Franziskus in Turin: Grabtuch, Salesianer und Waldenser

Franziskus besucht Turin. Anlass der Reise in die norditalienische Industriemetropole ist vor allem die Ausstellung des Turiner Grabtuchs im Festjahr zum 200. Geburtstag des heiligen Giovanni Bosco.

Das Grabtuch in Turin ist 4,36 mal 1,10 Meter groß und zeigt den Doppel-Abdruck eines kräftig gebauten, 1,81 Meter großen Mannes mit langen Haaren, Schnurr- und geteiltem Backenbart. In den Haaren und im Gesicht sind Blutspuren sichtbar, die Gesichtszüge lassen auf zahlreiche Verletzungen wie Schwellungen unter dem Auge und am Unterkiefer schließen. Auf der rechten Seite des Oberkörpers sieht man eine Schnittwunde, die einen großen Blutfleck hinterließ. Weiters weist der Körper zahlreiche Verletzungen auf, die von Geißelungen her rühren.

Postkarte mit dem Grabtuch von Turin

Reuters/Giorgio Perottino

Abbildung eines Teils des Turiner Grabtuchs auf einer Postkarte

Seit mehr als hundert Jahren versuchen Wissenschaftler aus aller Welt das Geheimnis des Turiner Grabtuchs zu enträtseln: Ist das Grabtuch echt, oder ist es eine Fälschung aus dem Mittelalter? Lag in der Leinen-Stoffbahn vor 2.000 Jahren wirklich der Leichnam Jesu vor seiner Auferstehung? Auch wenn es keine letzten wissenschaftlichen Beweise gibt, sind viele Menschen davon überzeugt, dass es sich um das Grabtuch Jesu handelt.

Forscher uneins

Einig sind sich die Forscher, dass der „Mann des Grabtuchs“ alle Merkmale der in der Bibel beschriebenen Kreuzigung aufweist. Trotzdem: Das Grabtuch wird von der Katholischen Kirche offiziell nicht als Reliquie anerkannt. Im vatikanischen Sprachgebrauch wird dafür von einer „Ikone“ gesprochen.

Historisch gesichert ist, dass das heute in Turin verehrte Tuch im 14. Jahrhundert in Frankreich auftauchte. Um 1350 schenkte der französische Adelige Geoffroy de Charny der Kirche in Lirey ein Leinentuch, auf dem sich ein Abbild befand, das als Abdruck des gekreuzigten Christus angesehen wurde. Gut hundert Jahre später übersiedelte das Tuch nach Chambery, wo es 1532 den Brand der dortigen Kapelle relativ heil überstand. 1578 gelangte das Grabtuch schließlich nach Turin, wo es vorerst im Dom aufbewahrt wurde, bevor es 1696 in die prächtige Kapelle von Guarino Guarini, zwischen Dom und Hofburg, übersiedelte. Auch ein Brand in der Kapelle 1997 konnte dem Tuch nichts anhaben.

Turiner Grabtuch

APA/ANSA/dpa - Bildfunk

Vorderansicht des Turiner Grabtuchs

1988 hatten Forscher das Tuch in einem C-14-Test auf das Mittelalter datiert. Ein Stück Gewebe vom Rand des Grabtuchs war nach der Radiocarbon-Methode analysiert worden, drei unterschiedliche Labors hatten dabei unabhängig voneinander die Probe auf den Zeitraum zwischen 1260 und 1390 datiert. Das Ergebnis wurde aber sofort von verschiedenen Experten angezweifelt. Unklar blieb etwa, ob die Probe durch spätere Zusätze zum Grabtuch, etwa Pilze, Mikroben oder Brandspuren, verunreinigt war.

Indizien

Mit verschiedensten Methoden und Ansätzen versuchten in den folgenden Jahren Wissenschaftler, die Echtheit oder Fälschung des Tuchs zu beweisen. So berichteten Forscher aus Turin, sie hätten auf dem Leichentuch den Abdruck einer römischen Münze gefunden, deren Prägung auf das 16. Jahr der Herrschaft des römischen Kaisers Tiberius hinweist (Jahr 29 christlicher Zeitrechnung). Auch dies sei ein Indiz dafür, dass das Leinentuch bereits an die 2.000 Jahre alt sei.

Forscher der jüdischen Universität von Jerusalem orteten wiederum auf dem Tuch Pollen und andere organische Stoffe, die für die Region Judäa typisch sind. Eine Mitarbeiterin des vatikanischen Geheimarchivs behauptete weiters, auf dem Tuch seien aramäische Schriftzeichen aus der Zeit Jesu zu sehen. Hingegen wollten französische Wissenschaftler beweisen, dass das Grabtuch nicht echt ist. Sie stellten ein Tuch her, das nach ihren Angaben alle Eigenschaften der in Turin aufbewahrten Reliquie aufweist.

Papst Franziskus erklärte sich die große Anziehungskraft der Ikone damit, dass „der Mann des Grabtuchs uns einlädt, Jesus von Nazareth zu betrachten“. Die Frage der „Echtheit“ ist für die Kirche freilich sekundär. Das Grabtuch ist nicht Grundlage oder Beweis für den christlichen Glauben, kann diesen aber fördern. Franziskus will im Angesicht der Ikone „an die vielen Gesichter von Männern und Frauen, verletzt von einem Leben, das ihre Würde missachtet, von Kriegen und von Gewalt, welche die Schwächsten trifft“ denken.

Ausgestellt zu Ehren Don Boscos

Das Turiner Grabtuch wird zum 200. Geburtstag des heiligen Giovanni Bosco (1815-1888), besser bekannter als Don Bosco, ausgestellt. Giovanni Bosco war Priester, Pädagoge, Zauberkünstler, Schriftsteller, Sozialarbeiter und Ordensgründer. In der italienischen Industriemetropole Turin begegnete er arbeitslosen und sozial entwurzelten Jugendlichen. Er holte sie von der Straße und nahm sie in seinem Oratorium, einem offenen Jugendzentrum, auf. Für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen betrachtete er vier Elemente als wesentlich: Geborgenheit, Freizeit, Bildung und Glaube.

1859 gründete der „Streetworker Gottes“ in Turin im Geiste des heiligen Franz von Sales (1567-1622) eine religiöse Vereinigung zur Betreuung von Lehrlingen und jungen Arbeitern, die 1869 als Kongregation approbiert wurde. Der offizielle Name ist Gesellschaft des Hl. Franz von Sales. Kurzname: Salesianer Don Boscos. Für die Mädchenerziehung gründete Don Bosco 1872 zusammen mit Maria Domenica Mazzalello einen Orden mit dem Namen: Töchter Mariens der Helferin der Christen, kurz Don Bosco Schwestern genannt. Heute setzen sich in mehr als 130 Ländern rund 16.000 Salesianer Don Boscos und 13.300 Don Bosco Schwestern im Sinne ihrer Gründer für Kinder und Jugendliche am Rande der Gesellschaft ein.

Päpstlicher Besuch einer Waldenserkirche

Als erster Papst wird Franziskus bei seiner Reise nach Turin am kommenden Montag auch eine Kirche der Waldenser besuchen. Die im 12. Jahrhundert vom Lyoner Kaufmann Petrus Valdes (1140-1206) gegründete Glaubensgemeinschaft wurde über Jahrhunderte unterdrückt und ihre Mitglieder wurden von der katholischen Kirche als Häretiker verfolgt. Nach eigenen Angaben zählt sie heute rund 100.000 Mitglieder, viele davon in Italien.

Vermutlich um 1175 fasste Petrus Valdes den Entschluss, so zu leben, wie Jesus es seinen Aposteln geboten hatte. Seine Bekehrung war ein Ausdruck der starken religiösen Strömung dieser Zeit, wieder zur Urkirche zurückzukehren und ein apostolisches Leben zu führen. Valdes ließ Teile der Bibel und Auszüge aus Heiligengeschichten in den provenzialischen Dialekt übersetzen und wanderte bettelnd als Bußprediger durchs Land. Bald schlossen sich ihm viele Menschen an.

Waldenser gegen Reliquienverehrung

Wegen eigenmächtiger Predigt und anderer „Missbräuche“ vom Erzbischof von Lyon zur Verantwortung gezogen, wandte sich Waldes an das Laterankonzil von 1179. Papst Alexander III. lobte das Armutsgelübde, verbot den Waldensern aber die Glaubenspredigt und erlaubte die Sittenpredigt nur unter Aufsicht des Klerus. Die Waldenser setzten sich aber bald über diese Einschränkungen hinweg und wurden so 1184 von Papst Lucius III. exkommuniziert.

Vom 13. bis zum 15. Jahrhundert breiteten sich die Waldenser in weiten Teilen West- und Mitteleuropas aus. Man konnte sie etwa in Italien, Deutschland, Böhmen, Polen , Ungarn, der Schweiz und auch in Österreich antreffen. Sie verwarfen allmählich die kirchliche Lehrautorität, Hierarchie, Traditionen und - abgesehen von der Buße, Taufe der Erwachsenen und dem Abendmahl - die katholische Sakramente. Sie lehnten Heiligen-, Bilder-, und Reliquienverehrung genauso ab wie Fürbitten, Messen für Verstorbene, Ablass, Kriegsdienst und Todesstrafe.

Da die Waldenser als Ketzer verfolgt wurden, konnten sie sich letztlich nur in einigen piemontesischen Alpentälern behaupten. Im Jahre 1532 schlossen sich die verbleibenden Anhänger der Reformation an. Seit 1562 gab es Waldenser nur noch in den Cottischen Alpen, die damals teilweise zu Frankreich, teilweise zu Savoyen-Piemont gehörten. Ende des 17. Jahrhunderts mussten viele französischen Waldenser auf Grund von Verfolgung und Vertreibung Zuflucht in Deutschland suchen. Im 19. Jahrhundert emigrierten viele Waldenser aus Piemont nach Amerika. Nach der Zuerkennung ihrer religiösen Rechte im Jahre 1848 breitete sich die Waldenserkirche über ganz Italien aus.

religion.ORF.at/KAP

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