Religion als Spielball in der Flüchtlingsdebatte

In der politischen Auseinandersetzung in Sachen Asyl wird mit der Zunahme von muslimischen Flüchtlingen Religion verstärkt zum Thema gemacht. Christliche Werte werden meist nicht als Argument für Hilfe, sondern für eine restriktive Asylpolitik angeführt.

„Der Chef der rechtspopulistischen Partei, Heinz-Christian Strache, spielte ein raffiniertes Spiel: Da Antisemitismus heute in Österreich als Wahlargument nicht mehr zieht, sprach er stattdessen mit Blick auf die Flüchtlingskrise Islam-Ängste in der Bevölkerung an und stilisierte sich zum Vorkämpfer gegen den muslimischen Antisemitismus empor“, so kommentierte laut APA die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) den Erfolg der FPÖ bei der Wien-Wahl.

Tatsächlich hatte der Spitzenkandidat der FPÖ in einem ORF-Interview vor einem „importierten Antisemitismus“ durch die Flucht von Muslimen nach Europa und Österreich gewarnt. Auch die zur FPÖ gewechselte Ursula Stenzel wies nun verstärkt auf ihre christlich-jüdischen Wurzeln hin und mahnte, dass die Flucht von Menschen aus dem Nahen Osten im Grunde eine „Völkerwanderung“ sei.

Wahlkampf „weniger islamophob“

In Wahlkampfreden zollte Strache dem ungarischen Premierminister Viktor Orban Respekt für seine Flüchtlingspolitk, er erklärte ihn zum Mitstreiter und einsamen Verfechter eines christlichen Europas. Warnungen, wonach sich auch Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates (IS) unter die Flüchtlinge gemischt hätten, verbreitete die FPÖ erfolgreich über Soziale Netzwerke.

Politologe Farid Hafez

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Politologe Farid Hafez forscht zu Islamophobie

Kenner der FPÖ wissen aber, dass der diesjährige Wahlkampf weniger scharf und nicht so deutlich gegen Migranten und Muslime gerichtet war, wie man das von den Freiheitlichen gewohnt ist. Politologe Farid Hafez sprach gegenüber religion.ORF.at von einem „weitaus weniger islamophoben Wahlkampf als 2010“. Vor fünf Jahren hatte die FPÖ stark auf die Themen Islamisierung und Kopftuchzwang gesetzt und Muslime verbal attackiert.

Gegen muslimische Asylwerber

Hafez ortet aber auch bei liberalen Meinungsmachern in Österreich einen „auf einer codierten Ebene verbalisierten“ islamfeindlichen Diskurs. Wenn etwa davon gesprochen wurde, dass nur jene Flüchtlinge willkommen seien, die die Gleichbehandlung von Frauen und Männern respektierten, dann würden damit Muslime nicht direkt erwähnt, aber sie seien gemeint, konstatierte Hafez.

In osteuropäischen Ländern spiele die Religionszugehörigkeit in der Flüchtlingsdebatte laut dem Politologen jedenfalls eine zentrale Rolle: Neben dem ungarischen Premierminister begründeten auch Estlands Sozialminister sowie der Premierminister der Slowakei und Polens ihrer restriktive Haltung in der Asylfrage mit der Verteidigung Europas und dem Schutz der christlichen Werte. Integrationsprobleme, wie sie Österreich oder Deutschland mit muslimischen Einwanderern bereits hätten, wolle man nicht, heißt es oft.

Christliche Soziallehre als Argument

Einen anderen Weg als viele konservative Politiker in Europa schlug nun die deutsche Kanzlerin und Vorsitzende der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU), Angela Merkel, ein. Die Protestantin und Tochter eines Pastors hatte in der ARD-Sendung „Anne Will“ ihre Politik der offenen Grenzen mit dem Christentum argumentiert. „In Sonntagsreden werden Werte beschworen, ich bin Vorsitzende einer christlichen Partei“, sagte sie, es sei ihre „verdammte Pflicht“ zu helfen, nämlich „den Nächsten“, wie sie die Flüchtlinge nannte. Sie erntete dafür sowohl Hochachtung als auch scharfe Kritik.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache am Freitag, 27. März 2015, im Rahmen einer Diskussion zum Thema "Europas Bedrohung durch die Islamisierung" in Wien.

APA/Georg Hochmuth

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache spricht regelmäßig von einer Bedrohung Europas

In einer Rede bei einer CDU-Konferenz vor einigen Tagen unternahm die deutsche Kanzlerin außerdem den Versuch, ihre Parteigenossen auf christliche Werte und Politik einzuschwören: Das C sei „nicht umsonst“ im Parteinamen, sagte Merkel, wie die „FAZ“ am Samstag berichtete. Mit ihrer Argumentationslinie ist Merkel innerhalb des konservativen Lagers bisher noch relativ allein, auch in Österreich berufen sich Politiker in der Asylfrage meist nur auf das Christentum, um für eine restriktive Politik bzw. für die vorrangige Aufnahme von christlichen vor muslimischen Flüchtlingen zu werben.

„Nächstenliebe zieht nicht“

Ein Auftrag zur Hilfsbereitschaft, der sich auf die christliche Soziallehre gründet, wird kaum abgeleitet, erklärte Politologe und Meinungsforscher Peter Filzmaier im Gespräch mit religion.ORF.at. Verwunderlich sei, dass die ÖVP als christlich-soziale Volkspartei beim Thema Asyl, das den Wahlkampf beherrschte, nicht die Position eingenommen habe, dass man als Christ verpflichtet sei, zu helfen.

Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) - die Partei verlor bei den Landtagswahlen im September zehn Prozent der Stimmen - wäre in einer Rolle, wie sie Angela Merkel nun eingenommen hat, „glaubwürdig gewesen“, so Filzmaier. Anders als in Großstädten wie etwa Wien spiele die Kirche als Institution für viele Menschen dort noch eine größere Rolle. In der Bundeshauptstadt mit einer sinkenden Zahl an Kirchgängern und einer steigenden Zahl an Menschen mit säkularer Ausrichtung hingegen hätte das Argument der Nächstenliebe, wie der Meinungsforscher sagte, wohl „nicht gezogen“.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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