Turiner Grabtuch: „Ideologisch aufgeladen“

Im Vorfeld des Papst-Besuchs beim Turiner Grabtuch am Sonntag hat ein Experte in Sachen Grabtuch-Forschung alle Versuche einer ideologisch aufgeladenen Grabtuch-Forschung zurückgewiesen.

Nur mit einer umfassenden wissenschaftlichen Erhebung aller Daten des Turiner Grabtuchs - biologische, chemische sowie physische - könnte man den Rätseln rund um die berühmteste Leinen-Stoffbahn der Welt auf die Spur kommen, sagte Bruno Barberis, Leiter des „Internationalen Zentrums für Grabtuchforschung“ in Turin im Gespräch mit Radio Vatikan.

Er wies im Vorfeld des Papst-Besuchs beim Grabtuch am kommenden Sonntag alle Versuche einer ideologisch aufgeladenen Grabtuch-Forschung zurück: „Die Kirche bittet die Forscher, neue Erhebungen zu machen, aber im Respekt der Methoden. Das heißt, ich soll nicht antreten, das zu beweisen, was ich beweisen will, sondern ich soll die Wahrheit suchen.“

Leinenstoffbahn gibt Rätsel auf

Das Turiner Grabtuch ist 4,36 mal 1,10 Meter groß und zeigt den Doppel-Abdruck eines kräftig gebauten, 1,81 Meter großen Mannes mit Bart und langem Haar. Die Debatte dreht sich um die Frage: Ist das Turiner Grabtuch echt, oder ist es eine Fälschung aus dem Mittelalter? Lag in der Leinen-Stoffbahn vor 2.000 Jahren wirklich der Leichnam Jesu vor seiner Auferstehung? Einig sind sich die Forscher, dass der „Mann des Grabtuchs“ alle Merkmale der in der Bibel beschriebenen Kreuzigung aufweist. Über die Datierung wird jedoch nach wie vor gestritten. Das Grabtuch wird von der katholischen Kirche offiziell nicht als Reliquie anerkannt.

Das Turiner Grabtuch (Ausschnitt)

Reuters/Claudio Papi

Das Turiner Grabtuch (Ausschnitt)

Barberis: „In dem Moment, in dem ich um jeden Preis beweisen will, dass das Leinen eine mittelalterliche Fälschung ist, und in den Medien nicht korrekte Erwägungen zum besten gebe, um meine These vorzutragen, oder im Gegenteil sage, das Grabtuch ist der Beweis der Auferstehung Christi, ist das Nonsens. Das sind zwei falsche Vorgangsweisen.“

„Einzigartiges Objekt auf der Welt“

Untersuchungen müssten seriös gemacht werden, „von einem Team von Forschern, egal ob gläubig oder nicht“. Das Grabtuch sei ein einzigartiges Objekt auf der Welt, es sei nicht einzusehen, warum nur gläubige Wissenschaftler sich damit beschäftigen sollten. Die Tradition und auch die bisher durchgeführten Studien ließen es als wahrscheinlich scheinen, „dass dieses Tuch das Leichentuch von Jesus war“, zeigte sich Barberis überzeugt. Wissenschaftliche Beweise gebe es freilich nicht.

Eine Datierung von Stoffpartikeln mit Hilfe der Radiokarbonmethode (C-14) hatte die Entstehung des Tuchs 1988 ins Mittelalter datiert. Andere Wissenschaftler hatten dem widersprochen und gesagt, die Reliquie stamme „fast sicher“ aus der Zeit Jesu. Dass es 1988 auf eine mittelalterliche Entstehungszeit datiert worden sei, liege an verfälschendem Bakterien- und Pilzbefall späterer Jahrhunderte. Zudem wurden das Abbild einer Münze aus römischer Zeit auf dem Grabtuch und andere Indizien als Beleg für eine Datierung um die Zeit Jesu gewertet.

Erkenntnisse und Fragen

Barberis erläuterte gegenüber Radio Vatikan den derzeitigen Wissensstand: „Wir wissen, dass das Bild auf dem Grabtuch ein ganz oberflächlicher Abdruck ist.“ Die Tiefe sei im Bereich einiger Mikrometer (Millionstel eines Meters). „Wir wissen, dass Flecken menschlichen Blutes der Gruppe AB auf dem Tuch sind, die das Tuch durchsickert haben und auf der Rückseite zu sehen sind, anders als der Abdruck, der auf der Rückseite unsichtbar ist.“ Das Blut verhalte sich wie positive Flecken, der Abdruck wie negative Flecken. Barberis: „Schwarzweißabbildungen des Grabtuchs sind also umgedreht, das heißt, den Abdruck sieht man korrekt im Foto-Negativ.“

Man wisse aus gerichtsmedizinischen Studien, „dass der Abdruck vom Körper eines gefolterten Mannes stammt, der am Kreuz starb, wahrscheinlich an Erstickung, und danach ohne weitere Maßnahmen wie Waschung oder Salbung in das Tuch gelegt wurde“. Dort könne der Leichnam nicht länger als 40 oder 50 Stunden geblieben sein, denn das Leinen weise keine Spuren von Verwesung auf, der Tote sei also vorher aus dem Tuch genommen worden. Man wisse auch, dass auf dem Stoff Spuren von Pollen und Pflanzen sind, die nur in Wüstenregionen Palästinas und Anatoliens auftreten, was bedeute, dass das Tuch höchstwahrscheinlich im Lauf seiner Geschichte in diesen Regionen gewesen sei.

Gewebe möglicherweise kontaminiert

Die umstrittene Radiokarbon-Untersuchung von 1988, die ergeben hatte, dass das Tuch aus dem Spätmittelalter stammt, beurteilte Barberis sehr skeptisch: Möglicherweise sei das Gewebe kontaminiert worden „in seiner langen und komplizierten Geschichte, die man nicht bis ins Detail rekonstruieren kann“. Beispielsweise habe man an der Stelle des Tuches, wo die Stoffprobe entnommen wurde, Baumwollfäden gefunden, die sicherlich später hinzukamen. Die Datierung müsste neu gemacht werden, „aber erst dann, wenn wir genau wissen, wo wir die Stoffproben entnehmen sollen“. Die Entnahmestelle von 1988 sei sicher nicht geeignet gewesen, so der Grabtuch-Experte.

Bis heute sei ungeklärt, wie der Abdruck auf dem Grabtuch entstanden sei, so Barberis: „Wir wissen nicht, wie dieser Abdruck entstanden ist. Alle Versuche, diesen Abdruck mit alten oder hochmodernen Methoden zu reproduzieren, sind gescheitert. Niemand war jemals dazu in der Lage, eine Kopie des Grabtuchs anzufertigen, die dem Original in seinen chemischen, physikalischen, biologischen Eigenschaften entspricht.“ Das sei eigentlich erstaunlich: „Wir haben 2015. Wir müssten es doch schaffen, zu verstehen, was auf einem Tuch ist, ein simples Objekt im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Fragen des Universums. Und doch, das ist eine offene Frage.“

Umfassendes Merkmal-Diagramm

Um den Rätseln des Tuchs auf die Spur zu kommen, wäre es laut Barberis am besten, ein komplettes Kennfeld des Tuches zu erstellen, ein Merkmal-Diagramm. Es brauche eine komplette Erfassung sämtlicher biologischer, chemischer, physischer und gewebetechnischer Merkmale des Tuches an all seinen Stellen. „Dann könnte man für jeden Punkt des Tuches sagen, welche Substanzen da sind und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Zonen verzeichnen: da, wo nichts ist, da, wo der Abdruck ist, da, wo das Blut ist, da, wo die Verbrennungen aus dem Brand sind“, so Barberis.

Das sei freilich ein gewaltiger Aufwand und würde hohe Kosten verursachen. Zunächst brächte man für diese Arbeiten auch die Zustimmung des Eigentümers, also des Heiligen Stuhles. Dann müsste eine internationale Kommission ernannt werden, damit Wissenschaftler aller Disziplinen vertreten sind. Diese Kommission müsste darüber befinden, welche Untersuchungen zu machen sind, so Barberis: „Viele Vorschläge dazu sind in den letzten Jahren bei uns eingetroffen, wir haben sie gesammelt und dem Heiligen Stuhl vorgelegt, namentlich den Staatssekretären Sodano, Bertone und jetzt Parolin, damit wirklich klar ist, welche Möglichkeiten heute bestehen, neue Untersuchungen durchzuführen.“

religion.ORF.at/KAP

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