Paralympics: Seelsorger kritisiert Sterbehilfedebatte

Der katholische Seelsorger der deutschen Paralympics-Mannschaft, Georg Pettinger, hat die von der belgischen Sportlerin Marieke Vervoort angestoßene Debatte über die Sterbehilfe als zeitlich unpassend kritisiert.

„Gerade bei den Paralympischen Spielen wird doch das Leben gefeiert - das Leben mit Behinderung und das Kämpfen mit Grenzen, die auch jeder andere Mensch hat“, sagte Pettinger im Interview der deutschen Katholischen Nachrichtenagentur KNA in Rio de Janeiro. Die Weltspiele der Menschen mit Behinderung gehen am Sonntag in der brasilianischen Metropole zu Ende.

Marieke Vervoort mit Silbermedaille

APA/AFP/AL Tielmans FOR OIS/IOC

Marieke Vervoort erlangte die Silbermedaille im 400-m-T52-Finale

„Unglücklicher“ Zeitpunkt für „persönliches Anliegen“

Es handle sich seiner Wahrnehmung nach mehr um ein persönliches Anliegen der Athletin. „Dieses Anliegen, also die Sterbehilfe, bei einer Veranstaltung für Menschen mit Behinderung anzusprechen, halte ich für unglücklich“, erklärte Pettinger, der die deutsche Gemeinde in Sao Paulo betreut.

Vervoort, die wegen einer chronischen Muskelerkrankung im Rollstuhl sitzt, hatte mit ihrer Äußerung zur Sterbehilfe für Schlagzeilen in Europa gesorgt. Sinngemäß sagte sie, dass sie sich vorstellen könne, bei weiter fortschreitender Krankheit aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.

Vervoort denkt noch nicht an sofortige Sterbehilfe

Die Paralympics-Silbermedaillengewinnerin Vervoort wies Berichte zurück, wonach sie unmittelbar nach den Spielen Sterbehilfe in Anspruch nehmen wolle. „Ich habe alle Papiere griffbereit, aber ich genieße nach wie vor jeden kleinen Moment“, sagte die 37-jährige Belgierin am Sonntag vor Journalisten in Rio de Janeiro.

„Sollte der Zeitpunkt gekommen sein, an dem ich mehr schlechte als gute Tage habe, dann habe ich meine Papiere - aber die Zeit ist noch nicht gekommen“, sagte die Sportlerin. Vervoort leidet an einer degenerativen Muskelerkrankung, die ständige Schmerzen hervorruft und sie kaum schlafen lässt. Mit der Silbermedaille im Rollstuhlrennen über 400 m am Samstag endete die Sportkarriere der mehrfachen Medaillensiegerin, die Paralympics 2016 waren ihr letzter Wettbewerb, wie sie nun bestätigte.

Leben ohne Sport genießen

Ihre Herausforderung sei es nun, das Leben jenseits des geliebten Sports schätzen zu lernen. „Ich werde jeden kleinen Moment in meinem Leben genießen, und ich werde mehr von meiner Kraft meiner Familie und meinen Freunden widmen, was ich bisher nicht konnte, weil ich jeden Tag trainieren musste“, sagte sie weiter.

Interviews im August, in denen Vervoort den Wunsch nach Sterbehilfe erstmals angesprochen und den Sport als ihren einzigen Grund zum Leben bezeichnet hatte, hatten für einige Spekulationen gesorgt. Es seien einige falsche Sachen über sie berichtet worden, sagte sie nun. Diese wolle sie nun klarstellen.

„Ich habe diese Papiere“

Die Sportlerin ist bereits seit 2008 im Besitz der erforderlichen Papiere. Die Möglichkeit der legalen Sterbehilfe in Belgien habe ihr den Mut gegeben, so lange es geht weiterzuleben. „Sie gibt den Leuten Ruhe. Ohne die Papiere hätte ich, glaube ich, schon längst Suizid begangen, denn es ist sehr hart, mit so vielen Schmerzen und der Ungewissheit zu leben“.

Ihr derzeitiges Leben beschrieb Vervoort als ständigen Kampf. Ihre Sehkraft sei nur noch bei 20 Prozent, immer wieder leide sie zudem unter epileptischen Anfällen. Sie frage sich ständig, was als Nächstes komme. Aber sie wisse, „wenn es für mich genug ist, dann habe ich diese Papiere“.

religion.ORF.at/KAP/KNA/APA

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