Experten zur Asylfrage: Islam löst Ängste aus

Religion wird im aktuellen Migrations- und Flüchtlingsdiskurs immer mehr zu einem Thema, während gleichzeitig die Religiosität der „autochthonen“ Westeuropäer selbst zurückgeht.

Die diesbezüglichen Ängste vor Religion richten sich entweder auf eine Störung des „säkularen Narrativs von Religion“, oder sie greifen auf Sichtweisen des 17. Jahrhunderts zurück - wie etwa Viktor Orban, der erklärt hatte: „Die christliche Kultur muss sich gegen den Islam zur Wehr setzen.“ Die Wiener Theologen Kurt Appel und Regina Polak fassten so am Donnerstag beim zweitägigen Uni-Symposium „Religion und Migration“ eine derzeit herrschende Stimmung zusammen.

Furcht vor radikalem Islam

Polak zufolge fürchten 66 Prozent der Österreicher, dass mit den Flüchtlingen „ein radikaler Islam“ ins Land kommt. Sie hob hervor, dass bei der Symposiumsplanung niemand geahnt hatte, wie aktuell das Thema werden würde. Prominentester Teilnehmer der hochkarätigen Expertenrunden in Wien ist „Bootsflüchtlings-Kardinal“ Francesco Montenegro, Erzbischof von Agrigento/Lampedusa. Veranstalter ist die Forschungsplattform der Universität Wien „Religion and Transfomation in Contemporary European Society“, unterstützt vom Außenministerium und der Erste-Stiftung.

Der Geowissenschaftler und Wiener Universitäts-Vizerektor Heinz Faßmann sagte, dass gelungene Integration in gewissem Ausmaß auch „Heraustreten der Immigranten aus geschlossenen Communities“ bedeuten müsse: „Wenn sie nicht verlassen werden, entstehen Parallelgesellschaften, was als Negativeffekt gesehen wird.“

Konfliktpotenzial

Im Blick auf die jüngsten ausjudizierten Konflikte auf deutscher oder europäischer Ebene - Streitthemen sind hier das Kopftuch bei Lehrerinnen, der Schwimmunterricht sowie das Tragen religiöser Symbole - konstatierte Faßmann zwei Trends: Einerseits hin zu einer „Prolongierung von Unklarheit“, andererseits auch zu einer Überforderung von Kindern, die zwischen religiösen Ansprüchen der Eltern und Bildungsvorgaben hin- und hergerissen seien.

Wenn es nicht gelänge, dass Gläubige und Nichtgläubige zueinander finden und dass eine „tolerante Form der Religion“ gelebt wird, sei mit einer Zunahme von Konflikten zur rechnen, prognostizierte der Wissenschaftler.

Chancen und Risiken

Hingegen sieht der Göttinger Soziologe Alexander-Kenneth Nagel in den aktuellen Rechtskonflikten nicht nur ein Problem, sondern auch Teil der Lösung. Die Themen seien neu, und sie führten zu einem längst notwendigen „rechtsdogmatischen Umdenkprozess“. Wichtig sei die stärkere Einbeziehung des „religiösen Führungspersonals“ in den Integrationsprozess, so Nagel. Es gelte, sie stärker ans „Vernunftpotenzial der Gesellschaft“ heranzuführen.

Der Luzerner Religionswissenschaftler Martin Baumann wies auf die Ambivalenz der Integrationspotenziale der Religionsgemeinschaften von Immigranten hin. Einerseits stellten etwa Moscheen oder orthodoxe Kirchen eine Vielzahl Dienstleistungen bereit, um mögliche Fertigkeiten zu erlernen. Andererseits seien neben diesem positiven Sozialkapital zugleich auch negative Sozialkapitalformen zu sehen - wie das Beibehalten von Hierarchien, das Begrenzen der Möglichkeiten für Frauen und Jugendliche, das Konservieren von alten Macht- und Moralvorstellungen sowie der Verpflichtungscharakter.

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