Benedikt XVI.: Zu viel Bürokratie in deutscher Kirche

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. sieht einem Medienbericht zufolge die Entwicklung in der katholischen Kirche in Deutschland äußerst kritisch.

Es gebe einen „Überhang an ungeistlicher Bürokratie“, sagt der 89-jährige Joseph Ratzinger in dem Interviewbuch „Letzte Gespräche“ mit dem Journalisten Peter Seewald, das am Freitag erscheint. Außerdem bescheinige er der katholischen Kirche in seinem Heimatland eine „Theoretisierung des Glaubens“ und einen „Mangel an einer lebendigen Dynamik“.

„In Deutschland haben wir diesen etablierten und hoch bezahlten Katholizismus, vielfach mit angestellten Katholiken, die dann der Kirche in einer Gewerkschaftsmentalität gegenübertreten.“ Auch die deutsche Universitätstheologie sei in einer Krise, brauche neue Köpfe und eine „neue Intensität des Glaubens“.

Bedenken gegen Kirchensteuer

Aus dem an diesem Freitag erscheinenden Buch zitierten am Donnerstag bereits die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Bild“-Zeitung. Der deutsche Ex-Papst äußert darin auch seine Bedenken gegen das System der Kirchensteuern in Deutschland: „Die automatische Exkommunikation derer, die sie nicht zahlen, ist meiner Meinung nach nicht haltbar.“

Benedikt XVI.

APA/AFP/Vincenzo Pinto

Benedikt XVI.

In dem Buch bestätigt der 2013 aus Altersgründen zurückgetretene Papst auch Gerüchte über eine homosexuelle Seilschaft im Vatikan. Eine solche habe es während seines Pontifikats gegeben, und er habe sie zerschlagen lassen. „Ob sich wieder was bildet, weiß ich nicht“, fügte Benedikt hinzu. Zu den Skandalen um pädophile Priester und korrupte Machenschaften im Vatikan, sagte Benedikt, es sei ihm nicht gelungen, die Kirche so vom „Schmutz“ zu reinigen, wie er es sich gewünscht habe. Immerhin habe er jedoch Hunderte pädophile Priester entlassen.

An Williamson-Affäre „nicht schuld“

An der Affäre um den Holocaust-Leugner Richard Williamson, dessen Exkommunikation er 2009 aufgehoben hatte, sei er nicht schuld gewesen, beteuerte Joseph Ratzinger. Die vatikanische Kommission „Ecclesia Dei“ habe ihn nicht informiert. „Ich sehe die Schuld nur bei dieser Kommission.“

Ausführlich äußerte sich Benedikt zu Fragen nach seinem überraschenden Rücktritt als Papst im Jahr 2013. Der Amtsverzicht sei keine Folge von Intrigen und Skandalen oder der „Vatileaks“-Affäre gewesen. „Zurücktreten darf man nicht, wenn die Dinge schiefliegen, sondern wenn sie in Frieden sind. Ich konnte zurücktreten, weil in dieser Situation wieder Ruhe eingekehrt war." Er ergänzte: "Man darf nie weggehen, wenn es ein Davonlaufen ist. (...) Man darf nur weggehen, wenn niemand es verlangt.“ Er habe seine freie Entscheidung noch nicht eine Minute bereut: „Ich sehe jeden Tag, dass es richtig war.“

Franziskus: „Eine neue Frische“

Mit der Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum neuen Papst habe er nicht gerechnet, räumte Benedikt ein. Zwischen ihnen gebe es keinerlei Bruch: „Es gibt vielleicht neue Akzente, natürlich, aber keine Gegensätze.“ Eine große Stärke von Franziskus sei die persönliche Zuwendung zu den Menschen: „Eine neue Frische in der Kirche, eine neue Fröhlichkeit, ein neues Charisma, das die Menschen anspricht, das ist schon etwas Schönes.“

Er selbst werde nicht mehr zur Feder greifen, kein Buch mehr schreiben, kündigte Ratzinger an. Im Gegenteil: Er sei sogar im Begriff, einige persönliche „Besinnungen“, die er in gewissen Abständen aufgeschrieben habe, wegzuwerfen.

Buch „Zeichen für gute Beziehung mit Franziskus“

Zur Veröffentlichung des Interview-Bandes mit Papst Benedikt XVI. schreibt die italienische Zeitung „Corriere della Sera" (Donnerstag-Ausgabe): "Dieses Buch ist eine überzeugende Bestätigung für die gute Beziehung zwischen dem emeritierten Papst Benedikt und seinem Nachfolger Franziskus: Wenn es auch nur minimale Uneinigkeiten zwischen den beiden Päpsten gäbe, würde weder der zurückgetretene Papst, der nächstes Jahr 90 wird, solch eine Publikation vorschlagen - noch würde der derzeitige Pontifex, der im Dezember 80 wird, eine solche autorisieren.“

religion.ORF.at/APA/AFP/dpa

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