Papst bittet Waldenser um Verzeihung für Verfolgung

Papst Franziskus hat die evangelische Kirche der Waldenser für historische Verfolgungen um Verzeihung gebeten. Die katholische Kirche habe „unchristliche Haltungen und Verhaltensweisen“ gezeigt, sagte er am Montag in Turin.

„Im Namen des Herrn Jesus Christus, vergebt uns“, bat Franziskus beim Besuch des Turiner waldensischen „Tempio“ (Hauptkirche). Es war der erste Besuch eines Papstes in einem waldensischen Gotteshaus. Franziskus folgte damit einer Einladung der protestantischen Gemeinde. Die Unterschiedlichkeit anderer christlicher Glaubensgemeinschaften gelte es zu respektieren, sagte er.

Beziehungen „immer enger“

Die Beziehungen zwischen Katholiken und Waldensern sind nach seinen Worten in den vergangenen Jahren immer enger geworden. Es gebe aber weiter „Unterschiede in wichtigen anthropologischen und ethischen Fragen“, so der Papst offenbar in Anspielung auf die den Waldensern zugelassenen gleichgeschlechtlichen Eheschließungsfeiern. Das dürfe aber nicht die Zusammenarbeit verhindern.

Papst Franziskus beim Besuch der Waldenser-Kirche in Turin

Reuters/Alessandro Garofalo

Papst Franziskus beim Besuch der Waldenser-Kirche in Turin

Katholiken und Waldenser müssten sich gemeinsam engagieren, wo es um die Sorge für Arme und Ausgegrenzte gehe, sagte Franziskus. Als Beispiele für die gelingende Kooperation nannte Franziskus eine interkonfessionelle Bibelübersetzung ins Italienische und einen gemeinsamen Appell gegen die Gewalt gegen Frauen.

Waldenser: „Immense“ Freude

Der Hauptpastor am waldensischen „Tiempo“, Paolo Ribet, begrüßte den Papst als „Fratello“ (Bruder). Seine Gemeinschaft, die sich bemühe, den Weg zu Christus zu gehen, freue sich „immens“ darüber, dass sie die Begleitung eines neuen Pilgerschafts-Bruders erfahre, so Ribet. Es sei ein und dasselbe Evangelium, das die getrennten Kirchen zu leben versuchten.

Die im 12. Jahrhundert des Kaufmanns Petrus Valdes (1140 bis 1206) aus Lyon in Frankreich gegründete Glaubensgemeinschaft von Laien wurde über Jahrhunderte unterdrückt, ihre Mitglieder wurden von der katholischen Kirche, namentlich der Inquisition, als Häretiker (Ketzer) verfolgt. Nach eigenen Angaben zählt sie heute rund 100.000 Mitglieder, viele davon in Italien.

Vermutlich um 1175 fasste Petrus Valdes den Entschluss, so zu leben, wie Jesus es seinen Aposteln geboten hatte. Seine Bekehrung war ein Ausdruck der starken religiösen Strömung dieser Zeit, wieder zur Urkirche zurückzukehren und ein apostolisches Leben zu führen. Valdes ließ Teile der Bibel und Auszüge aus Heiligengeschichten in den provenzialischen Dialekt übersetzen und wanderte bettelnd als Bußprediger durchs Land. Bald schlossen sich ihm viele Menschen an.

Exkommuniziert und verfolgt

Wegen eigenmächtiger Predigt und anderer „Missbräuche“ vom Erzbischof von Lyon zur Verantwortung gezogen, wandte sich Waldes an das Laterankonzil von 1179. Papst Alexander III. lobte das Armutsgelübde, verbot den Waldensern aber die Glaubenspredigt und erlaubte die Sittenpredigt nur unter Aufsicht des Klerus. Die Waldenser setzten sich aber bald über diese Einschränkungen hinweg und wurden so 1184 von Papst Lucius III. exkommuniziert.

Vom 13. bis zum 15. Jahrhundert breiteten sich die Waldenser in weiten Teilen West- und Mitteleuropas aus. Man konnte sie etwa in Italien, Deutschland, Böhmen, Polen, Ungarn, der Schweiz und in Österreich antreffen. Sie verwarfen mit der Zeit die kirchliche Lehrautorität, Hierarchie, Traditionen und - abgesehen von der Buße, Taufe von Erwachsenen und dem Abendmahl - die katholische Sakramente. Sie lehnten Heiligen-, Bilder-, und Reliquienverehrung genauso ab wie Fürbitten, Messen für Verstorbene, Ablass, Kriegsdienst und die Todesstrafe.

Anerkennung im 19. Jahrhundert

Da die Waldenser als Ketzer verfolgt wurden, konnten sie sich letztlich nur in einigen piemontesischen Alpentälern behaupten. Im Jahre 1532 schlossen sich die verbleibenden Anhänger der Reformation an. Seit 1562 gab es Waldenser nur noch in den Cottischen Alpen, die damals teilweise zu Frankreich, teilweise zu Savoyen-Piemont gehörten. Ende des 17. Jahrhunderts mussten viele französischen Waldenser auf Grund von Verfolgung und Vertreibung Zuflucht in Deutschland suchen. Im 19. Jahrhundert emigrierten viele Waldenser aus Piemont nach Amerika. Nach der Zuerkennung ihrer religiösen Rechte im Jahre 1848 breitete sich die Waldenserkirche über ganz Italien aus.

Besuch bei Grabtuch

Papst Franziskus hatte am Sonntagvormittag das Turiner Grabtuch besichtigt. Das Oberhaupt der Katholiken betete im Dom der norditalienischen Stadt vor dem Stück Stoff, das viele Gläubige als Grabtuch Jesu verehren. Der Besuch im Dom stand zu Beginn seines zweitägigen Besuchs in Turin.

Papst Franziskus berührt das Turiner Grabtuch

Reuters/Giorgio Perottino

Papst Franziskus berührt das Turiner Grabtuch

Der Papst betete mehrere Minuten lang vor dem Grabtuch in Anwesenheit von einigen Geistlichen und Ordensschwestern, danach segnete er es. „La sacra Sindone“, wie das Grabtuch auf Italienisch genannt wird, wurde zuletzt 2010 öffentlich ausgestellt und wird nur alle paar Jahre präsentiert. Gläubige halten den Stoff für das Leichentuch, in das Jesus nach seiner Kreuzigung gehüllt wurde. Kritiker meinen, das Tuch stamme aus dem Mittelalter. Das Grabtuch ist seit Mitte April und bis zum kommenden Mittwoch zu sehen.

Migranten „nicht wie Ware behandeln“

Ebenfalls am Sontag hatte Papst Franziskus in Turin den Umgang mit Flüchtlingen in Europa verurteilt und vor Ausländerfeindlichkeit und Zukunftsangst gewarnt. Die Migranten dürften nicht „wie Ware behandelt werden“, sagte er. Die Bilder von Bootsflüchtlingen, die sich auf die gefährliche Reise über das Mittelmeer nach Europa begeben, „treiben einem Tränen in die Augen“. Franziskus, der in Turin das berühmte Grabtuch besichtigte, rief die Gläubigen auf, sich nicht von Zukunftsangst lähmen zu lassen und sich nicht in Gesellschaftsformen zu flüchten, die Fremde ausschließen anstatt sie aufzunehmen.

Bei der Sonntagsmesse auf der Piazza Vittorio ermutigte der Papst die Gläubigen dazu, die „unerschütterliche Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen nicht nur wahrzunehmen, sondern auch weiterzutragen“. Er forderte mehr Verständnis für die Nöte von Migranten, indem er auf die Geschichte der Auswanderung aus dem Piemont verwies, die auch seine eigene Familie betraf. Die Großeltern des 78-Jährigen lebten bis 1929 in der Turin, bevor sie in die argentinische Hauptstadt Buenos Aires emigrierten. Franziskus’ Vater Mario Bergoglio war damals 20 Jahre alt.

religion.ORF.at/APA/KAP

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