Weihnachten: Das Fest, das es geben musste

Im Kreis der winterlichen Lichterfeste ist Weihnachten das imposanteste und am weitesten verbreitete. Warum es das Fest einfach geben musste, hat der evangelische Theologe Hans Förster religion.ORF.at erklärt.

Der erste Hinweis darauf, dass die Geburt von Jesus Christus gefeiert wurde, stammt aus dem Jahr 361 aus der Feder des römischen Historikers Ammianus Marcellinus. Einmal „erfunden“, verbreitete sich das Weihnachtsfest sehr schnell, der 25. Dezember setzte sich durch. Davor galten auch andere Termine, unter anderem im Frühjahr, als Geburtstag Christi. Es scheint, als habe es dieses Fest „zum tiefsten Zeitpunkt des Winters“ ganz einfach gebraucht, so Förster vom Institut für Neutestamentliche Wissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Guido Renis (1575-1642) Gemälde "Die Anbetung der Hirten", Ausschnitt

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Die Heilige Familie: Licht in die Dunkelheit (Guido Renis „Anbetung der Hirten“, Ausschnitt)

Dass Weihnachten einem bestehenden heidnischen Fest einfach „übergestülpt“ worden sei, wie oft und gern gesagt wird, lässt der Experte nicht gelten: Für solche Spekulationen sei die Quellenlage einfach zu dünn, die zur Untermauerung der Synkretismusthese gern herangezogenen Texte stammten teilweise aus viel späterer Zeit. Ein Kult um den Sonnengott („Sol Invictus“, die unbesiegte Sonne), den es im römischen Reich gab, wird dafür gern bemüht, Vergleiche zwischen Jesus und der Sonne passen da gut ins Bild. Doch ein angeblich reichsweites Sol-Invictus-Fest sei wahrscheinlich „weit weniger wichtig“ gewesen als gemeinhin vermutet, so Förster.

Spekulationen über heidnischen Ursprung

„Man muss sehr vorsichtig sein, davon auszugehen“, sagte Förster. Gern benutzt worden sei die These von der heidnischen Herkunft von Weihnachten in späteren Zeiten, wenn es darum ging, eine andere Glaubensrichtung zu diskreditieren. So geschehen etwa im 16. Jahrhundert, als Protestanten die These von einem „heidnischen Ursprung“ des Fests gegen die katholische Kirche einsetzten, um deren Verdorbenheit zu unterstreichen. „Das sagt sehr wenig über die Antike und sehr viel über die jeweilige Zeit“, so Förster, dessen Buch „Die Anfänge von Weihnachten und Epiphanias“ ein Standardwerk zur Weihnachtsforschung ist.

Hans Förster leitet ein Forschungsprojekt des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) an der Universität Wien.

Doch Weihnachten sei unbestritten „ganz tief mit einer Sonnensymbolik verbunden“, die Dinge in den Menschen anspreche, die positiv besetzt sind, jedenfalls im europäisch-nördlichen Kulturkreis. So finden sich Hinweise auf Sonne und Licht in den religiösen Texten, die zu Weihnachten verwendet werden. Das wirke einfach „gemütsaufhellend zum tiefsten Zeitpunkt des Winters“, sagte der Theologe im Gespräch mit religion.ORF.at. Viel deutlicher noch als heute habe das in früheren Zeiten gegolten, als der beginnende Winter eine Zeit der „bangen Fragen“ war: „Wenn der Winter zu lang ist: Werden die Vorräte halten?“

Winter als lebensbedrohliche Zeit

„Weihnachten hat seinen Sitz in einer einst angstbesetzten, als lebensbedrohlich empfundenen Jahreszeit“, so Förster. Vergegenwärtige man sich das Leben der Menschen der Vergangenheit, vom 4. bis ins 20. Jahrhundert, so dürfe man nicht die Umweltbedingungen vergessen, denen man früher ungleich stärker ausgesetzt war als heute. Feuchtigkeit und Kälte waren ernsthafte Bedrohungen in einer Zeit ohne warme, dichte Winterkleidung: „Eine normale Lungenentzündung war tödlich.“ Das Draußensein in der Dunkelheit wurde in der Antike als Grenzerfahrung empfunden. In einem dunklen Winterwald voller wilder Tiere und höchstens mit einer Fackel ausgerüstet war ein Mensch damals buchstäblich in Lebensgefahr.

Jesus-Bild, Mosaik-Detail aus dem 4. Jahrhundert in der Kirche Santa Constanza in Rom

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Jesus als Lichtgestalt, Mosaikdetail aus dem 4. Jh., Santa Constanza, Rom

Und dann habe man diese „zutiefst bewegenden Texte gehört, die mit Licht und Finsternis spielen“ und von Geburt, Licht, Freude und Wärme erzählen. Gott selbst beziehungsweise Jesus wird an mehreren Stellen in der Bibel als Lichtgestalt beschrieben: „Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8,12) Gott als Trost in Finsternis und Bedrohung tritt auch im Alten Testament auf: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht; und über die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ (Jesaja 9,2)

Buchhinweis

Hans Förster: Die Anfänge von Weihnachten und Epiphanias. Mohr Siebeck, 380 Seiten, 86,40 Euro.

Insofern sei „die Wintersonnenwende eine absolut geniale Terminwahl“ für das Weihnachtsfest gewesen, so der Theologe. Auch der Stern von Bethlehem, ein weiteres Lichtsymbol, passt in die dunkle Jahreszeit. Er schaffe „eine assoziative Verbindung zur Frage des geordneten Kosmos“, er leite an und führe durch die Finsternis.

Jesus - Symbol für Licht und Sonne

Jesus werde also mit Licht identifiziert, so Förster - „eine Steilvorlage, um bei der Sonnensymbolik ins Tor zu gehen“. Man müsse „das religiöse Leben so gestalten, dass es den ganzen Menschen mitnimmt“, mit Emotionen und einer gewissen „haptischen Wahrnehmung“. Die Symbole von Weihnachten, Licht, Wärme, ein kleines Kind: All das wirke auf die Menschen auf einer vorbewussten Ebene, als „universelle Symbole, die jeden Menschen tief berühren“.

Geburtskirche in Bethlehem, West Bank

Reuters/Ammar Awad

Die Geburtskirche in Bethlehem

„Die Heilige Familie nimmt in ihrer Darstellung die Lebenswelt der Familie, die um das Herdfeuer herum sitzt, mit“, so der Theologe. Die Wärme des Stalls und die Tiere, die früher im Winter oft ins Haus geholt wurden - einerseits, um sie in den kältesten Nächten vor dem Erfrieren zu bewahren, andererseits als Wärmequelle - sei emotional nicht weit entfernt gewesen von der Krippe, den Tieren und dem Stall der Weihnachtsgeschichte.

Wo eine Geburtskirche, da auch ein Geburtsfest

Ein weiterer Grund, der ein Fest zur Geburt Jesu fast zwingend nötig machte, war die Tatsache, dass es eine Geburtsgrotte und eine Geburtskirche gab. Die Pilgerin und Schriftstellerin Egeria beschrieb um 381 n. Chr. die Liturgie des Festes, das eine Prozession von Bethlehem nach Jerusalem umfasste, bei der die Stationen von Jesu Leben von Gläubigen buchstäblich „nachgegangen“ wurden. Dabei spielte die Geburtskirche ein wichtige Rolle. „Zur rechten Zeit am richtigen Ort“ christliche Feiertage zu begehen, das habe im Zusammenspiel mit den „historisierenden Tendenzen“ des 4. Jahrhunderts dazu geführt, dass ein Geburtsfest „in der Luft lag“, so Förster. Man hatte eine Geburtskirche - also feierte man auch ein Geburtsfest.

Weihnachten und Chanukka

Nahe liegt ein Vergleich mit einem anderen winterlichen Lichterfest, dem jüdischen Chanukka. Theologisch völlig unterschiedlich, weisen Chanukka und Weihnachten äußerliche Ähnlichkeiten auf: Kerzen werden angezündet, es gibt Geschenke, und die Familien rücken zusammen. Das und die terminliche Nähe der beiden Feste habe dazu beitragen können, gesellschaftliche Spannungen abzubauen und ein „friedliches Nebeneinander“ von Judentum und Christentum zu ermöglichen, sagte Förster - jedenfalls lange Zeiträume hindurch.

Weihnachtsmarkt in Wien

ORF.at/Zita Köver

Alles drängt zum Licht: Weihnachtsmarkt in der Wiener Innenstadt

Dass die Muslime kein winterliches Lichterfest haben, liege vermutlich daran, dass es im Islam einen lunaren Kalender gibt, meinte der Experte. Die islamischen Feiertage „wandern“ somit durch das Jahr - ein fixes Winterfest ist dadurch nicht möglich.

Heute wie damals drängt es die Menschen im Winter zum Licht, wie auch an der oft exzessiven Weihnachtsbeleuchtung an Gebäuden und etwa auf Adventmärkten erkennbar ist. Brauchtum, tief empfundene Symbolik, Kitsch - das heutige Weihnachten hat viele verschiedene Facetten. Laut Förster kann das dazu beitragen, „dass das Spezifische des christlichen Festes verloren geht“.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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