Biografie: Der „unbequeme“ Bischof Stecher

Er hat zu Lebzeiten keine Biografie von sich gewollt: Erst zwei Jahre nach dem Tod des Innsbrucker Bischofs Reinhold Stecher wurde er von seinem ehemaligen Ministranten, dem Autor Martin Kolozs, gewürdigt.

„Man fragt nach der Not, nicht nach dem Glaubensbekenntnis“ - diese von Bischof Stecher geäußerten Worte haben ihre Aktualität nicht verloren. Damals wie heute sind Menschen rund um die Welt zur Flucht gezwungen. Bischof Stecher war für sein Engagement für Flüchtlinge bekannt: Als 1990 Tausende Rumänen aus Österreich abgeschoben werden sollten, erklärte Stecher, die Diözese Innsbruck werde die Flüchtlinge in den Pfarren aufnehmen. Denn er empfinde „die Idee einer Deportation als ungeheuerlich. Vielleicht habe ich zu lange in der Diktatur gelebt.“

Autor Martin Kolozs spürt in seinem Buch „Bischof Reinhold Stecher. Leben und Werk“ den Wurzeln des beliebten Volksbischofs, Seelsorgers, Autors und Malers nach und fragt, was den Charakter des Kirchenmannes geprägt hat, und wer der Mensch hinter dem Talar eigentlich war. Reinhold Stecher wurde am 22. Dezember 1921 in Innsbruck geboren. Er war der Sohn eines Landesschulinspektors und einer Bäckerstochter und hatte zwei Brüder.

Licht und Schatten

Im Gespräch mit religion.ORF.at sprach der Autor Martin Kolozs über die Beweggründe für das Schreiben des Buches über Bischof Stecher: „Ich war in frühen Jahren Ministrant bei ihm. Als er gestorben ist, wollte ich ihn würdigen“, sagte Kolozs. Stecher war 17 Jahre lang Bischof der Diözese Innsbruck und weit über die Grenzen Tirols bekannt und beliebt. Deshalb sei Kolozs als Autor eine gewisse Gefahr bewusst gewesen: „Wenn ein Mensch so beliebt ist, besteht die Gefahr, dass man mit einer Demutshaltung herangeht und das Licht auf gewisse Dinge legt und andere im Schatten lässt“, so der Theologe.

Bischof Reinhold Stecher. Leben und Werk - von Martin Kolozs, Buchcover

Styria

Martin Kolozs: Bischof Reinhold Stecher. Leben und Werk, Styria-Verlag, 208 Seiten, 24,99

Doch Bischof Stecher hätte sich und anderen Menschen seine Schwächen und Launen eingestanden, sagte Kolozs. „Er hat auch Entscheidungen getroffen, die fragwürdig waren. Auch das muss man zugestehen“, so der Autor.

Trotziger Bub

Das Bild, das Kolozs von dem 2013 verstorbenen Bischof zeichnet, ist das eines geerdeten, prinzipientreuen Menschen. Er porträtiert den ungestümen Buben Reinhold aus Mühlau, der sogar seiner ihn ermahnenden Mutter den Wind aus den Segeln zu nehmen wusste. Und er zeigt mit den Erzählungen aus der Kindheit Stechers, wo die Grundsteine für seine späteren Überzeugungen gelegt wurden.

So findet sich in Kolozs’ Buch auch eine für Stecher bedeutende und zukunftsweisende Aussage seiner Mutter: „Als der erste Schulbesuch näher rückte, kam es zu folgender kleinen Episode, an die ich mich noch so oft erinnern sollte. ... Die Mutter sagte zu mir: ‚Du kommst jetzt in die Schule. Und du wirst in der Klasse eine Menge Schulkameraden haben, die einen etwas anderen Glauben haben als wir. Aber merk dir eines: Man darf nie etwas sagen, was den anderen wehtut ...‘.“

Protestierender Priester

Prägend für Stecher waren aber auch Schicksalsschläge wie der Tod seines Vaters sowie seine Erlebnisse unter der Diktatur der Nationalsozialisten. Stecher war 1939 ins Priesterseminar eingetreten und hatte sich 1941 einer Gruppe angeschlossen, die eine verbotene Wallfahrt nach Maria Waldrast organisierte. Einen Tag später wurde er von der Gestapo festgenommen, inhaftiert und in weiterer Folge immer wieder verhört.

Altbischof Reinhold Stecher bei einer Rede 2002

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Bischof Stecher bei einer Rede im Jahr 2002

„Du stehst im Sträflingsgewand, halb verhungert, ungepflegt vor den Verhörern, von denen du weißt, dass sie vor keinem Mord zurückschrecken. Ich habe es selbst erlebt, dass man sich bei dieser Bearbeitung und diesen Methoden auf einmal wie ein Verbrecher fühlt. Erst in der Einsamkeit der Zelle kommt man wieder zu sich und sagt sich: Nein, die Verbrecher sind schon die anderen“, heißt es in dem Buch. Kolozs lässt die Erzählungen des Bischofs 70 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft wieder aufleben.

Heimliche Messe in Haft

In der Zelle, die er mit einem befreundeten Priester teilte, hielt Stecher mit ihm gemeinsam heimliche Eucharistiefeiern ab. Von der Liste derjenigen, die in ein Konzentrationslager überstellt werden sollten, rettete ihn wahrscheinlich die Intervention des früheren Innsbrucker Bischofs Paulus Rusch, der ihn einige Jahre später zum Priester weihen sollte.

Martin Kolozs, Autor der Biografie von Bischof Reinhold Stecher

(privat)

Martin Kolozs schrieb bereits zahlreiche Bücher - darunter auch die Biografie „Karl Rahner – Innsbrucker Jahre“ (2014).

Kolozs präsentiert in dem Buch bisher unveröffentlichtes Quellenmaterial, nimmt Bezug auf Predigten des Bischofs und führt ein fiktives Interview mit ihm. Die Antworten sind Originalzitate Stechers. „Ich wollte kein Buch nur für Fans schreiben, sondern auch für Leute, die der Kirche fernstehen und immer wieder Negativbeispiele referieren“, sagte der Autor im Gespräch mit religion.ORF.at. Es sei ihm ein Anliegen gewesen, zu zeigen, dass es „auch in dieser Generation vorbildliche Kirchenmänner gegeben hat“, erklärte Kolozs.

„Mehr als sein Talar“

Reinhold Stecher habe über die Grenzen Tirols und Österreichs hinweg Strahlkraft besessen, sagte Kolozs. Als Autor habe er Interesse daran gehabt über einen Menschen zu schreiben, der „nacheiferungswürdig“ und „mehr als nur sein Talar“ sei, sagte er. In der Gesellschaft habe man Stecher immer als liberalen Volksbischof bezeichnet. Doch sei er nicht in eine Schublade einzuordnen, so Kolozs. Er habe Prinzipien gehabt - „manchmal trafen die Prinzipien mit dem Zeitgeist zusammen und manchmal nicht“, so der Autor.

Was die Aussöhnung mit dem Judentum betrifft, war Stecher „sehr offen“, erzählte der Biograf. So verbot Stecher etwa die „Anderl-von-Rinn-Verehrung“, die auf der Legende eines angeblichen jüdischen Ritualmordes an einem Kind fußt.

„Hätte Franziskus gern gehabt“

Dass er sich 1992/1993 stark gegen das Anti-Ausländervolksbegehren und immer wieder für Flüchtlinge und Menschen in Not engagierte, befeuerte Stechers Image eines liberalen Kirchenmannes. Konservativ erschien er etwa, wenn es um die Themen Abtreibung und Familie ging, sagte Kolozs: „Der Schutz des Lebens stand für ihn über allem.“

Gelebtes Christentum habe für Stecher bedeutet, Hilfe anzubieten, sagte der Autor, die Caritas sei ihm ein großes Anliegen gewesen. Kolozs: „Ich glaube, er hätte Papst Franziskus sehr gern gehabt, und ich glaube, auch Franziskus hätte ihn sehr gern gehabt.“

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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