Schiffsunglück: NGOs fordern Wende in EU-Asylpolitik

Eine Umkehr in der Asylpolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten haben österreichische NGOs am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Wien gefordert. Ähnliches verlautete auch aus dem Vatikan.

„Heute muss es um mehr Rettungsboote und bessere Rettungsmaßnahmen gehen, langfristig braucht es aber eine gemeinsam von Regierungs- und Staatschefs und der Zivilgesellschaft entwickelte menschliche, europäische Flüchtlingspolitik“, sagte Caritas-Präsident Michael Landau mit Blick auf den Brüsseler Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer.

Caritas-Präsident Michael Landau

APA/Georg Hochmuth

Caritas-Präsident Michael Landau

Betroffenheit müsse nun endlich Taten weichen, „denn für Betroffenheit war genug Zeit und Betroffenheit rettet noch keine Leben“, so der Caritas-Präsident. „Mehr als 20.000 Menschen sind in den vergangenen 25 Jahren, mehr als 1.300 alleine in den letzten fünf Tagen bei den gefährlichen Überfahrten im Mittelmeer ertrunken. Wir schwimmen und gehen über Leichen vor den Toren Europas.“ Es sei an der Zeit, vom reinen Lippenbekenntnis zu konkreten Maßnahmen zu finden; denn „das Sterben vor den Augen Europas ist eine Schande für den Kontinent“.

Die Finanzierungsfrage in den Mittelpunkt zu stellen, ist für Landau zynisch. „Eine Neuauflage der großräumigen Rettungsaktion ‚Mare Nostrum‘ kostet für ein Jahr etwa so viel wie der geplante zweitägige G7-Gipfel in Bayern“, rechnete der Caritas-Präsident vor. Die Aktion ist 2014 wegen der fehlenden Finanzierung seitens der Europäischen Union eingestellt und durch die Grenzschutz-Aktion „Triton“ ersetzt worden.

Diakonie: Flüchtlingslager-Idee „weltfremd“

Auf Ablehnung stieß der Vorschlag, in den betroffenen Ländern Flüchtlingslager einzurichten. Das sei weltfremd, illusorisch und unrealistisch, erklärte Diakonie-Direktor Michael Chalupka. Außerdem gebe es bereits genügend Flüchtlingslager. Was fehle, seien Staaten, die die dort lebenden Menschen aufnehmen. Gegenwärtig seien etwa bereits 800.000 Menschen beim UNHCR für Umsiedelungsprogramme (Resettlement) registriert. 2014 hätten jedoch nur 71.000 Menschen auf diesem Weg Asyl erhalten, der überwiegende Großteil, nämlich 64.000, in den USA, Kanada und Australien, lediglich 5.500 in Europa.

Boote-Zerstören „zynisch“

Als „besonders zynisch“ werteten die NGO-Vertreter auch den Vorschlag, Schlepperboote gezielt zu zerstören. Das löse gar nichts, denn Schlepper hätten kein „Limit nach unten“, so Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer. Das Geschäftsmodell hinter der Schlepperei sei viel mehr die Festungspolitik der EU. Denn solange Menschen in ihren Heimatländern der sichere Tod drohe, so lange würden sie auch versuchen zu flüchten.

Es brauche deshalb Alternativ-Angebote seitens der EU, betonte Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International. Es spreche nichts dagegen, das „schmutzige Schlepperhandwerk auszutrocknen“, gleichzeitig brauche es aber sichere Möglichkeiten, um nach Europa zu kommen und dort Asyl beantragen zu können; denn zurzeit sei das Angebot der Schlepper der einzige Weg nach Europa.

„Triton“ ließ Todesrate explodieren

Einstimmig forderten die NGO-Vertreter auch die Wiedereinführung der Seenot-Rettungsaktion „Mare Nostrum“. Unter dem Name „Mare Nostrum“ lief bis Ende 2014 ein Rettungsprogramm der italienischen Marine für Mittelmeerflüchtlinge, das wegen fehlender Finanzierung seitens der EU wieder aufgelöst und Anfang 2015 durch das Programm „Triton“ der EU-Grenzschutzmission Frontex ersetzt wurde. Die von der EU erhoffte Abschreckung habe sich aber nicht erfüllt, so Patzelt.

Zahlen belegen, dass 2014 genauso viele Menschen versuchten, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, wie 2015, rechnete Patzelt vor. Einziger Unterschied: „Die Todesrate unter den Flüchtlingen ist nach der Einführung von Triton eklatant in die Höhe gegangen.“ Die angekündigte Verdoppelung der monatlichen Mittel für „Triton“ - gegenwärtig sind es rund drei Millionen - „kann man nur als gefährliche Drohung interpretieren“, warnte er.

Dass die Forderung der NGOs auch Rückhalt in der Zivilbevölkerung habe, zeige die aktuelle von der Caritas und anderen NGOs kürzlich gestartete Petition gegen das „Massensterben im Mittelmeer“. Innerhalb weniger Stunden hätten auf www.gegenunrecht.at über 10.000 Menschen die Petition unterschrieben, berichtete Landau.

Kardinalstaatssekretär fordert Mittelmeerdialog

Der vatikanische Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin sagte, das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer erfordere eine „präzisere und viel konkretere Zusammenarbeit“ der Europäer und einen regionalen Dialog. Es handle sich nicht nur um ein italienisches Problem, wie die geografische Nähe zu Afrika vermuten lasse, sagte Parolin dem Internetportal Vatican Insider am Mittwoch in einem Interview.

Ein Land allein sei nicht in der Lage, eine zufriedenstellende Lösung zu bieten. Insbesondere komme es darauf an, in den Herkunftsländern der Flüchtlinge Bedingungen zu schaffen, die den Exodus stoppen und das Netz der Schlepper zerreißen könnten. „Leider verdienen Menschen damit, dass sie mit dem Leben vieler Unschuldiger spekulieren“, so der Kardinal.

Friedliche Lösungen finden

Viele Flüchtlinge suchten den Weg nach Europa aufgrund von Krieg und Krisen in ihrer Heimat. Aus gutem Grund wende sich Papst Franziskus immer wieder gegen den Waffenhandel und gegen die wirtschaftlichen Interessen hinter den Konflikten. Das Problem der Migranten sei daher eine besondere Herausforderung für die internationale Diplomatie, die friedliche Lösungen für Konflikte finden müsse. Das müsse im Dialog erfolgen, auch wenn dieser keine „magische Lösung“ bringe, so Parolin. Dennoch sei die Kirche überzeugt, dass es keinen anderen Weg zur Lösung der Probleme in der Welt gebe.

Das enorme Ausmaß der Flüchtlingstragödie lasse einen „erschaudern“ und appelliere an das Verantwortungsbewusstsein aller, sagte der vatikanische Staatssekretär. Die Kirche müsse hier neben ihrem Sozialdienst auch eine intensivere Informationsarbeit leisten. Viele der Flüchtlinge seien sich des Risikos der Überfahrt nicht bewusst, sagte er mit Hinweis auf Interviews mit Überlebenden.

Mehr dazu:

Links: