Frauen: Wichtiger Faktor im IS-Terror

Nicht nur europäische Männer, sondern auch Frauen haben sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen. Besonders aktiv sind sie in der Verbreitung von Propaganda. Dafür nutzen sie auch die Verärgerung über Burkaverbote in Europa.

Nicht erst seit Europa vermehrt Angriffsziel von Kämpfern oder Sympathisanten des IS geworden ist, zeigt sich, wie eng Europa mit dem Krieg in Syrien und im Irak in Verbindung steht. Denn der IS wirbt schon lange via Soziale Netzwerke gezielt um Anhänger und Anhängerinnen in Europa. In den vergangenen Jahren sind Tausende Menschen dem Aufruf gefolgt und unterstützen den IS - darunter auch viele Frauen.

Aus Österreich haben sich 280 Menschen auf den Weg gemacht, 50 wurden aufgehalten, 80 sind bisher zurückgekehrt. Der Anteil der Frauen an den „foreign fighters“ liegt bei rund 15 Prozent, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, auf Anfrage von religion.ORF.at.

Religiöse Ideologie

Erzählungen über Frauen, die in das IS-Territorium auswandern, haftet oftmals etwas verquer Romantisches an: Junge naive Mädchen, die in den Dschihadisten Freiheitskämpfer und Traumprinzen sehen und auswandern, um zu heiraten? Das ist ein einseitiges Bild.

Es sei falsch anzunehmen, dass Frauen sich dschihadistischen Gruppierungen nur anschließen, um die Gattin eines Kämpfers zu werden oder weil sie von männlichen Verwandten gedrängt werden, sagte die im Libanon lehrende Politikwissenschaftlerin Dalia Ghanem-Yazbeck im Gespräch mit ORF Religion. Frauen seien politische Akteurinnen und mit der Auswanderung in das Territorium des IS „haben sie eine politische Entscheidung getroffen“.

Dalia Ghanem-Yazbeck, Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Extremismus, Dschihadismus, Terrorismus

ORF

Dalia Ghanem-Yazbeck forscht zu Extremismus und Dschihadismus

Es gibt viele Faktoren, die dazu führen, dass Frauen diesen Schritt gehen. Neben Perspektivlosigkeit, Traumatisierung, Diskriminierungserfahrungen und der Ablehnung liberaler Werte sei auch die religiöse Ideologie ein, wenn auch nicht das wichtigste Motiv, so Ghanem-Yazbeck, die zu den Themen Extremismus, Terrorismus, Dschihadismus und Islamismus forscht. „Viele dieser Frauen und Männer glauben, dass sie in das Gebiet des IS auswandern müssen, um richtige Muslime zu sein.“

Positives Image propagieren

Die Diskussionen über ein Burkaverbot in Europa ist auch unter IS-Anhängerinnen Thema und bietet Futter für IS-Propaganda. Denn Musliminnen, die ihre Religion nicht frei ausüben können, fänden im IS-Territorium ein neues Zuhause, in dem sie so sein könnten, wie sie sind. Als Teil einer großen muslimischen Gemeinde (Umma) würden sie dort keine Diskriminierung erfahren - so die besonders von Frauen verbreitete Botschaft des IS.

Propaganda ist eine zentrale Aufgabe der Frauen in der dschihadistischen Organisation. Über das Internet sollen sie neue Frauen rekrutieren und ein verklärtes Bild vom Leben in einem Kriegsgebiet vermitteln, in dem es unbeschwert zugeht und es in Europa sozialisierten jungen Menschen an gewohnten westlichen Gütern nicht fehlt. Über Soziale Netzwerke werden etwa Fotos von vollverschleierten Frauen gezeigt, die in Geschäften mit einer Vielfalt an bunten Schuhen und Taschen einkaufen.

Zentrale Rolle

Anders als diese fröhlich anmutenden Bilder glauben lassen, gelten in der Öffentlichkeit aber strikte Bekleidungsvorschriften. Und es sind Frauen, die bewaffnet als Religionspolizistinnen über die Einhaltung dieser Vorschriften des IS wachen und Strafen exekutieren. Eine weitere Aufgabe von Frauen ist es, Neuankömmlinge von der Grenze abzuholen, willkommen zu heißen und in die neue Struktur einzuführen.

Frauen im vom IS geführten Gebiet Rakka (Syrien)

Reuters/Stringer

Frauen in der syrischen IS-Hochburg al-Rakka

Doch auch wenn Frauen wichtige Strukturaufgaben im IS übernehmen, ist der Platz der Frau klar im häuslichen Bereich definiert: „Der IS ist eine männlich dominierte Organisation, und Frauen erwartet dort grundsätzlich eine traditionelle Rolle“, so Ghanem-Yazbeck. Kochen, Pflegen und Waschen seien die Aufgaben, die Frauen im IS übernehmen müssten. „Aber die zentrale Rolle ist, wie sie es nennen, die Mutter der heutigen Babys und morgigen Löwen zu sein“, sagte Ghanem-Yazbeck.

Aussteigen nicht möglich

Es gibt so gut wie kein Zurück für die Frauen, die sich für den IS entschieden haben, auch wenn sie bald merken, dass es die falsche Entscheidung war. Immer wieder hört man, dass junge Frauen und Männer, die aus dem selbsternannten IS-Kalifat fliehen wollen oder dessen verdächtigt werden, ermordet werden. Die Rückkehrenden, über die sich westliche Regierungen Sorgen machen, sind jene, die in der Anfangsphase des IS rausgekommen sind, sagte Ghanem-Yazbeck. Aussteigen sei jetzt aber nicht mehr möglich.

Umso wichtiger ist es also, dass die jungen Frauen und Männer davon abgehalten werden, sich dem IS überhaupt anzuschließen. Es sind besonders Frauen, die Hilfe suchen, weil sie bemerken, dass ein Familienmitglied sich radikalisiert. Wie Familienministerin Sophie Karmasin vergangenes Jahr bekanntgab, melden sich bei der vom Familienministerium betriebenen Deradikalisierungshotline größtenteils weibliche Anrufer. Auch der Verein Frauen ohne Grenzen setzt auf den positiven Einfluss von Frauen - speziell von Müttern - im Einsatz gegen Radikalisierung und Extremismus.

Mütter gegen Extremismus

Damit ihre Töchter und Söhne der Propaganda des IS erst gar nicht auf den Leim gehen, schult der von der Sozialwissenschaftlerin Edit Schlaffer 2012 ins Leben gerufene Verein Mütter gegen Extremismus. Die Kursteilnehmerinnen sind überwiegend muslimische Frauen, die befürchten, dass ihre Kinder sich radikalisieren könnten oder es bereits getan haben.

In speziellen Kursen lernen sie, erste Anzeichen von Radikalisierung zu erkennen, etwa wenn ihre Kinder plötzlich Musik als verboten erachten und „richtige Muslime“ über „Ungläubige“ erheben. Die Mütter lernen, wie sie ihre Jugendlichen wieder aus der Welt der Extreme herausbekommen und in die Familie integrieren können, und wo sie für diesen steinigen Weg professionelle Hilfe finden können.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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