Aasfresser im Dienste der Religion

Wer stirbt, wird den Geiern überlassen – so haben es die Zoroastrier jedenfalls bisher gehandhabt. Weil die Greifvögel aber vom Aussterben bedroht sind, gerät die kleine Religionsgemeinschaft immer mehr unter Druck.

Der Zoroastrismus wird oft als älteste bekannte monotheistische Religion der Welt bezeichnet, nun kämpfen seine Anhänger mit den Folgen der modernen Medizin: Diclofenac, ein entzündungshemmendes Mittel, das Rindern verabreicht wird, hat eine tödliche Wirkung auf die Geier, die sich von den Tierkadavern ernähren. In Indien ist die Zahl der Geier deshalb rapide zurückgegangen, die Greifvögel sind vom Aussterben bedroht.

„Reines nicht verunreinigen“

Das ist nicht nur für Tierschützer eine Katastrophe: Zoroastriern nimmt diese Entwicklung die Basis für ihre religiöse Bestattungspraxis. In Indien und im Iran legen Zoroastrier ihre Toten in runde, hohe Türme abseits der Städte und überlassen sie den Aasfressern.

Geier im Flug

Reuters/Enrique Calvo

Zoroastrier überlassen die Toten den Geiern. Doch in Indien sterben die Vögel aus.

Die Tiere brauchen nur wenige Stunden, um die Körper zu fressen. Der Grund für diese Form der Bestattung: Alles, was einmal lebendig war und abgestorben ist, wird von der Religionsgemeinschaft als unrein erachtet, zitierte die Website des Schweizer Radios und Fernsehens (SRF) jüngst die Religionswissenschaftlerin Dorothea Lüddeckens. Was unrein ist, „muss besonders behandelt werden“, damit es Reines nicht verunreinige, so die Expertin für Zoroastrismus. Daher dürfen Tote nicht in der für die Zoroastrier reinen Erde begraben oder im reinen Feuer verbrannt werden.

Hilfe durch Solarenergie

Nachdem in den Dachma, den Turm des Schweigens, der 1931 in den Malabar-Hügeln außerhalb der indischen Metropole Mumbai errichtet wurde, irgendwann keine Geier mehr kamen, mussten die in Indien ansässigen Zoroastrier umdenken. Die Not machte erfinderisch: „Für 800 Tote im Jahr brauchen wir mindestens 250 Geier. Aber da keine mehr da sind, haben wir Solarkollektoren installiert. Ich glaube , das ist der einzige Ausweg“, so Dinshaw Rusi Mehta von der zoroastrischen Organisation Bombay Parsi Punchayet gegenüber dem arabischen TV-Sender al-Jazeera.

Turm des Schweigens der Zoroastrier, Iran

Reuters/Damir Sagolj

Verstorbene werden in einen Turm des Schweigens gebracht

Durch die Sonne - die Kollektoren erzeugen eine Temperatur von bis zu 110 Grad Celsius - werden die Leichen schneller zersetzt. Auch Knochen zerfallen zu Staub. Wenn die Sonne untergegangen ist oder während der Monsunmonate ist die moderne Anlage aber wertlos. Noch ein Nachteil: Krähen, die sich auch von Kadavern ernähren, bleiben dadurch dem Turm fern.

Millionen für Geierzucht

Die Zoroastrier sind also auf die Rückkehr der Geier angewiesen. Daher investieren sie in Indien Millionen in die Zucht der Greifvögel. Meinungsverschiedenheiten innerhalb der parsischen Gemeinde in Mumbai hätten allerdings ein Projekt der Regierung, das das Züchten von Geiern zum Ziel hatte, ins Stocken gebracht, sagte Asad Rahmani, Direktor der Bombay Natural History Society (BNHS), zu al-Jazeera. Bis zum Jahr 2014 hätte das Ziel erreicht werden, also Geier wieder in den Turm fliegen sollen. In fünf indischen Städten habe sich die Geierpopulation wieder erhöht, so Rahmani.

Die Zoroastrier glauben an den einen guten Gott, Ahura Mazda, und auch daran, dass es eine böse Macht, einen Gegenspieler Gottes, Angra Mainyu, gibt. Die Zoroastrier sind eine kleine Religionsgemeinschaft: 130.000 bis 150.000 von ihnen gibt es, der Großteil, 60.000 bis 70.000, lebt in Indien, wo sie Parsen genannt werden. Der Hintergrund: Der Zoroastrismus stammt aus dem heutigen Gebiet des Iran, und Pars ist der alte Name der iranischen Provinz Fars.

Gemeinde ohne Wachstum

Die Religion ist nach ihrem iranischen Stifter Zarathustra (griechisch Zoroaster) benannt, der etwa Ende des 1. bzw. Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. gelebt haben soll. Die Religion hat sich im Zuge der islamischen Expansion in den Iran durch die Auswanderung der Zoroastrier in Indien verbreitet. Schätzungen zufolge flüchtete ein Teil der Gläubigen zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert nach Indien, wo ihnen unter der Auflage, nicht zu missionieren, Asyl gewährt wurde.

Heute leben im Iran rund 45.000 Zoroastrier. Mehrere tausend leben zudem zerstreut in den USA und Europa. Die Gemeinde in Indien steht vor dem Problem, dass trotz der steigenden Bevölkerungszahl in dem nach China bevölkerungsreichsten Land der Erde die Zahl der Parsen stagniert.

Eine ältere Parsin vor dem Tempel der Zoroastrier in Mumbai

Reuters/Arko Datta

Eine ältere Parsin geht in einen parsischen Feuertempel in Mumbai

Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Parse ist nur, wer als solcher geboren wird, und das auch nur dann, wenn beide Eltern der Religionsgemeinschaft angehören. Höhere Bildung der Frauen führt dazu, dass sie später und weniger Kinder bekommen, Ehen mit Partnern außerhalb der parsischen Community werden häufiger, und Konversion zum Zoroastrismus wird von der parsischen Gemeinde weitgehend abgelehnt. „Als man uns in Indien Asyl gegeben hat, haben wir eingewilligt, die Einheimischen nicht zu unserem Glauben zu konvertieren. Das ist eigentlich kein Bestandteil unserer Religion. Es ist nur eine Vereinbarung, die wir seit Jahrhunderten einhalten“, sagte Mehta.

Große Herausforderungen

Ein Pakt, der die parsische Bevölkerung am Wachsen hindert. Die Herausforderungen, mit denen sich die Parsen konfrontiert sehen, betreffen den Kern der Religion. Wie das Überleben des Zoroastrismus sichern und wie den Glaubensgrundsätzen der Religion entsprechend mit den Verstorbenen umgehen?

In der größten parsischen Community der Welt in Mumbai entbrennen jedenfalls immer wieder Diskussionen darüber, wie mit dem Verschwinden der Geier umgegangen werden soll. Während manche auf neue Wege - etwa das Kompostieren von Leichen - setzen möchten, wollen andere an der alten religiösen Tradition festhalten: Wer aus dem Leben scheidet, wird den Geiern überlassen. Dafür müssten die Aasfresser aber in großer Zahl zurückkehren - dass das geschieht, hoffen zumindest die Zoroastrier.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

Links: