Wie islamische Vereine Flüchtlingen helfen

Konfessionelle Vereine und Religionsgemeinschaften stehen in Sachen Asylwerber- und Flüchtlingsbetreuung in vorderster Linie. Auch mehrere muslimische Verbände und Gruppen engagieren sich für Flüchtlinge in Österreich.

In den Medien präsent sind mit ihrem Engagement allen voran die katholische und die evangelische Kirche mit ihren Hilfsorganisationen Caritas und Diakonie. Muslime sind in Österreich freilich nicht so straff organisiert wie die christlichen Kirchen, es gibt keine historisch gewachsene Hilfsorganisation mit erprobten Strukturen, dafür viele kleinere Initiativen und Gruppen.

„Sehr, sehr große Bereitschaft“

Viele davon koordiniert die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). Von einer „sehr, sehr großen Bereitschaft, sich zu engagieren“ spricht IGGiÖ-Pressesprecherin Carla Amina Baghajati im Gespräch mit religion.ORF.at. Das Engagement sei oft „sehr unbürokratisch“, etwa wenn es um die Bereitstellung von Wohnraum für Verwandte und Bekannte gehe. Sehr aktiv sei zum Beispiel die syrische Community in Österreich. Ein kleiner Verein fungiere beispielsweise in Traiskirchen als „Brücke“ und leiste dort Übersetzungshilfe.

Muslime als „Kulturdolmetsch“

In den Schulen werde man mit Schulbeginn auf die sprachlichen Kompetenzen der Religionslehrer zurückgreifen können, aber auch im sozialen Bereich könnten gerade Lehrer Kontakte zwischen Flüchtlingskindern und Einheimischen herstellen, damit Erstere besser integriert werden können. „Zum Beispiel für ein Treffen am Nachmittag zum Spielen“, so Baghajati. Eingesessene Muslime mit ähnlichem kulturellen und religiösen Hintergrund wie die Flüchtlinge könnten auch als „Kulturdolmetsch“ fungieren, um ganz einfach zu erklären: „Wie tickt Österreich?“ Integration soll so erleichtert werden, Menschen, die auf ihrer Flucht „schreckliche Erfahrungen“ gemacht haben, sollen seelisch unterstützt werden.

Spenden werden von Helfern am Wiener Westbahnhof sortiert

Muslimische Jugend Österreich

Hilfsaktion mit Beteiligung der Muslimischen Jugend auf dem Wiener Westbahnhof

Die IGGiÖ hat anlässlich der Situation die Spendenaktion „Hilal“ (Hilfe für alle) ins Leben gerufen. Gesammelt wird „insbesondere“ für die Bestattung der Opfer der Flüchtlingstragödie auf der A4, wie am Freitag auf der Website der Glaubensgemeinschaft zu lesen ist. Mit den Behörden sei man im Gespräch über eine „würdige Bestattung“ der 71 Opfer der Tragödie, die vielen Muslimen ein großes Anliegen sei. Die Glaubensgemeinschaft sei aber auch gut vernetzt mit anderen Stellen, die Flüchtlingshilfe leisten; etwa zur Caritas habe man „allerbeste Kontakte“, so Baghajati.

Jugendliche engagieren sich

Mit diversen Aktionen versucht auch die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ), Flüchtlingen zu helfen. Sie versteht sich als unabhängige islamische Jugendorganisation für alle Musliminnen und Muslime der zweiten und dritten Generation mit dem Ziel, eine islamisch-österreichische Identität zu kreieren.

Sendungshinweis

Geschichten vom Helfen - „Praxis“ zum Nachhören von Mittwoch, 2.9.2015, 16.00 Uhr, Ö1

Mitglieder der MJÖ haben bereits an mehreren Solidaritätskundgebungen teilgenommen, sagte MJÖ-Vorstandmitglied Dudu Kücükgöl zu religion.ORF.at. Dazu kommen verschiedene Tätigkeiten freiwilliger Jugendlicher wie das Sammeln von Spenden und deren Verteilung. Dabei schließt die MJÖ sich auch immer wieder bestehenden Aktionen oder Netzwerken an, wie etwa dem „Bündnis Linz gegen rechts“, das in den vergangenen Tagen Hilfe für ankommende oder durchfahrende Flüchtlinge auf dem Linzer Hauptbahnhof organisierte.

Zweisprachigkeit „vorteilhaft“

Die MJÖ übernahm hier unter anderem wichtige Übersetzungsaufgaben wie etwa das Etikettieren von Medikamenten. Eine ähnliche Aktion gab es am Montag dieser Woche auf dem Salzburger Hauptbahnhof und auf dem Wiener Westbahnhof. Junge Musliminnen und Muslime halfen beim Sortieren und Verteilen von Wasser und Lebensmitteln an Tausende aus Ungarn ankommende Menschen. „Unsere Leute sind zweisprachig - das steht normalerweise nicht immer so positiv im Vordergrund - diesmal ist es vorteilhaft“, sagte Kücükgöl.

Beim Helfen sei es egal, ob jemand dem Islam angehöre oder nicht, versichert Kücükgöl. Auch mit Diakonie, Caritas und Wiener Wohnen habe es schon gemeinsame Aktionen gegeben. Im Rahmen der jährlichen Aktion der Muslimischen Jugend „Fasten - Teilen - Helfen“ während des Ramadan lag der Schwerpunkt heuer ebenfalls auf Flüchtlingshilfe: „Wir haben mit den Flüchtlingskindern Ausflüge gemacht, gekocht und Essen organisiert und geputzt.“ Einige der Jugendlichen wollten danach weiter etwas für Menschen tun, die Hilfe brauchen.

Aufzeigen von Missständen

Das Angebot soll dabei niederschwellig sein. „Wir versuchen zu tun, was junge Menschen eben tun können“, so Kücükgöl. Das sei vor allem das Bereitstellen von Zeit und Arbeitskraft für Hilfsaktionen, aber auch das Aufzeigen von Missständen wie der Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen in Lagern wie Traiskirchen. Einige der Jugendlichen seien solche, die immer wieder in den Verein kommen, andere würden über die Medien oder Flyer angelockt - vor allem aber über Soziale Medien wie Facebook und Twitter.

Sprachkurse und integrative Programme

Die Islamische Föderation in Linz (ALIF), ein Verband von zwölf Moscheenvereinen, hat sich selbst heimatlos gemacht, um Flüchtlingen zu helfen: Die Büro- und Besprechungsräume des Verbands wurden als Wohnräume hergerichtet, die seit Dienstag von 16 Flüchtlingen bewohnt werden. Die Asylwerber benötigten eben dringender ein Dach über dem Kopf, sagte Ibrahim Odabas vom Vorstand gegenüber religion.ORF.at. Ein eigener Flüchtlingsbeauftragter vom Verband steht den Asylwerbern als Kontaktperson zur Verfügung. Seine Aufgabe ist es auch, Sprachkurse und integrative Programme zu koordinieren.

Flüchtlingshilfe: Helfer am Wiener Westbahnhof

Muslimische Jugend Österreich

Übersetzen gehört zu den wichtigsten Aufgaben in der Flüchtlingshilfe

Die Entscheidung, die eigenen Vereinsräumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, sei angesichts der dramatischen Bilder aus Traiskirchen rasch und einstimmig getroffen worden. „Für uns Muslime ist es eine Pflicht zu helfen“, und „Helfen ist ein gutes Gefühl“, so Ibrahim Cansiz, Vereinssekretär von ALIF.

„Egal ob Christen oder Muslime“

In zwei bis drei Wochen will man weitere Räumlichkeiten ausgebaut haben und auf 30 Plätze für Flüchtlinge aufstocken. Viele aus der muslimischen Gemeinschaft helfen beim Einkaufen, Kochen und Organisieren mit und versuchen auch, die Menschen aus Syrien und Afghanistan in Linz zu integrieren. „Egal ob Christen, Muslime oder Andersgläubige“, es gehe „um Menschen, denen wir verpflichtet sind zu helfen“, sagte Odabas.

ATIB, mit 65 Gotteshäusern der größte Dachverband islamischer Moscheenvereine in Österreich, war während des Fastenmonats Ramadan mit großangelegten Essenspenden in Moscheen aktiv. Hilfspakete mit Sachspenden gebe es auch weiterhin, wie ein ATIB-Sprecher gegenüber religion.ORF.at sagte. Unterkünfte für Flüchtlinge habe man derzeit „leider“ noch nicht zur Verfügung stellen können, man sei aber bereit, mit den Behörden dahingehend zusammenzuarbeiten. Außerdem leisten die Moscheen Seelsorge: Arabischsprachige Imame seien als „Anlaufstelle für Probleme“ für die Menschen auf der Flucht da, so der Sprecher.

Es gibt noch viele weitere, kleine Plattformen und Verbände, die auch manchmal spontan entstanden sind, um Hilfe zu koordinieren. So etwa das Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft, das an Ort und Stelle hilft und zu Solidaritätskundgebungen mit Asylwerbern aufruft. Es seien auch „ganz viele Muslime“, die für die Menschen in Traiskirchen spendeten, so Kücükgöl gegenüber religion.ORF.at. „Erst gestern haben zwei junge Frauen für 400 Personen gekocht - das passiert ganz ohne Öffentlichkeitsarbeit und abseits der Kameras.“

Johanna Grillmayer und Marcus Marschalek, religion.ORF.at