Schule: Muslime müssen Schweinefleisch verkosten

Eine Muslimin will eine Wiener Wirtschaftsschule besuchen. Vor der Aufnahme müssen ihre Eltern unterschreiben, dass ihre Tochter im Kochunterricht Schweinefleisch und Alkohol verkosten muss. Diskriminierung? Nein, sagt der Stadtschulrat.

Wer in Österreich eine Tourismus- oder Wirtschaftsschule besuchen will, sollte Interesse fürs Kochen, Servieren und am besten kein Problem mit Schweinefleisch und Alkohol haben. Denn laut Lehrplan ist das Zubereiten von Speisen aus der österreichischen Küche, dazu zählt auch Schweinefleisch, eine Voraussetzung für den Bildungserfolg. Und zubereiten bedeutet auch abschmecken. Auch mit Alkohol verfeinerte Saucen kommen in Österreich mitunter auf den Tisch. Doch was, wenn Schüler aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch essen, keinen Alkohol trinken wollen?

Als der Vater der Muslimin Aliye (Name von der Red. geändert) vergangenes Jahr an einer Wirtschaftsschule im 17. Bezirk anmelden möchte, wird ihm ein Schreiben vorgelegt: Er soll ein Informationsformular unterzeichnen, in dem steht, dass seine Tochter im Kochunterricht alle Fleischarten abschmecken muss, auch Schweinefleisch. Die Textpassage, dass Schüler das Essen nach dem Abschmecken ausspucken können, beruhigt ihn keineswegs. Er unterschreibt nicht. Seine Tochter wird nicht aufgenommen, wie er im Gespräch mit religion.ORF.at erzählte. Anders verläuft es bei befreundeten muslimischen Eltern, die das Formular für ihre Tochter unterschrieben haben. Deren Kind wurde aufgenommen.

Ausweichen in islamische Schule

Viele muslimische Jugendliche hätten den Wunsch, eine Tourismus- oder Wirtschaftsschule zu besuchen, sagte die Direktorin der Islamischen Fachschule für soziale Berufe, Zeynep Elibol, gegenüber religion.ORF.at. Doch die Tatsache, dass sie im Unterricht Lebensmittel konsumieren müssten, die nicht halal (nach islamischen Ritus erlaubt) sind, schrecke sie ab.

Es kommt auch immer wieder vor, dass Jugendliche, die eigentlich an eine solche Schule wollten, sich für die islamische Fachschule entscheiden, die allerdings keine Ausbildung in Küche und Service anbietet.

Gilt auch für Juden und Hindus

Die Regelung, dass jeder Schüler alle Fleischsorten verkosten muss, gilt auch für Angehörige des Judentums und Hinduismus sowie für Vegetarier. Doch da Muslime zahlenmäßig eine größere religiöse Gruppe darstellen, sind sie besonders häufig betroffen. Der Schuldirektorin ist das Problem schon lange bewusst, aber eine schnelle Lösung, bei der im Lehrplan auf religiöse Essensvorschriften Rücksicht genommen wird, sieht sie derzeit nicht kommen.

Doch es wird nicht immer alles so heiß gegessen, wie gekocht wird: Einige Schulen kommen muslimischen Schülern entgegen, obwohl die Direktoren verpflichtet sind, sich an den Lehrplan zu halten. Aliye zum Beispiel meldete sich nach der Absage im 17. Bezirk an einer Wirtschaftsschule im 19. Bezirk an. Ihrem Vater sei dort kein Formular vorgelegt worden, und im Kochunterricht habe die Muslimin zwar Schweinfleisch zubereiten, aber nicht abschmecken müssen. Doch auch in der Schule, die die damals 15-Jährige nicht aufnehmen wollte, scheint die alltägliche Praxis eine andere zu sein als das behördliche Formular vermuten lässt. Der Vater einer muslimischen Schülerin sagte gegenüber religion.ORF.at, dass seine Tochter in dieser Schule nie Schweinefleisch abschmecken musste.

Stadtschulrat sieht keine Alternative

Offenbar kommt es in dieser Frage auf das Wohlwollen der Schule und der betroffenen Lehrer an. Im Sinne des Wiener Stadtschulrates ist das allerdings nicht. Es sei der Schulbehörde wichtig, dass Eltern im Vorfeld gut darüber informiert werden, was auf sie zukommt, falls sie ihr Kind in einer solchen Schule anmelden, sagte Sprecherin Michaela Zlamal gegenüber religion.ORF.at. Sie verwies zudem darauf, dass die Informationsschreiben, die Eltern erhalten, auf einem Rundschreiben des Bildungsministeriums aus dem Jahr 2012 basieren.

Von den Schulen erwarte man, dass Lehrpläne eingehalten werden. „Sollte es in der Praxis vereinzelt anders gehandhabt werden“, bestehe die Gefahr, dass die Schüler spätestens bei der Prüfung, bei einem Praktikum oder schließlich im Beruf Probleme bekommen, wenn sie bestimmte Speisen nicht wie vorgesehen zubereiten können. Wer nur Fleisch isst, das halal oder koscher ist, aber auch wer gar kein Fleisch oder tierische Produkte isst wie Vegetarier oder Veganer, hat laut Lehrplan kein leichtes Spiel. Darin sieht der Stadtschulrat keine Diskriminierung. Schließlich handle es sich bei Tourismus- und Wirtschaftsschulen nicht um Pflichtschulen.

Richard Potz

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Religionsrechtexperte Richard Potz

Einschränkung der Religionsfreiheit?

Die Frage, ob bei jemandem, der wegen der Weigerung, Schweinefleisch zu kosten, eine Schule nicht besuchen könne, rechtlich Diskriminierung vorliege, sei schwer zu beantworten, sagte der Religionsrechtexperte Richard Potz zu religion.ORF.at. Es handelt sich für ihn um eine Gratwanderung.

„Wie oft lassen sich gute Gründe für beide Seiten finden“, sagte Potz. Einerseits „sollte es möglich sein, Kochen zu lernen, ohne Schweinefleisch und Alkohol zu konsumieren“, andererseits dürfe eine Schule, „die Leute speziell für die österreichische Küche ausbilden will“ - Schweinefleisch inklusive - „dies auch tun.“

Besonders heikel ist es laut Potz allerdings bei Wirtschaftsschulen, bei der die Kochausbildung im Gegensatz zu einer dezidierten Lehrausbildung zum Koch nicht im Mittelpunkt steht. Er plädiert dafür, hier auf religiöse Speisevorschriften Rücksicht zu nehmen. Bei der Verpflegung von Muslimen in Schulkantinen wird dies zum Beispiel bereits getan.

Carla Amina Baghajati

kathbild/Franz Josef Rupprecht

IGGÖ-Sprecherin Carla Amina Baghajati

„Vergebene Chance für Wirtschaft“

Die Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), Carla Amina Baghajati, kündigte gegenüber religion.ORF.at an, dass die offizielle Vertretung der Muslime sich dieses Themas annehmen werde. Man wolle diesbezüglich in Dialog mit dem Bund treten.

„Viele Muslime interessieren sich für Berufe im Bereich Tourismus, Hauswirtschaft und Gastronomie“, doch durch die Vorgaben würden sie gebremst, so Baghajati. Das sei „bedauerlich“ und eine „vergebene Chance“ für die Wirtschaft.

Muslim: Alkohol ohne Rausch ist ok

Beim Fachverband Gastronomie der Wirtschaftskammer Österreich steht man hinter dem österreichischen Lehrplan. In einer schriftlichen Stellungnahme heißt es, man müsse sich in der Gastronomie an den Wünschen der Gäste orientieren, was Schweinefleisch und Alkohol miteinschließt.

Pragmatisch geht ein muslimischer Wiener Gastronom, der lieber anonym bleiben möchte, mit religiösen Speisevorschriften um. Auf der Karte seines Restaurants findet sich neben zahlreichen alkoholischen Getränken etwa das Gericht „Rinderfiletspitzen in Rotweinsauce“, das auch er essen würde. Denn wenn man Alkohol verkoche, berausche man sich nicht. Und den Rauschzustand zu verhindern, darum gehe es, seiner Auslegung nach, im Koran. Dass seine Sichtweise nicht mehrheitstauglich ist, sei ihm bewusst. Puren Alkohol trinke er allerdings nicht und Schweinefleisch sucht man auf seiner Speisekarte vergeblich.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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