpflicht, Wehrdienstverweigerung war der zweite Grund für die Verfolgung der Bibelforscher. Andere Gründe waren etwa die Verbreitung von Abschiedsbriefen hingerichteter Wehrdienstverweigerer, das Einschmuggeln, Vervielfältigen und Verteilen von Druckschriften wie dem „Wachtturm“, gegen den Krieg gerichtete Äußerungen und die Weigerung, in Rüstungsbetrieben und der Rüstungsindustrie nahestehenden Zweigen zu arbeiten.

Diese Akte der Ablehnung des Regimes seien allerdings nicht „aus einer antifaschistischen oder prodemokratischen Geisteshaltung heraus“ entstanden, wie das bei anderen Widerstandsgruppen der Fall war, sondern es handelte sich um ein Eintreten für die eigenen religiösen Werte und für die eigene freie Religionsausübung, so Jakli.

Eigene Kennzeichnung: Lila Winkel

Die Zeugen Jehovas zählten in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten zu den ersten Häftlingen und erhielten ab 1937 aufgrund ihrer während der ersten Jahre verhältnismäßig großen Anzahl als einzige religiöse Gruppe eine eigene Kennzeichnung: den „lila Winkel“. Andere wegen Regimekritik inhaftierte Christen wurden den politischen Häftlingen zugeordnet.

Historiker und Jehovas Zeuge Timon Jakli

Timon Jakli

Historiker und Zeuge Jehovas Timon Jakli

In Mauthausen und den Nebenlagern wie etwa Gusen waren Historiker Jakli zufolge etwa 450 Zeuginnen und Zeugen Jehovas aus zwölf Ländern interniert (85 Prozent Männer, 15 Prozent Frauen). Die meisten von ihnen kamen aus Deutschland, Polen und Österreich. Etwa 140 (allesamt männliche) Zeugen Jehovas starben in Mauthausen. Insgesamt waren laut Jakli über 11.000 Bibelforscherinnen und Bibelforscher im „Dritten Reich“ inhaftiert, mehr als 4.000 waren in Konzentrationslagern.

Sie hörten auch im Inhaftiert wurden über 11.000, über 4000 waren im Konzentrationslager nicht damit auf, zu missionieren. So kam es zu mehreren Erwachsenen-Wassertaufen, sogar ein SS-Mann sei Zeuge Jehovas geworden, erzählte Jakli. Der Besitz von Bibeln und religiösen Schriften wie Ausgaben des verbotenen Zeugen-Organs „Wachtturm“ war im Lager streng verboten. Eingeschmuggelt und verbreitet wurden sie trotzdem. Jährliche Gedenkfeiern an den Tod Christi wurden abgehalten, „ein verrückter Aufwand“, so der Historiker, und zweifellos sehr gefährlich.

Abschrift einer Erklärung des "Abschwörens" für Bibelforscher, KZ Ravensbrück

Jehovas Zeugen, Deutschland

Abschrift einer Erklärung des „Abschwörens“ für Bibelforscher, KZ Ravensbrück

Zum „Abschwören“ gedrängt

Obwohl die Zeugen Jehovas, anders als andere Häftlingsgruppen, die Möglichkeit hatten, durch Unterzeichnung einer Erklärung ihrem Glauben abzuschwören und dadurch dem KZ zu entkommen, nahmen nur wenige - trotz massiven und gewalttätigen Drucks seitens der SS - diese Möglichkeit in Anspruch. Die Glaubensgemeinschaft Jehovas Zeugen ist bis heute stolz auf diese Haltung.

Jehovas Zeugen

Jehovas Zeugen (häufiger: Zeugen Jehovas) sind in Österreich seit 1911 aktiv und seit Mai 2009 eine gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft - mit ca. 21.000 Mitgliedern sind sie damit die fünftgrößte in Österreich. Die Religionsgemeinschaft finanziert sich nach eigenen Angaben durch freiwillige Spenden. Jehovas Zeugen gingen aus der Internationalen Vereinigung „Ernster Bibelforscher“ hervor, die im ausgehenden 19. Jahrhundert in den USA von Charles Taze Russell gegründet wurde.

Da der allergrößte Teil der Bibelforscher „Arier“ und daher in den Augen der Nazis „wertvolle Menschen“ gewesen seien, habe die SS sie für diverse „Häftlingsfunktionen“ und auch als Kapos eingesetzt. Außerdem hätten die Zeugen durch ihre Auffassung einer von Gott eingesetzten Obrigkeit ein zwiespältiges Verhältnis zur Haft gehabt, sagte Historiker Jakli zu religion.ORF.at: „Der Staat ist eine Autorität. Wenn der Staat mich einsperrt, darf ich nicht flüchten.“

Für Zeugen Jehovas gehöre es zu ihrem religiösen Selbstverständnis, „die Gesetze des Staates zu halten, den staatsbürgerlichen Pflichten nachzukommen und Respekt vor staatlichen Autoritäten zu haben“, schreibt Jakli in der gemeinsam mit Heide Gsell verfassten Publikation „Jehovas Zeugen im KZ Mauthausen - Widerstand aus religiöser Überzeugung“. Der Widerstand der Zeugen war ein rein passiver. Daraus folgte, dass die Zeugen Jehovas den Ruf hatten, „zuverlässig“ zu sein - sie widersetzten sich nicht und machten nicht den Versuch zu flüchten. „Dann kam es zu gewissen Hafterleichterungen für Zeugen Jehovas“, so Jakli.

Zeugen Jehovas im KZ Mauthausen, Mai 1945

Jehovas Zeugen, Deutschland

Zeugen Jehovas im KZ Mauthausen, Mai 1945

Mauthausen „schlimmstes aller Lager“

Verglichen mit der Lage der Juden, deren Vernichtung spätestens seit der Wannsee-Konferenz erklärtes Ziel der Nationalsozialisten war, hatten es „Arier“ leichter, in „gute“ Arbeitskommandos zu kommen und Privilegien zu erhalten. Dennoch bezeichneten viele Zeugen Jehovas, die auch in anderen Lagern inhaftiert waren, Mauthausen als das schlimmste aller Lager.

Sendungshinweis:

Religion aktuell, Dienstag, 5.5.2015, 18.55 Uhr, Ö1

„Zu dieser Einschätzung trug nicht nur der erbarmungslos harte Winter 1939/40 mit Extremtemperaturen von bis zu -40°C bei, sondern auch die allgemein bekannten schlimmen Lebens- und Ernährungsbedingungen sowie die harte Arbeit im Steinbruch und der Lageraufbau in (dem Nebenlager, Anm.) Gusen. Dazu kamen die immer wiederkehrenden Verhöre und Zuchtmaßnahmen der SS aufgrund ihrer Verweigerungshandlungen und ihrer Missionstätigkeit“, schreiben Gsell und Jakli.

„Leidensgemeinschaft mit festem Zusammenhalt“

Hans Marsalek, ehemaliger Lagerschreiber und langjähriger Leiter der Mauthausen-Gedenkstätte, beschrieb die Zeugen Jehovas in Mauthausen in seinem Buch „Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen“ als „Leidensgemeinschaft mit festem Zusammenhalt“.

„Sie übten innerhalb der illegalen politischen Auseinandersetzung im Lager strenge Neutralität, es gab mit ihnen keine politische Zusammenarbeit, sie lehnten Tätigkeiten gegen die SS ab und dazu kam noch, dass keiner von ihnen aus dem Lager zu flüchten beabsichtigte.“

An den Befreiungsfeiern am 10. Mai 2015 wird auch der Verein „Lila Winkel“ teilnehmen, der sich in der Gedenkarbeit für die oft vergessene Opfergruppe der Zeugen Jehovas engagiert.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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