Feminismus im Islam: Keine „zarten Blumen“

Die Forderung nach Gleichberechtigung und Chancengleichheit wird nicht nur von „westlichen“ Frauen erhoben, sondern unter anderem auch von Musliminnen. Sie bringen für ihre Ziele auch religiöse Argumente.

Muslimische Frauen bewegen sich häufig zwischen sehr unterschiedlichen Selbst- und Fremdwahrnehmungen. Muslimische Frauen würden weder dem Bild vieler Muslime entsprechen wollen, wonach sie durch den Islam bereits alle Rechte hätten und sich daher nicht noch extra für sie einzusetzen bräuchten, noch dem Bild vieler Nichtmuslime, die ihnen unterstellen, unselbstständig und fremdbestimmt zu sein. Das sagte Amena Shakir, Islamwissenschaftlerin und Leiterin der Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA), bei einem Vortrag anlässlich des Projekts „Fatima“, das sich für die Förderung junger muslimischer Frauen einsetzt.

Sendungshinweis

ORF kultur.montag vom 7.3.2016.

Beide Gruppen seien gekennzeichnet durch ein positives Selbstbild, gepaart mit einem negativen Fremdbild, so Shakir. Dudu Kücükgöl, Dissertantin und Aktivistin, vermisst eine feministische Solidarität und kritisierte im Gespräch mit religion.ORF.at „westliche“ Feministinnen dafür, muslimische Frauen „befreien“ zu wollen. Diese könnten für sich selbst sprechen und bräuchten keine Bevormundung, sondern „gleiche Chancen und ein Leben ohne Diskriminierung und rassistische Übergriffe“.

Carla Amina Baghajati, Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft
(IGGiÖ)

Reuters/Heinz-Peter Bader

Carla Amina Baghajati

Geschlechtergerechtigkeit statt Stereotypen

Innerhalb der muslimischen Gemeinschaft habe sich in den letzten Jahren sehr viel getan, sagte Carla Amina Baghajati, Pressesprecherin und Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) gegenüber religion.ORF.at. Immer mehr muslimische Frauen würden sich in leitenden Positionen finden. Als Beispiele seien hier die IRPA und einzelne Vorständinnen in islamischen Vereinen genannt. Baghajati befasst sich mit Geschlechtergerechtigkeit und sieht in den Frauenrechten ein Schlüsselthema zu einem „Wir-Gefühl“ in der Gesellschaft. Muslimische Frauen werden oft als „Multiplikatorinnen“ gesehen.

Sie selbst bezeichnet sich zwar nicht als Feministin, ließe das aber als Fremdbezeichnung gelten. Ihr ist es wichtig, auch Männer in die Hinterfragung von Rollenbildern einzubeziehen. Denn auch Männer seien oft in festgefahrenen Rollenbildern gefangen. Daher spricht sie lieber von Geschlechtergerechtigkeit - es sei der „strategisch bessere Begriff“, um Chancengleichheit zu erreichen. "Wir brauchen ein gemeinsames Arbeiten an Geschlechterstereotypen, so Baghajati im Gespräch mit religion.ORF.at.

Es sei eine „kritische Sichtung“ wichtig, weil häufig „die Art, wie Männer über Frauen schreiben, eine bevormundende ist“. Durch Attribute wie: Das „schwache Geschlecht“, „die zarte Blume“, „die Perle im Schatzkästchen“ komme die Diskriminierungen im „Gewand sehr schmeichelhafter Komplimente daher“. Das gelte es aufzubrechen, um zu der Geschlechtergerechtigkeit zu kommen, die im Islam gefordert werde, erklärte Baghajati. Dabei handle es sich um „Verantwortlichkeit in der Gesellschaft und ein Menschsein, wo Frau und Mann die gleichen Aufgaben haben“ - von Berufstätigkeit bis zu politischer Partizipation.

Dudu Kücükgöl

ORF/Günther Pichlkostner

Dudu Kücükgöl

„Veränderung von innen“

Dass sich vieles zum Positiven verändert hat, bestätigt auch Kücükgöl. „Es gibt ein Erstarken weiblicher, muslimischer Stimmen, die auch öffentlich wahrgenommen werden und die hier aus einer islamischen Position heraus patriarchale Strukturen kritisieren und aufzubrechen versuchen“, sagte die ehemalige Vorsitzende der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ). Das zeige sich beispielsweise auch in der stärkeren Ausbildung einer weiblichen theologischen Autorität. „Das Besondere an diesen Bewegungen ist, dass sie aus der muslimischen Community heraus und aus ihrem Islamverständnis heraus kommen - das ist eine Veränderung von innen“, so Kücükgöl.

Im Einsatz für Selbstbestimmtheit unterscheiden sich muslimische Feministinnen nicht von nicht-muslimischen, ist die Aktivistin überzeugt. Baghajati merkt dazu an, dass sich muslimische Frauen eher dem Differenzfeminismus zuordnen, der, im Gegensatz zum Gleichheitsfeminismus, gerade die Unterschiedlichkeit der Geschlechter betont und besonders eine weibliche Perspektive in allen Lebensbereichen fordert. Muslimische Feministinnen würden aber, so Kücükgöl, für ihre Ziele auch religiöse Gründe einbringen, um innerhalb der muslimischen Community Veränderungen zu bewirken.

Islamwissenschaftlerin und Politologin Amena Shakir

ORF/Hummel-Berger

Amena Shakir

Wo bleibt die Frauensolidarität?

Baghajati bedauert die teilweise fehlende Solidarität unter Frauen. Frauen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Geschlechtergerechtigkeit voranzutreiben, würden, anstatt zusammenzuarbeiten, einander gegenseitig ausspielen. Damit spielt sie auf die deutsche muslimische Autorin und Journalistin Sineb El Masrar an, die in ihrem neuen Buch „Emanzipation im Islam - Eine Abrechnung mit ihren Feinden“ in einem Rundumschlag Kritik an quasi allen muslimischen Akteuren und Akteurinnen übt, explizit auch an Baghajati und Shakir.

Shakir spricht seit Jahren vor Musliminnen, um sie über die bereits in der Zeit des Propheten Mohammed existierenden Frauenrechte zu informieren und zu ermutigen, selbst ihre Rechte einzufordern. Selbstbewusste Frauen hätten ihren Platz in der Gemeinde gehabt, ihre Standpunkte vertreten und sich Gehör verschafft. Auch El Masrar beruft sich in ihrem Selbstverständnis auf die Frühzeit des Islams, ohne jedoch in ihrem Buch Beispiele dafür zu nennen - mehr dazu in Rundumschlag gegen muslimisches Patriarchat.

Nina Goldmann, religion.ORF.at

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