Ausstellung: Synagogen virtuell besuchen

Die Wiener Synagogen waren bis zu ihrer Zerstörung 1938 ein wesentlicher Bestandteil der Wiener Stadtkultur. Das Jüdische Museum Wien zeigt virtuelle Rekonstruktionen, die einen Einblick in Räume ermöglichen, die nicht mehr existieren.

Vor 1938 gab es in Wien fast einhundert Synagogen und Bethäuser. Sie alle, mit Ausnahme des Stadttempels in der Innenstadt, wurden im Zuge des Novemberpogroms, den von den Nazis zynisch „Reichskristallnacht“ genannten Gewalttaten gegen Wiener Juden zerstört. In fast jedem Wiener Bezirk sei damals eine große Synagoge gestanden, in der Leopoldstadt sogar fünf, dazu mehrere Bethäuser - heute seine ihre Spuren verwischt, wie es das Jüdische Museum in einer Presseaussendung formulierte.

Bild aus dem virtuell rekonstruierten Müllnertempel

Bob Martens/Herbert Peter 2015

Bild aus dem virtuell rekonstruierten Müllnertempel

Die Synagogen entstanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts, nachdem Kaiser Franz Joseph I. den Juden die Gründung einer Gemeinde gewährte und damit auch den Bau von im Stadtbild sichtbaren Gotteshäusern gestattete, was zuvor über Jahrhunderte nicht möglich war. Ein Großteil der Synagogen Wiens wurde im Zeitraum 1890 bis 1910 errichtet – zu einer Zeit, in der die Zuwanderung von Juden aus den Kronländern der Donaumonarchie ihren Höhepunkt erreichte. Die Ausstellung „Wiener Synagogen. Ein Memory“ bietet die Möglichkeit, die zerstörten Wiener Synagogen virtuell wieder zu besuchen.

Innovative virtuelle Rekonstruktionen

Wiener Synagogen bestachen laut Jüdischem Museum mit ihrer „beeindruckenden stilistischen Vielfalt“. In Zusammenarbeit mit Bob Martens von der Technischen Universität Wien und dem Architekten Herbert Peter zeigt das Museum innovative virtuelle Rekonstruktionen, Modelle und viele Ansichten dieser ausgelöschten Wiener Sakralbauten, die zumeist durch Wohnbauten ersetzt wurden. Die Ausstellung erlaubt den Besucherinnen und Besuchern damit einen Blick auf das Wien vor 1938 und rückt die zerstörten Synagogen mit ihren räumlichen Wirkungen und städtebaulichen Dimensionen wieder ins Bewusstsein.

Ausstellungshinweis

„Wiener Synagogen. Ein Memory“ von 18. Mai bis 17. November 2016 im Museum Judenplatz, Judenplatz 8, 1010 Wien

Martens und Peter rekonstruieren seit Jahren Wiener Synagogen mittels moderner Computeranimation, hinzu kommen nun prominente Beispiele aus Niederösterreich und anderen Bundesländern sowie Synagogen von Wiener Architekten der k. u. k. Monarchie. Neben der Präsentation dieser Animationen werden auch Modelle der Synagogen und Originalbaupläne, die sich im Archiv des Jüdischen Museums Wien befinden, erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.

Geschichte anschaulich gemacht

Die Ausstellung macht die Geschichte der Wiener Synagogen anschaulich. Seit mehr als 800 Jahren sind Synagogen in Wien urkundlich belegt. Fundstücke, die einen großen Teil der permanenten Ausstellung im Museum Judenplatz ausmachen, bezeugen, dass es schon im Mittelalter eine lebendige jüdische Gemeinde in Wien gab. Diese wurde 1420/21 gewaltsam aufgelöst, die Synagoge abgetragen und ihre Steine für einen Neubau der Wiener Universität verwendet. Die Fundamente der mittelalterlichen Synagoge sind heute im Museum Judenplatz zu besichtigen. Die Ausstellung gibt einen Überblick der Geschichte jüdischer Gotteshäuser bis ins 20. Jahrhundert.

Synagogen aus dem Stadtbild gelöscht

Während die Wiener Synagogen aus dem Stadtbild gelöscht wurden, blieben die Planunterlagen, mit denen die Architekten ihre Projekte einreichten, zum Großteil erhalten. Ansichtskarten, zeitgenössische Darstellungen, Pläne, Modelle, Dokumentationen wie etwa das Brandbuch der Wiener Feuerwehr vom November 1938 und insbesondere die computergestützten Rekonstruktionen, dienen dazu, sich die räumliche Wirkung dieser zerstörten Bauwerke vorzustellen.

Das virtuelle Rekonstruieren ist durchaus mit archäologischen Tätigkeiten vergleichbar: Auch hier ist jedes neue Rekonstruktionsprojekt eine neue Suche nach einer unerfüllbaren Vollständigkeit von Informationen in Plänen, Fotografien, Skizzen und sonstigen Dokumenten. Computergestützte Darstellungsformen können die zerstörten Wiener Synagogen nicht wiederherstellen. Sie können jedoch helfen, sich ausgelöschte Gebäude und Räume in ihren Dimensionen und in ihrer einstigen Wirkung vorzustellen.

religion.ORF.at

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