Schönborn im Irak: Flucht der Christen „großer Verlust“

Kardinal Christoph Schönborn hat auf seiner Irak-Reise mit Flüchtlingen in Notunterkünften gesprochen. Die Flucht der Christen in Richtung Westen bezeichnete Schönborn als „verständlich“, sie sei aber ein „großer Verlust“ für den Irak.

Der Wiener Erzbischof hält sich noch bis Mittwoch in Erbil, der Hauptstadt der autonomen irakischen Region Kurdistan auf, wo er Flüchtlingslager besucht und Gespräche mit kirchlichen und politischen Vertretern führt. Bei Besuchen in verschiedenen Flüchtlingslagern sprach der Kardinal den Menschen Mut zu und versicherte sie seiner Solidarität.

Schönborn war am Montagnachmittag in Erbil vom kurdischen Innenminister Kerim Sinjari, dem chaldäisch-katholischen Erzbischof von Erbil, Baschar Warda, dem syrisch-katholischen Erzbischof von Mosul, Boutros Moshe, und dem syrisch-orthodoxen Erzbischof von Mosul, Mor Nikodemus David Sharaf, empfangen worden.

Unterstützung vor Ort zentral

Laut Erzbischof Warda verlassen monatlich 30 bis 40 christliche Flüchtlingsfamilien die Kurdenregion in Richtung Westen. Es sei zwar verständlich, dass viele Christen in den Westen wollen, ihre Flucht wäre aber ein großer Verlust für den Irak, sagte Kardinal Schönborn. Das sei inzwischen auch vielen weitblickenden Muslimen klar.

Umso notwendiger sei es, dass der Westen die Christen vor Ort im Irak unterstützt, sagte der Wiener Erzbischof. Diese Botschaft werde er vor allem auch der österreichischen Regierung von seiner Reise mitbringen. Es seien vergleichsweise wenige Mittel notwendig, um den Menschen vor Ort zu helfen. „Wenn sie spüren, dass sie von Europa unterstützt werden, dann bleiben sie auch eher hier“, so der Kardinal. Inakzeptabel sei es aber, in diesem Bereich zu sparen und zugleich Zäune zu errichten.

Kirche betreibt Flüchtlingscamps

Die Kirche vor Ort bemühe sich nach Kräften, geflohenen Menschen zu helfen, erklärte Erzbischof Warda im Kathpress-Interview. Allein in der Region der kurdische Hauptstadt Erbil hätten rund 70.000 Christen Zuflucht gesucht. 20.000 von ihnen haben laut Warda das Land inzwischen aber bereits verlassen. Derzeit betreibt die chaldäische Kirche in Erbil vier Flüchtlingscamps für rund 10.000 Menschen. Eine gleich große Zahl sei in von der Kirche angemieteten Wohnungen untergekommen, so der Erzbischof.

Die Kirche leiste auch Nahrungsmittelhilfe, man habe zudem zwei medizinische Zentren und 14 Schulen gebaut. „Wir wollen den Flüchtlingen eine Zukunftsperspektive im Irak geben, damit sie das Land nicht verlassen müssen“, betonte Warda. Vor kurzem habe man deshalb auch eine katholische Universität in Erbil eröffnet.

Flüchtlinge ohne Perspektive

Ein großes Problem für die christlichen Flüchtlinge in Erbil ist die Sprache. Ohne Kurdisch-Kenntnisse sei es für die arabisch-sprachigen Christen kaum möglich, einen Job zu finden, schilderte der Erzbischof. Viele Flüchtlinge hätten deshalb auch schon die Hoffnung auf eine Zukunft in Kurdistan aufgegeben und würden im Westen ihr Glück versuchen.

In der autonomen Region Kurdistan sei das Leben für die Christen jedenfalls besser als in den anderen Teilen des Irak, unterstrich der chaldäisch-katholische Erzbischof. Das betreffe sowohl die Sicherheitslage, als auch die soziale Situation und die gesamtgesellschaftliche Einstellung gegenüber den religiösen Minderheiten.

Gut eine Million Christen weniger

Vor dem Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten und dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 lebten im Irak noch bis zu 1,4 Millionen Christen, jetzt sind es im gesamten Land weniger als 300.000. Im Nordirak lebten aktuell noch rund 150.000 Christen, weit über die Hälfte davon Binnenflüchtlinge, sagte Warda.

Das letzte große christliche Flüchtlingsdrama fand im Sommer 2014 statt, als die Terrororganisation Islamischer Staat „IS“ die nordirakische Stadt Mossul und die gesamte Ninive-Ebene überrannte. Erzbischof Warda sprach im Zusammenhang mit dem Vorgehen des IS von „Völkermord“. 120.000 Christen und Jesiden waren 2014 innerhalb weniger Stunden und Tage in die sicheren Kurdengebiete geflüchtet.

Lokale Bevölkerung negativ eingestellt

Warda zeigte sich zuversichtlich, dass es den irakischen und kurdischen Truppen sowie deren internationalen Verbündeten 2016 gelingen werde, die Ninive-Ebene und Mosul von den IS-Terroristen zu befreien. Damit sei freilich noch längst nicht alles gewonnen, fügte er hinzu.

Denn die Befreiung ändere noch lange nicht die negative Einstellung der muslimischen Bevölkerungsmehrheit gegenüber den religiösen Minderheiten in der Region. Es bräuchte daher massive Sicherheitsmaßnahmen, damit eine Rückkehr der christlichen Bevölkerung in ihre Heimatstädte und Dörfer überhaupt angedacht werden könne.

„Christliche Milizen verkomplizieren Lage“

Der chaldäische Erzbischof räumte ein, dass die christlichen Flüchtlinge das Vertrauen in ihre muslimischen Nachbarn längst verloren hätten, die gemeinsam mit dem IS gegen die Christen vorgegangen waren. Das mache auch in Zukunft ein Zusammenleben schwierig. Den Forderungen von mancher Seite, dass eine internationale Streitkraft die Sicherheit der Christen in der Ninive-Ebene sichern soll, beurteilte Warda skeptisch. Besser wäre es, „wenn der Frieden von innen heraus aus der irakischen Bevölkerung wächst“ - freilich ein mehr als fragliches Unterfangen.

Die jüngste Formierung eigener christlicher Milizen im Nordirak sieht der Erzbischof skeptisch. Die Kirche habe die jungen Christen stets ermutigt, entweder der irakischen Armee oder den kurdischen Peshmerga-Kräften beizutreten. Eigene Milizen, seien sie nun christlich, schiitisch oder sunnitisch, würden die ohnehin schon schwierige politische Situation nur noch weiter verkomplizieren, so die Einschätzung Wardas.

religion.ORF.at/KAP

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