Kräutler: Aussage „Boot ist voll“ ist „Lüge“

Die derzeit politikprägende Aussage „das Boot ist voll“ erachtet der für sein Menschenrechtsengagement mit dem Alternativnobelpreis ausgezeichnete Bischof Erwin Kräutler als „Lüge“.

Die in der Flüchtlingsfrage in Europa vorherrschende „Politik der Abschottung“ betrachtet der emeritierte austrobrasilianische Bischof mit Sorge und spart dabei auch nicht mit Kritik. Er orte im „sozialen und zwischenmenschlichen Bereich ein Versagen der EU“, dabei habe Europa „den Auftrag sich zu öffnen“, sagte Kräutler - derzeit auf Heimatbesuch in Österreich - jüngst bei der Präsentation seines neuen Buches „Habt Mut! Jetzt die Welt und die Kirche verändern“ in Salzburg.

Lob für „klare kirchliche Haltung“

„Ausgesprochen positiv“ empfinde er demgegenüber die „klare kirchliche Haltung“ zum Thema Flucht, die sich in der Position des Papstes und der Österreichischen Bischofskonferenz zeige. „Über die kirchliche Leistung, namentlich von Caritas, Diakonie und Katholischer Aktion, kann man nur staunen“, lobte Kräutler den „konsequenten Einsatz für die Mitmenschen“ in den vergangenen Monaten.

Besonders anerkennend äußerte er sich über seinen Eisenstädter Amtskollegen Ägidius Zsifkovics für dessen „sehr mutigen“ Einsatz gegen die Grenzzaun-Errichtung auf Kirchengrund im Burgenland. Dafür einzutreten, „dass das Evangelium und dessen Werte gelebt werden“, ist für Kräutler unverzichtbare Aufgabe der Kirche: „Als Christen müssen wir Farbe bekennen.“

Bischof Erwin Kräutler

APA/EPA/Jessica Gow

Bischof Erwin Kräutler

Angst „in diesem Ausmaß unberechtigt“

Mit Begegnungsstätten zwischen Einheimischen und Flüchtlingen könne die Kirche zudem Bewusstseinsarbeit leisten sowie dem Umstand entgegenwirken, dass bei diesem Thema Angst geschürt werde, „die in diesem Ausmaß unberechtigt ist“, sagte Kräutler. Papst Franziskus gebe auch bei diesem Thema die Richtung vor: „Er will mit offenem Herzen auf die Menschen zugehen“, dies spiegelt sich laut Kräutler im „Kernthema Barmherzigkeit“. Das von Franziskus ausgerufene Heilige Jahr verpflichte alle Katholiken und sei „Auftrag an jeden und jede“.

Am jüngst veröffentlichten postsynodalen Schreiben „Amoris laetitia“ gefällt dem emeritierten Bischof vor allem die „Art und Weise, wie der Papst an die Sache herangeht“ - mit „Dezentralisierung und Subsidiaritätsprinzip“. Die von Franziskus favorisierte „pastorale Schiene“ zeige sich besonders in der Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls. Kräutler sieht in seinem Schreiben den Auftrag an Bischöfe und Seelsorger, zusammen mit den betroffenen Menschen „auf eine Lösung zu kommen“.

Sorge über Entwicklung in Brasilien

Mit Sorge blickt „Dom Erwin“ auch auf die „politische, wirtschaftliche und moralische Krise“ in Brasilien, wo er 35 Jahre als Bischof wirkte. Während der Olympischen Spiele würden unterschiedliche Gruppierungen die Gelegenheit nutzen, um „auf die Barrikaden zu steigen, weil dann die ganze Weltöffentlichkeit auf Brasilien schaut“.

Ausschreitungen in dem derzeit sehr polarisierten Land seien zu befürchten, man wisse nicht, wie Polizei und Militär darauf reagieren. Themen wie politische Korruption, Zika-Virus und Politikverdrossenheit haben nach den Worten des Bischofs das bevorstehende Großevent Olympia überlagert.

„Kein Fan“ von Präsidentin Rousseff

Die enorme Politikverdrossenheit in Brasilien kann Kräutler, wie er sagte, angesichts vieler Skandale nachvollziehen, sie sei aber auch „gefährlich für die Demokratie“. Er sei „kein Fan“ von Präsidentin Dilma Rousseff, die viele Fehler gemacht habe, erklärte Kräutler. „Dennoch ist sie gewählt worden - es gebührt ihr Respekt als Trägerin des höchsten Amtes im Staat.“

Insgesamt blicke Brasilien in eine „düstere Zukunft“, prognostizierte Kräutler: „Es ist ein Riesenproblem, wie es weitergeht. Es wird Jahre dauern, bis eine neue Riege an Politikern da ist.“

religion.ORF.at/KAP

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