Interview mit Buddhisten-Chef: Religion ohne Gott

Ist der Buddhismus Religion oder Philosophie? Glauben Buddhisten an Dämonen, leugnen aber Gott? Jamie Cresswell, Präsident der Europäischen Buddhistischen Union (EBU) stellt sich im Gespräch mit religion.ORF.at Fragen zur buddhistischen Praxis in Europa.

Die Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft ist vom 22. – 25.9.2016 Gastgeberin der jährlichen Generalversammlung der Europäischen Buddhistischen Union (EBU). Die EBU ist eine Dachorganisation von nationalen buddhistischen Verbänden und buddhistischen Organisationen aus 16 europäischen Ländern. Seit 2008 hat sich auch Sitz und Stimme in der Konferenz der Nichtregierungsorganisationen im Europarat in Straßburg. Religion.ORF.at hat am Rande der Generalversammlung mit dem EBU Präsidenten Jamie Cresswell über den Buddhismus in Europa gesprochen.

Jamie Cresswell

ORF/Marcus Marschalek

Jamie Cresswell, Präsident der Europäischen Buddhistischen Union (EBU)

Herr Präsident Jamie Cresswell, gibt es so etwas wie einen “Europäischen Buddhismus”?

Von Beginn an war es für Buddhisten wichtig in die Welt hinauszugehen, zu praktizieren, andere Menschen zu treffen. Es ging darum, Wege zu finden, Hilfsbedürftigen beizustehen, die Welt zum Besseren zu verändern. Der Buddhismus hat sich in den verschiedenen Schulen weiterentwickelt und verschiedene Traditionen ausgebildet. Die Bandbreite des Buddhismus ist daher heute sehr groß. Nun verbreitet sich der Buddhismus auch immer mehr in Europa und er entwickelt sich auch hier auf spezielle Art und Weise. Von einem „Europäischen Buddhismus“ würde ich aber nicht sprechen. Auch glaube ich nicht, dass Europäer sich Teile aus dem Buddhismus herauspicken und dann wie ein Puzzle zu einem “Europäischen Buddhismus” zusammenzusetzen. Es geht vielmehr darum, eine passende Schule oder Richtung zu finden, in der man sich wohl und glücklich fühlt.

Sind Buddhisten die glücklicheren Menschen?

Der Buddhismus hat keineswegs ein Monopol auf das Glück. Was der Buddhismus aber meiner Meinung nach anbietet, ist eine Methode mit der Welt und ihren Schwierigkeiten umzugehen. Wenn das eigenen Seelenleben voller Freude ist, dann können einen Schwierigkeiten und Leiden nicht mehr runterziehen.

Das klingt weniger nach Religion und mehr nach Philosophie?

Als Buddha vor etwa 2600 Jahren in Indien lebte, gab es in den indischen Sprachen kein Wort für Religion, lediglich für lehren. Buddhismus ist Lehre, eine Lehre der Befreiung. Buddhismus ermöglicht, sich von seiner eigenen Unzufriedenheit frei zu machen.

Lehre ohne Gott

Es ist aber eine Lehre ohne Gott. Buddha hat nicht über einen außenstehenden Schöpfergott gesprochen. Das war unwichtig für das, was er versucht hat. Er wollte die individuellen Lebenswirklichkeiten der Leute verstehen und ihnen helfen ihr Leiden zu verarbeiten. Der Ursprung des Wortes „Religion“ bedeutet „unterstützen“. Ich denke Buddhismus bietet Arten und Wege der Unterstützung einzelner Personen. Der Buddhismus hat eine sehr ausgeprägte Philosophie, aber er ist nicht nur eine Philosophie, denn er wird auch praktiziert, praktiziert durch verschiedene Arten der Meditation. Wenn man so will, ist er eine Philosophie mit Praxis. Es ist also mehr als nur eine Philosophie, die nur über die Welt nachdenkt, deshalb finde ich, ist der Buddhismus eine Religion.

Eine Religion ohne Gott aber mit Geistern und Dämonen?

Ja, im Buddhismus gibt es keinen Schöpfergott. Das ist für Menschen in der Tradition von monotheistischer Religionen schwer zu begreifen und zu verstehen. Dämonen wiederum sind Aspekte der Psyche mit denen man kämpft und hadert. Es sind unsere Gedanken, die uns beschäftigen und die manchmal als „Dämonen“ zum Vorschein kommen. Es ist wichtig, sich diesen Angelegenheiten im eigenen Geist zu stellen und zu versuchen sie zu verstehen.

Jamie Cresswell

ORF/Marcus Marschalek

Jamie Cresswell

Was leistet oder könnte der Buddhismus für die europäische Gesellschaft leisten?

Die fundamentale Praxis im Buddhismus ist seinen eigenen Verstand zu entdecken, was wiederum bedeutet, auf sein eigenes Leben zu blicken. Die Methode seinen eigenen Verstand zu entdecken ist etwas sehr wichtiges in der westlichen Gesellschaft. In Europa kann alles manchmal sehr verwirrend und materialistisch sein. Buddhismus kann einem helfen sich zu enthalten und mehr auf sich selbst zu konzentrieren.

In Europa suchen Menschen nach spiritueller Praxis. Aber viele wollen dabei nicht Teil einer großen Organisation werden. Dafür gibt es viele Gründe. Als Buddhist ist es möglich auch ohne Angehöriger einer Organisation seine spirituellen Übungen zu machen. Zuerst beschäftigt man sich mit sich selbst, daraus ergibt sich, dass man in die Gesellschaft hinaus geht und dort versucht sich sozial zu engagieren und Dinge zu verändern, weil man sich selber innerlich verändert hat. Das ist in meiner Wahrnehmung ein Unterschied dazu, wie Religionen in Europa in der Vergangenheit gelehrt wurden. Viele Menschen, die heute nach Spiritualität suchen, entdecken dabei oft den Buddhismus.

Danke für das Gespräch.

Sebastian Holler, Philipp Fessler, für religion.ORF.at

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