Was Österreich gegen Dschihadismus tut

Etwa 270 Personen aus Österreich sind in der jüngeren Vergangenheit als Dschihadisten nach Syrien gegangen. Was wird getan, um Jugendliche davor zu schützen, in den Sog von Extremisten zu geraten?

Laut Innenministerium sind von den ausgereisten Personen in den Kriegsgebieten bereits 40 ums Leben gekommen, 80 sind zurückgekehrt. Wesentlich in der Debatte über Extremismus ist die Frage, wie es zu derartigen Radikalisierungen kommt und wie man besonders Jugendliche davor schützen kann. Sie werden mit falschen Versprechen rekrutiert, um in den Dschihad nach Syrien zu ziehen. In den Debatten darüber stehen einander häufig diejenigen, die „den Islam“ als Quelle des Terrorismus identifizieren, und die, die sich gegen eine im Koran grundgelegte Gewaltbereitschaft wehren, gegenüber. Experten äußerten sich 2015 folgendermaßen zu dieser Thematik.

Jugendliche gehen über die Straße

ORF.at/Christian Öser

Jugendliche können in ihrer Identitätsfindung in Krisenzeiten anfällig für extremistische Propaganda sein

Aus der Sicht von Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus des Familienministeriums, sind vier Dimensionen von Bedeutung: eine religiöse, eine gesellschaftliche, eine ökonomische und eine soziale. Die Debatte auf eine einzelne Dimension zu reduzieren, hält sie für nicht zielführend. Das heißt, allein die Frage, wie einzelne Koranverse bewertet werden, wie viel Gewaltpotenzial also im Koran steckt, reicht nicht aus.

Eine Frage der Identität

Denn auf der gesellschaftlichen Ebene geht es zum Beispiel um die Frage nach Anerkennung. Ein junger Mensch, der von der Mehrheitsgesellschaft vermittelt bekomme, kein Teil dieser zu sein, sei mitunter empfänglich für die Versprechen terroristischer „Prediger“, durch den Kampf für einen islamischen Staat Anerkennung und damit Identität zu bekommen, so Fabris gegenüber religion.ORF.at.

Dudu Kücükgöl

ORF/Günther Pichlkostner

Dudu Kücükgöl

Für die Rekrutierung von Dschihadisten spielen also soziale und wirtschaftliche Bedingungen junger Menschen eine wesentliche Rolle. Die Bekämpfung des Extremismus sei daher von Muslimen allein nicht zu schaffen, so Dudu Kücükgöl von der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ) im Gespräch mit religion.ORF.at. Dass perspektivenlose Jugendliche in radikale Szenen rutschen können, sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, wie auch steigende rechtsextremistische Tendenzen zeigten. Sie fordert eine ehrliche Extremismusdebatte, die nicht nur zu Verschärfungen von Sicherheitsmaßnahmen führt, sondern auf die Herstellung von Chancengleichheit abzielt.

Auf politischer Ebene gehört Präventionsarbeit gegen Extremismus längst zur Realität. Im Jahresbericht Kriminalprävention für 2014 des Innenministeriums wird die Bekämpfung von politisch und/oder weltanschaulich motiviertem Extremismus als „gesamtgesellschaftliche Herausforderung“ beschrieben. Daher werden Sicherheitsbeamte sensibilisiert. „Denn bevor ein Radikalisierungsprozess beginnt, sind es allgemeine Rahmen- und Lebensbedingungen, die eine Person für extremistisches Gedankengut anfällig machen“, heißt es in dem Bericht.

Religiöse Erziehung als Schutz

Die beste Extremismusprävention stellt in den Augen Kücükgöls religiöse Erziehung dar, denn die meisten Dschihadisten hätten keinerlei religiösen Hintergrund - viele von ihnen seien Konvertiten. Selbst die konservativste Erziehung stelle einen Schutz vor dem Abgleiten in extremistische Sichtweisen dar, so Kücükgöl. In religiöser Erziehung oder Bildung sieht auch Fabris eine Schutzfunktion. Denn religiös erzogene Menschen seien in der Lage, die Argumente der Extremisten einzuschätzen. Sie bezeichnet übrigens alle extremisierten Personen als Konvertiten. Denn sie alle, ob religiös oder nicht, würden quasi in die salafistische Szene konvertieren, sagt Expertin Fabris.

An die Beratungsstelle Extremismus wenden sich nach Angaben der Leiterin hauptsächlich Angehörige, Lehrer und Sozialarbeiter. Betreut wird sie von vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Bereichen Psychologie, Psychotherapie, Kultur- und Sozialanthropologie sowie aus der Erwachsenenbildung. Die Beratungsstelle ist aus ganz Österreich gratis erreichbar.

Ein Dschihad, der keiner ist

Theologische Argumente gegen den Dschihad in Syrien sind laut Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen, dass dieser vermeintliche Dschihad keiner sei, weil die Tötung von Unschuldigen auf dem Spiel stehe. Zudem sei es „haram, also verboten, ohne Einverständnis der Eltern einfach ins Ungewisse, in einen Krieg zu ziehen“, sagt Baghajati in seiner Videobotschaft „Braucht Syrien europäische Kämpfer?“ Baghajati stellt selbst gemachte Videos auf YouTube, in denen er Antworten gibt auf die Fragen, ob der Islam mit Demokratie und Meinungsfreiheit vereinbar und ein Teil Europas sei, sowie Jugendliche zum Nachdenken aufruft.

Tarafa Baghajati

ORF/Marcus Marschalek

Tarafa Baghajati

Baghajati klärt in den Videos darüber auf, dass vor allem Muslime selbst unter der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) leiden. Hilfe sei notwendig, jedoch in Form von Spenden besser zu leisten, als mitkämpfen zu wollen. Zudem sollten muslimische Jugendliche hier solidarisch mit jenen sein, die Hilfe brauchen: etwa durch Unterstützung der Menschen, die aus den Kriegsgebieten in den deutschsprachigen Raum geflüchtet seien.

Alternativen aufzeigen

Theologische oder ideologische Informationen spielen in der Beratungsstelle des Familienministeriums eine Nebenrolle. Sollten diese nötig sein, würden Experten hinzugezogen, sagt Fabris im Gespräch mit religion.ORF.at. Zunächst werde versucht, Alternativen zu den Versprechen der Salafisten zu finden und die gefährdeten Personen zu stärken, damit Argumente wie „schau dir an, wie du diskriminiert wirst, mach’ dich stark für deine Religion“ und Ähnliches nicht wirken. Alternativen sind dabei in erster Linie das Auffinden von Ausbildungsperspektiven sowie die Stärkung zwischenmenschlicher Beziehungen.

Muslimische Jugend Österreich

Die Muslimische Jugend Österreich versteht sich als unabhängige Jugendorganisation für alle Muslime der zweiten und dritten Generation, ungeachtet ihrer ethnischen und kulturellen Hintergründe. Ziel ist, eine islamisch-österreichische Identität zu schaffen. Als Fachvereinigung ist sie Teil der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ).

Die MJÖ setzt in ihrer Präventionsarbeit vor allem auf ihre ehrenamtlichen Mitarbeiter, die in Workshops und Kursen geschult werden, um im Fall von Radikalisierungen von Jugendlichen entsprechendes – auch theologisches – Handwerkzeug zu haben. Das Wichtigste sei, so Kücükgöl, Verse nie einzeln zu lesen, sondern immer die davor und auch die nachfolgenden miteinzubehziehen. Darüber hinaus sei der historische Kontext, in dem die Verse und Suren des Koran entstanden sind, zu beachten.

Aufklärung und Information

Die MJÖ veranstaltete unter anderem Wochenendseminare für Ehrenamtliche, wobei an sechs Tagen auf die theologischen Beweismittel von Terroristen und deren ebenso theologische Widerlegung eingegangen wurde. Beleuchtet wurde dabei auch die Geschichte des Extremismus und ihre Auswirkungen auf heutige Organisationen sowie die Entwicklung heutiger extremistischer Gruppen, besonders in Ägypten, Algerien und Afghanistan. Teilgenommen haben an diesen Seminaren nach Angaben der MJÖ etwa 200 Personen.

Außerdem organisiert die MJÖ seit Jahren Wintercamps, bei denen neben gemeinsamen sportlichen Aktivitäten für insgesamt rund 500 bis 600 Jugendliche auch das Thema Radikalisierung thematisiert werde, sagt Kücükgöl. Sie selbst hält ebenfalls Vorträge zum Thema.

Lamya Kaddor

APA/EPA/Jörg Carstensen

Lamya Kaddor

Islamische Religionspädagogin: Abgrenzung nötig

Von Muslimen wird immer wieder erwartet, sich von terroristischen Aktionen zu distanzieren. Vom Mainstream der Muslime wird der Islam als Religion des Friedens verstanden. Für die überwiegende Mehrheit wiegen die Botschaften der Friedfertigkeit und Barmherzigkeit schwerer als die Passagen, in denen Gewalt legitim erscheint.

Lange Zeit sei ihnen eine Abgrenzung gegenüber terroristischen Gruppen, die sich auf „den Islam“ berufen, als nicht nötig erschienen, da man sich nicht von etwas distanzieren brauche, zu dem man zuvor gar keine Nähe gehabt habe, sagte etwa die deutsche liberale muslimische Religionspädagogin Lamya Kaddor in der Ö1-Sendung „Tao“ im Mai dieses Jahres.

Und doch sieht Kaddor mittlerweile die Notwendigkeit, sich von der gewaltbereiten Auslegung des Islam zu distanzieren. Denn das Zusammenleben leide doch empfindlich, und es sei nötig geworden, zu sagen, dass „diese Art der Auslegung nichts mit unserem Islamverständnis zu tun hat“. Lamya Kaddor befasste sich aus der Betroffenheit darüber heraus, dass fünf ihrer Schüler nach Syrien gingen, mit dem Phänomen aus Europa in den Krieg ziehender Jugendlicher. Dazu erschien Anfang des Jahres ihr Buch „Zum Töten bereit: Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen“. Sie spricht von „Gehirnwäschen“, denen die Jugendlichen unterzogen werden.

Nina Goldmann, religion.ORF.at

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