Der Tanz der Derwische in der Schweiz

In der Schweiz gibt es einen islamisch-mystischen Sufi-Orden, der von einem gebürtigen Schweizer geleitet wird. Als Scheich hat er die Kompetenz, den Orden nach eigenen, westlichen Prinzipien zu formen. Frauen und Männer praktizieren gemeinsam.

Der Schweizer Peter Hüseyin Cunz steht als Scheich (spiritueller Meister) an der Spitze der Mevlevi-Sufi-Gemeinschaft in der Schweiz. Der Orden geht auf den mittelalterlichen Mystiker und Poeten Dschelalledin Rumi zurück. Rumi habe das entscheidende Prinzip „Mit einem Bein in dieser Welt, mit dem anderen in der anderen Welt“ formuliert, so Cunz. Danach richtet sich der Orden.

Mit dem Fuß in dieser Welt sei das Dienen gemeint, mit dem Fuß in der anderen Welt, die Hingabe an Gott, erklärte Cunz gegenüber dem ORF Religionsmagazin „Praxis - Religion und Gesellschaft“. Die Kombination von beidem ist die „dienstvolle Hingabe“ und werde mit dem arabischen Begriff „Islam“ benannt, so Cunz.

Tanzende Derwische in einer Kirche in Zürich

Internationale Mevlana-Stiftung Schweiz

Der Mevlevi-Orden ist vor allem durch seine Drehrituale der „tanzenden Derwische“ bekannt. Hier eine Aufnhame von einem Sema-Ritual in einer Kirche in Zürich

In zwei Welten zu Hause

Durch die beiden Standbeine in der diesseitigen und in der jenseitigen Welt bestehe durchaus eine Verwandtschaft zu christlichen Ordensleuten - etwa wenn sie, wie in der benediktinischen Tradition, dem Prinzip „bete und arbeite“ (ora et labora) folgten. Und noch eine andere, ganz konkrete Beziehung gibt es zum Christentum. Die Sufis des Schweizer Mevlevi-Ordens genießen in einer Kirche in Zürich Gastrecht. Vier Mal pro Jahr wird dort das „Sema“ durchgeführt - das Drehritual der Mevlana-Ordensleute, das auch als Tanz der Derwische bekannt ist. 40 bis 50 Zuschauer zählt Cunz an diesen Tagen, die Kirche steht dann offen.

Das Drehritual der Ordensmitglieder dient entgegen häufiger Ansichten nicht dazu, in Extase zu fallen, sondern soll Verstand, Herz und Körper symbolhaft in Einklang bringen. Beim „Tanz“ werden die Arme erhoben. Aus der Sicht der Derwische wird durch die rechte, dem Himmel zugewandte Hand Gottes Wohltätigkeit empfangen, durch die linke, der Erde zugewandte Hand wird diese über die Welt verteilt.

Der shcweizer Sufi-Scheich Peter Hüseyin Cunz

ORF/Brigitte Krautgartner

Scheich Peter Hüseyin Cunz

Orden mit weltlichem Erscheinungsbild

Mit den gängigen Bildern von Scheichs hat der geborene Schweizer nichts gemein. Im Zivilberuf ist er Experte für Internationales beim Bundesamt für Energie, geht gern in die Berge wandern, klettern und Ski fahren und betonte im Gespräch, dass er die Schweizer Kultur gerne und bewusst lebe.

Auch die Mitglieder seines Sufi-Ordens sind im Alltag äußerlich nicht als Muslime zu erkennen, auch nicht als Musliminnen. Das Kopftuch spielt hier keine Rolle. Und man geht auch ganz normal der jeweiligen Berufstätigkeit nach. Orden ist in diesem Fall nicht gleichzusetzen mit Klosterleben.

Keine Genderunterschiede für die Schweiz

Die Mitglieder des Schweizer Mevlevi-Ordens seien ein guter Mix, so der Scheich, die Mehrheit der Mitglieder weiblich. Unterschiedliche Berufe, mehrere Generationen und Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen treffen hier aufeinander, und: Frauen und Männer praktizieren gemeinsam.

Sendungshinweis

Praxis - Religion und Gesellschaft, 6.4.2016, 16.05 Uhr, Ö1

Er habe in seiner Eigenschaft als Scheich für die Schweiz die Genderunterschiede, die in den orientalischen Traditionen zu finden sind, abgeschafft, erzählte er. Lediglich die Ritualgebete finden in Frauen- und Männergruppen nebeneinander statt. Es gebe aber auch Sufi-Orden, die das anders handhaben, die zum Beispiel auch die traditionellen Kleidungsgepflogenheiten für Männer und Frauen hoch halten.

Muslime als pauschale Feindbilder

Ein Problem stellt für Peter Hüseyin Cunz, wie für viele andere Muslime auch, die stereotype Ablehnung des Islam dar, die Stigmatisierung als Religion der Gewalttäter und Mörder. „Die Leidenden sind wirklich die große Masse an Muslimen, die nichts anderes wollen als ein normales Leben zu führen.“ Sie würden zum Feindbild, weil der Mensch ein Bedürfnis nach pauschalen Bildern habe, so Cunz.

Sufismus

Der Sufismus ist die mystische Tradition des Islam, in der Gebet und Fasten einen hohen Stellenwert haben. Die sogenannten tanzenden Derwische in ihren weißen Gewändern sind ein bekanntes Bild.

Die Aussage allerdings, wer zu Gewalt greife, sei gar kein Muslim, weist Cunz zurück. „Man muss sagen, das ist eine fehlgeleitete Deutung des Islam. Islam gibt’s nicht ohne Deutung“, so Cunz. Der Koran sei kein Rezeptbuch, wo man einfach ablesen könne, wie es sein solle. Er begrüßt eine Diskussion über den Koran. Man könne nicht mehr sagen: „Über den Koran wird nicht diskutiert, weil er das Absolute ist“, man sei jetzt gezwungen, darüber zu sprechen.

Das Problem liege aber auch an der medial zugespitzen Berichterstattung und auch an der Weigerung muslimischer Theologen, in einen fruchtbaren Diskurs mit anderen Religionen zu treten und sich mit der Moderne auseinanderzusetzen, ist der Scheich überzeugt. Er hegt die Hoffung, dass sich immer mehr gemäßigte Muslime trauen, sich zu einer modernen Lebensweise im Islam zu äußern.

Brigitte Krautgartner, Nina Goldmann, religion.ORF.at

Links: