Jesus und der Abstieg in die Unterwelt

An einem Freitag ist Jesus Christus gestorben, an einem Sonntag feiern Christen seine Auferstehung: Was er unterdessen tat, regt seit vielen Jahrhunderten die Fantasie der Menschen an. Am beliebtesten ist wohl die Geschichte von der Höllenfahrt Christi.

Jesus sei „hinabgestiegen in das Reich des Todes“, heißt es im Apostolischen Glaubensbekenntnis. Das Neue Testament verrät jedoch keine Einzelheiten darüber, einzig zwei kurze Stellen im 1. Petrusbrief deuten etwas an (1 Petrus 3,19; 4,6). Diese „große Leerstelle“ hätten Gläubige über die Jahrhunderte hinweg zu füllen versucht, sagte der Theologe Hans Förster im Gespräch mit religion.ORF.at, „immerhin zwei Nächte, fast drei Tage - das ist viel.“ Irgendetwas habe man sich dazu gern vorstellen wollen. Da die kanonisierten Texte der Bibel, wie wir sie heute kennen, für diesen Zeitraum fast nichts hergeben, entstanden apokryphe Schriften zu diesem Thema.

Außerkanonische „Bestseller“

In diesen außerhalb der kirchlich-kanonischen Tradition stehenden, von der Kirche aber weitgehend geduldeten, manchmal auch verbotenen Texten finden sich „Legenden und fromme Unterhaltungsliteratur, die damals kursierten und weite Verbreitung fanden“, so Förster, der ein Forschungsprojekt des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) an der Universität Wien leitet. „Aus heutiger Sicht waren das Bestseller, das zeigen auch die vielen erhaltenen Übersetzungen.“ Über die Jahrhunderte seien sie immer wieder umgeschrieben und ergänzt worden.

Jaume Serra: Descenso a los infiernos (Abstieg in die Unterwelt) (1361-1362)

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Jaume Serra: „Abstieg in die Unterwelt“ (1361/62)

Für eine "theologische Reflexion ist Jesu Abstieg in die Hölle „ein Thema, wo Theologie und Volksfrömmigkeit aneinander vorbeigehen“, sagte der Theologe. Diese Form der Volksfrömmigkeit fand in der Antike Verbreitung - in der Lehre nahm das Thema keinen großen Platz ein. Gerade während der Osterfeiertage, „wenn dann die Trauer über den Tod Jesu begangen wird, wenn man sich sehr stark die Geschehnisse ins Gedächtnis ruft, dann ist klar, dass bei vielen Gläubigen die Neugier kommt: ‚Und jetzt geschieht zwei Tage lang gar nichts?‘“

„Hast du den Entschlafenen gepredigt?“

Zu einer „Höllenfahrt“ Jesu gibt das „Petrus-Evangelium“ einen Hinweis. Von diesem Text, der wohl im zweiten Jahrhundert entstand, lag lange Zeit nur ein kleiner Teil vor. Es dokumentiert die Entstehung von Legenden rund um Sterben und Auferstehung Christi. So heißt es in Kapitel 10: „Und sie hörten eine Stimme aus den Himmeln rufen: ‚Hast du den Entschlafenen gepredigt?‘, und es wurde vom Kreuze her die Antwort laut: ‚Ja.‘“

Zum ersten Mal in einem christlichen Text finde sich „die Vorstellung, dass in der Unterwelt oder in einem Jenseitsort den Toten gepredigt wurde, im ersten Petrusbrief. Das wird als eine Predigt Jesu, die in der Unterwelt oder an einem Jenseitsort den Toten gepredigt wurde, die auf die Auferstehung warten, gedeutet“, so Förster. Viel weiter geht ein anderer apokrypher Text, die „Acta Pilati“ („Pilatus-Akten“), die Teil des „Nikodemus-Evangeliums“ sind. Diese Texte, die etwa ins fünfte Jahrhundert datiert werden, wollen einen vollen „Bericht“ darüber geben, was in der Unterwelt geschehen ist.

Befreiung der Propheten und Urväter

Die Rede ist von einem „dunklen Ort, in den etwas wie Sonnenlicht hineindringt“. Dort, im Limbus Patrum, harren die „Urväter“ aus: Abraham, Noah, Adam und Eva, außerdem Propheten bis hin zu Johannes dem Täufer, der in der Bibel als Vorläufer von Jesus wirkt. Hier werde auch eine theologische Frage beantwortet, so Förster: „Was war mit denen, die als Gerechte gestorben sind, aber vor Jesus gelebt haben?“ Er holt sie aus dem dunklen Ort ans Licht. „Wir haben hier die Parallele zum irdischen Wirken Jesu.“ Jesus erlöst, bringt ans Licht, „erleuchtet“ - ganz physisch, indem er nach dieser Erzählung als Lichterscheinung kommt und die Seelen aus der Unterwelt in den Himmel mitnimmt, aber auch im übertragenen Sinn.

Satan mit „Bauchgrimmen“

Im Nikodemus-Evangelium wird aber zunächst eine Begegnung zwischen dem Herrscher der Unterwelt, Hades, dem Teufel und Jesus geschildert. In die Vorfreude der Propheten und Stammeltern auf die Erlösung bricht Satan selbst ein, er versucht, Hades gegen Jesus aufzuhetzen. Doch dieser ist sich unsicher, hat er doch schon kurz zuvor die Erfahrung machen müssen, dass ihm ein gewisser Lazarus „wieder entrissen“ wurde, den er gerade erst „verschlungen“ hatte: Das bereite ihm „Bauchgrimmen“, sagt er zu Satan. Es handelt sich hierbei um eine Anspielung auf das 11. Kapitel des Johannesevangeliums.

Da tritt Jesus auf: „Öffnet, ihr Herrscher, eure Tore, gehet auf, ewige Pforten. Einziehen wird der König der Herrlichkeit“ - hier wird mit Psalm 24,7 ein Zitat aus der „echten“ Bibel eingestreut. Hades gibt klein bei und liefert Satan an Jesus aus. „Da packte der König der Herrlichkeit den Obersatrapen Satan am Kopfe und übergab ihn den Engeln mit den Worten: Mit Eisenketten fesselt ihm Füße, Hals und Mund!“ (Ein Satrap war ein hoher Beamter im Persischen Reich. Später wurde der Begriff zum spöttischen Ausdruck für Behördenwillkür, Anm.) Dann wird Satan Hades zurückgegeben mit dem Auftrag, ihn „bis zu meiner zweiten Ankunft“, wie Jesus es formuliert, festzuhalten. Hades macht dem gefesselten Satan dann auch noch Vorwürfe.

Höllenabstieg endet mit Erlösung

„Während Hades so mit Satan sprach, streckte der König der Herrlichkeit seine rechte Hand aus, ergriff den Urvater Adam und richtete ihn auf.“ Danach folgen die anderen Vorväter; zahlreiche Bilder und orthodoxe Ikonen zeigen dieses Hinaufziehen der Seelen. Jesus’ Höllenabstieg endet mit Verklärung und Erlösung - im Himmel. Der Erlöser übergibt die Heiligen, Vorväter, Propheten und Märtyrer an den Erzengel Michael.

Pergamentblatt "Liber Bartholomaei", koptisch, 8./9. Jh.

ÖNB/Wien, K 09574

Der „Liber Bartholomaei“ erzählt von der Unterwelt. Das Pergament befindet sich in der Papyrussammlung der ÖNB.

Eine „Kontinuität in der Diskontinuität“ erkennt der Theologe Förster in der Vermengung christlicher Motive (Jesus, Satan, die Propheten usw.) mit solchen aus der griechischen Mythologie (Hades, die Unterwelt): „Wir befinden uns hier am Übergang von einer jüdischen zu einer christlichen Identität.“ Der Lösungsprozess vom Judentum habe etwa bis ins vierte Jahrhundert gedauert. Das antike Judentum kennt kaum ausformulierte Jenseitsvorstellungen, es gibt die alttestamentlich sich entwickelnde Hoffnung auf Weiterleben und Auferstehung. Diese werde vor allem in der pharisäischen Tradition rezipiert - das erkläre den „Rückgriff“ auf Jenseits-Topografien „in umgebenden Kulturen“, so der Experte.

Buchhinweise

  • Hans Förster: Ein bisher unediertes Fragment des Ms B des Liber Bartholomaei. Edition von P. Vindob. K 9574, Journal of Coptic Studies 6 (2004), pp. 55-75.
  • Matthias Westerhoff: Auferstehung und Jenseits im koptischen „Buch der Auferstehung Jesu Christi, unseres Herrn“. Orientalia Biblica et Christiana 11, 1999 (Edition des „Liber Bartholomaei“).
  • Wilhelm Schneemelcher (Hg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung: Bd. 1: Evangelien.

Diese Jenseitsvorstellungen änderten sich im Lauf der Jahrhunderte: Die griechisch-mythologische Unterwelt - ein dauerhafter Ort des Schattendaseins ohne Strafcharakter - verblasste zugunsten der Hölle der Christen. Auf dem Weg dorthin veränderten sich die Narrative, wie Förster mit einem Pergament belegt, das sich in der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) befindet.

Schreibfehler führt zu „Erzpriester-See“

Das Pergamentblatt des „Liber Bartholomaei“ ist in koptischer Sprache abgefasst und datiert aus dem achten oder neunten Jahrhundert. Der Text des Fragments dreht sich um eine Vision des Paulus über das Jenseits. Der Acherusische See, der von einem der vier Unterweltflüsse, dem Acheron, gebildet wird, verwandelt sich hier, offenbar durch einen Abschreibfehler, in einen „Archierusischen See“. „Der Schreiber kannte die hellenistische Tradition nicht mehr“, so Förster. Daher habe er das Wort in etwas „bekannt Klingendes“ geändert - der Acherusische See wurde zum „‚See des Erzpriesters‘. Einen Erzpriester (Archiereus) kannte er.“

So würden „Begriffe, die wir nicht kennen“, durch Bekanntes ersetzt. Aus diesem Prozess der kulturellen Transformation, dem „Neufüllen“ von Begriffen, ergebe sich eine scheinbare Kontinuität. Dass hier Namen noch weiterwirken, obwohl die Vorstellung eine andere ist, belege das Pergament auf exemplarische Weise, so Förster.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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