Verhütung „nichts absolut Böses“ - in Ausnahmefällen

Die Aussage zu den Themen Verhütung und Abtreibung von Papst Franziskus, Verhütung sei „nichts absolut Böses“ und in einigen Fällen sogar einleuchtend, hat viele aufhorchen lassen. Doch die katholische Kirche erlaubt Verhütung in Ausnahmefällen schon lange.

Wie so oft hatte der Papst auf dem Rückflug von seiner Mexiko-Reise nach Rom markante Aussprüche getan, darunter mit seiner Antwort auf die Frage einer Journalistin, wie die Kirche dazu stehe, dass Frauen aus Angst vor dem Zika-Virus an Verhütung oder gar Abtreibung denken würden. Das Virus steht im Verdacht, Mikrozephalie bei Babys auszulösen, der Kopf der Kinder ist zu klein und die Gefahr dauerhafter Behinderungen groß. Bei der Verhütung handle es sich um „das geringere Übel“, wurde Franziskus zitiert.

Mücken Aedes aegypti, Überträger des Zika-Virus'

AP Photo/Ricardo Mazalan

Mückenart Aedes aegypti, Überträger des Zika-Virus’

Freibrief für Katholiken?

Bedeutet das nun einen Freibrief für von Krankheiten, etwa auch Aids, bedrohte katholische Paare, andere als „natürliche“ Verhütungsmethoden anzuwenden? „Die Kirche muss unterscheiden zwischen der Verhütung der Weitergabe des Lebens und der Verhütung der Weitergabe einer Krankheit“, sagte der Moraltheologe und Biomedizinexperte Matthias Beck dazu im Gespräch mit religion.ORF.at. Verhütung mit Kondomen sei eben ein - wenn auch nicht hundertprozentiger - Schutz vor gewissen Krankheiten. Alles andere wäre womöglich „unterlassene Hilfeleistung mit der Möglichkeit einer epidemieartigen Ausbreitung einer Krankheit wie Aids oder auch des Zika-Virus’“, so der approbierte Arzt und Pharmazeut. So sähen das auch „aufgeklärte Theologen“.

Matthias Beck

Matthias Beck ist Theologe und Mediziner und lehrt an der Universität Wien. Er ist Mitglied in mehreren Bioethikkommissionen, darunter der der Päpstlichen Akademie für das Leben (Pontificia Academia Pro Vita) und der österreichischen Bioethikkommission im Bundeskanzleramt.

Auf die Frage, ob das auch der Papst so sehe, antwortete Beck: „Der Papst ist äußerst vernünftig.“ Der Argentinier habe gesehen, wie die Menschen in armen Gebieten leben, außerdem, so erinnert Beck, sei der Papst Jesuit: „Ein Jesuit denkt meistens sehr konkret und praktisch.“ Doch sei aus Sicht der katholischen Kirche „das Ideal, in solchen Fällen enthaltsam zu leben“, Verhütung lediglich die zweitbeste Lösung, wenn es um ansteckende Krankheiten geht. Und auch Franziskus werde die bestehende Lehre nicht „auflösen“: „Die Kirche hat die Angst, dass, wenn sie eine Tür aufmacht, zehn weitere aufgehen könnten“, sagte der Moraltheologe.

Pragmatismus in der Praxis

Auf Praxisebene herrscht aber bereits vielerorts Pragmatismus hinsichtlich des Themas Verhütung, wie auch Beck das sieht. An manchen „Brennpunkten“, etwa in Afrika, wo Aids ein großes Problem darstellt, gehe man mit Verhütung in Form von Kondomen ohnehin sachlich um. Dass seitens kirchlicher Einrichtungen sogar Verhütungsmittel verteilt würden, sei „möglich“, so der Bioethik-Experte.

Papst Franziskus im Flugzeug auf dem Weg von Mexiko nach Rom

Reuters/Guiseppe di Cacace

Flugzeug-Interview des Papstes: Konflikt zwischen fünftem und sechstem Gebot

Papst Franziskus selbst führte eine Ausnahme von der Regel an, um den „Konflikt zwischen dem fünften und dem sechsten Gebot“ („Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht Unkeuschheit treiben“, Anm.) zu illustrieren. So sagte er während des Flugzeug-Interviews vor zwei Wochen: „Paul VI. (...) hat in einer schwierigen Situation in Afrika den Nonnen erlaubt, Verhütungsmittel zum Schutz vor den Folgen von Vergewaltigungen zu nehmen.“ Er nahm damit Bezug auf den Bürgerkrieg im Kongo (1960 bis 1964), während dessen es zu Vergewaltigungen an Ordensfrauen gekommen war.

„Nachbesserung“ in ethischen Fragen

Müsste dann Papst Franziskus nicht ein neues Lehrschreiben zu dem Thema verfassen, das die 1968 erschienene Enzyklika „Humanae vitae“ (im Volksmund auch als „Pillen-Enzyklika“ bekannt) des oben zitierten Papstes Paul VI. widerlegt? Nicht notwendigerweise, da besagtes Lehrschreiben kein kirchliches Dogma darstelle, so Beck. Ethische Fragen wurden in der Kirche bisher „nicht dogmatisiert, weil sie auf einer anderen Ebene stattfinden als dogmatische Aussagen wie etwa Fragen eines trinitarischen Gottesbildes“. In ethischen Fragen könne man „nach neuen medizinischen Erkenntnissen oder aber neuen Problemstellungen auch Nachbesserungen einführen“, so der Theologe.

So habe man in den 1960er-Jahren ja von durch Sex übertragenen Krankheiten wie Aids oder Zika einfach noch nichts geahnt. Beck erinnert in dieser Frage an den Begriff der Epikie, der Haltung, dass Gesetze nicht alles regeln können und zum Wohl der Menschen eine „Einzelfallgerechtigkeit“ zum Tragen kommen müsse. Auch im Kirchenrecht sei die Rede vom „Heil des Einzelnen“. Die Entwicklung innerhalb der Kirche gehe wohl in Zukunft mehr in Richtung „einer Entscheidungsfreiheit des Bischofs und auch des Priesters“, wie man es sich auch von dem demnächst erwarteten Lehrschreiben zur Familiensynode vom Vorjahr erwarte.

Ein seelsorgerlicher Ansatz also, bei dem der Einzelfall mehr zählen sollte als das kirchliche Gesetz - das entspricht dem Bild von Papst Franziskus, wie man es sich auch nach bisherigen Wortspenden machen konnte. Eine neue Enzyklika erwartet sich der Bioethiker Beck aber viel eher zum Themenkreis Gentechnologie: zur bereits stattfindenden Praxis des „Genome Editing“, des Eingriffs in die menschliche Keimbahn und den daraus resultierenden Folgen für die Menschen. Dazu brauche es eine „differenzierte Stellungnahme“ der Kirche. Das Thema Verhütung werde dabei möglicherweise am Rande mitbehandelt, so Beck.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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