Experte: Russen dachten schon früher an Brückenbau

Die Bedeutung des Treffens zwischen Papst Franziskus und dem Moskauer Patriarchen Kyrill muss auch im Licht der Geschichte der Beziehungen zwischen römisch-katholischer und russisch-orthodoxer Kirche gesehen werden.

Das sagte am Freitag der Dominikanerpater Hyacinthe Destivelle, der im Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen für den Dialog mit den slawischen orthodoxen Kirchen zuständig ist, in einem Interview mit Radio Vatikan. Die 10-seitige Erklärung, die dabei unterzeichnet werden soll, wurde auf katholischer Seite von Destivelle redigiert.

Orthodoxe beim Zweiten Vaticanum

Der 46-jährige französische Ordenstheologe erklärte, dass sich die russisch-orthodoxe Kirche trotz der Spannungen zwischen dem kirchlichen Moskau und dem kirchlichen Rom, die nach der „Wende“ aufgebrochen waren, an sich für die Versöhnung der getrennten Christen eingesetzt hatte. So sei das Moskauer Patriarchat die erste nichtkatholische Kirche gewesen, die Beobachter zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) entsandt habe.

Der Dominikaner - er war u. a. Pfarrer in St. Petersburg - erinnerte aber auch an das „ökumenische“ Erbe des in den Armen von Papst Johannes Paul I. verstorbenen Metropoliten Nikodim (Nikodim Rotow; 1929-1978), als dessen „geistlicher Sohn“ Patriarch Kyrill gilt. Kyrill war Sekretär des Metropoliten von St. Petersburg (damals Leningrad); als junger Bischof begleitete er den Metropoliten auf dessen letzter Reise nach Rom, um dem neu gewählten Papst Johannes Paul I. (Albino Luciani) zu gratulieren.

Destivelle sagte, dass die 1969 erlassene Verfügung des Moskauer Patriarchats, Katholiken zum Empfang der Sakramente in der orthodoxen Kirche zuzulassen, wesentlich auf Metropolit Nikodim zurückging. In den Weiten der Sowjetunion, wo es nur wenige katholische Priester und katholische Gemeinden gab, bedeutete dieser Schritt des Patriarchats ein wesentliches pastorales Entgegenkommen - „auch wenn die Verfügung leider 1986 wieder zurückgenommen wurde“. Aber es sei zu hoffen, so P. Destivelle, dass Patriarch Kyrill die ökumenische Grundeinstellung seines Mentors weiterführen werde.

Auch im russischen theologischen Denken sei das Bemühen um Wiederherstellung der christlichen Einheit tief verankert, erinnerte der Dominikanerpater. Er verwies u. a. auf den Religionsphilosophen Wladimir Solowjew, der Ende des 19. Jahrhunderts die Idee von der Brückenfunktion der russischen Kirche zwischen Ost und West entwickelt habe. In dieser Zeit sei auch die offizielle russisch-orthodoxe Kirche um einen „fruchtbaren Dialog“ mit der anglikanischen und der altkatholischen Kirche bemüht gewesen.

Presse spekuliert über Russland-Reise des Papstes

In der offiziellen kubanischen Presse wurde in den letzten Tagen der Begegnung zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill ebenso wie dem Kuba-Besuch des Oberhaupts der russisch-orthodoxen Kirche breiter Raum gewidmet. In die Berichterstattung flossen auch Andeutungen ein, dass bei der Begegnung in Havanna ein Russland-Besuch des Papstes vereinbart werden könnte.

In zahlreichen Interviews wird deutlich gemacht, dass die beiden miteinander verbundenen Ereignisse - der Patriarchenbesuch und die Begegnung zwischen Franziskus und Kyrill - quer durch alle Bevölkerungsschichten mit Enthusiasmus begrüßt werden. „Granma“ zeichnet die Geschichte der russisch-orthodoxen Kirche auf Kuba seit Beginn des 20. Jahrhunderts nach, „Juventud Rebelde“ beleuchtet die historischen Beziehungen zwischen dem russischen und dem kubanischen Volk, beginnend mit der Ankunft des russischen Arztes Fjodor Karscharin in Havanna im Jahr 1782.

„Franziskus ist Pragmatiker“

Die Anzeichen für ein Zusammentreffen von Papst und Patriarch hätten sich in der jüngsten Zeit verdichtet, sagte der Catholica-Referent des Konfessionskundlichen Instituts der evangelischen Kirche im hessischen Bensheim dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Freitag. Fragen wie die Situation der Christen im Nahen Osten und der Religionsfreiheit würden offenbar im Vordergrund stehen.

Bräuer sagte, das Treffen auf Kuba diene der Verbesserung des Klimas zwischen den Kirchen, aber eine Lösung theologischer oder kirchenpolitischer Streitfragen sei nicht zu erwarten. Das sei vielmehr Sache der Gesamtheit der orthodoxen Kirchen, die darüber auf dem bevorstehenden panorthodoxen Konzil im Juni beraten wollen. „Franziskus ist Pragmatiker. Es geht ihm darum, dass die Kirchen das gemeinsam machen, was sie machen können, und deshalb lotet er den Handlungsspielraum für die Kirchen aus. Und wenn Orthodoxe und der Vatikan mit einer Stimme die weltweiten Christenverfolgungen und die Gewalt gegen Christen etwa in Syrien anprangern könnten, ist es ihm recht“, sagte Ökumene-Experte. Es gehe Franziskus vor allem um die Begegnung, das menschliche Miteinander und das Gespräch.

Nicht vergleichbar mit Ereignissen 1964

Schon bei der Ankündigung der als historisch geltenden Zusammenkunft seien keine religiösen Inhalte genannt worden, sagte Bräuer. Daher sei es im Grunde zunächst ein Arbeitstreffen auf höchster Ebene, dem weitere folgen könnten. Das Treffen zwischen Kyrill und Franziskus stehe auf einer anderen Ebene als zum Beispiel die Zusammenkunft von Papst Paul VI. und dem damaligen Ökumenischen Patriarchen Athenagoras 1964 in Jerusalem. Das sei das erste Treffen mit dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie seit der Spaltung von 1054 überhaupt gewesen.

Dieses Treffen habe zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen den orthodoxen Kirche und dem Vatikan geführt, fügte der Theologe hinzu. Damals hätten Patriarch und Papst gemeinsam ein Vaterunser gebetet.

Treffen schon von Johannes Paul II. gewünscht

Das jetzige Gipfeltreffen, die erste Begegnung zwischen einem römischen Papst und dem Patriarchen der Russischen Orthodoxen Kirche, sei in den 1990er Jahren von Papst Johannes Paul II. gewünscht worden, erinnerte Bräuer. Aber seine polnische Herkunft und vor allem die nach der Wende sich neu formierende mit Rom unierte griechisch-katholische Kirche in der Ukraine, die den russischen Orthodoxen bis heute ein Dorn im Auge sei, sowie die Neugründung römisch-katholischer Bistümer in Russland hätten ein solches Treffen zunächst verhindert.

„Die Existenz einer Kirche, die wie die orthodoxe Kirche ihre Gottesdienste feiert, aber den Papst als Oberhaupt anerkennt, war und ist für die orthodoxe Kirche Russlands immer problematisch“, sagte Bräuer. Aber offensichtlich habe die Existenz dieser Kirche nun nicht mehr das Gewicht, welches ein Treffen der beiden Kirchenführer unmöglich machen würde.

religion.ORF.at/KAP

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