Wahn und Mystizismus in Kirche am Steinhof

Ein „multisensorisches Eintauchen“ in den Sakralraum der Wiener Otto-Wagner-Kirche bietet die Ausstellung „Madness & Mysticism“, die „die spirituelle Dimension von psychischer Erkrankung“ erschließen will.

Die Jugendstilkirche von Otto Wagner auf den Steinhofgründen als „eines von ganz wenigen Sakralgebäuden, die als Kirche und Zufluchtsort ausschließlich für die Patienten eines psychiatrischen Krankenhauses errichtet wurden“, wählte der Verein Kunstglaube als Rahmen dafür. Die Jugendstil-Kirche „Zum Heiligen Leopold“, auch Kirche am Steinhof genannt, entstand in Zusammenhang mit der dort 1907 fertiggestellten psychiatrischen Anstalt. Patienten des Spitals und Pflegezentrums feiern hier Gottesdienste.

Laurie Anderson, At the Shrinks (Fake Hologram), 1977

Kunstglaube/LIMA

Laurie Anderson: At the Shrink’s (1977)

Der Schau „Madness & Mysticism“ geht es darum, „das Verhältnis der sprachlichen Begriffe, die zur Beschreibung von psychotischen Zuständen einerseits bzw. mystischem Erleben andererseits verwendet werden, zu untersuchen“. Gezeigt wird Kunst u. a. von Joseph Beuys, Laurie Anderson, August Walla und Andrej Tarkowski.

Ausstellung als Pilgerreise

„Madness & Mysticism“ ist laut Veranstalter als Pilgerreise durch die Kirche konzipiert. Am Beginn steht die Einladung zur Betrachtung sowohl eines historischen als auch eines zeitgenössischen Verständnisses von „Wahnsinn“. Die Kunstwerke befinden sich an verschiedenen Stellen im gesamten liturgischen Raum verteilt und treten in einen „Dialog mit Theologie und Liturgie“.

Ausstellungshinweis

„Madness & Mysticism“, Otto-Wagner-Kirche, Wien, 30. September bis 27. November, samstags 15.00 bis 18.00 Uhr, sonntags 12.00 bis 16.00 Uhr

Die „Reise“ durch die Ausstellung beginnt mit Videoinstallationen in der düsteren Krypta und führt die Besucher anschließend hinauf in die lichtdurchflutete Kirche, die „durch eine Installation völlig verändert erscheint“. Im Betrachten von Installationen, dem Anhören von Kompositionen und der Rezeption von Filmen und Videos soll den Betrachtenden ein Gefühl dafür vermittelt werden, was es heißt, an einer Psychose zu leiden.

Psychotische Halluzinationen vermitteln

So arbeitet zu Beispiel der Film „Mindstorm“ des Künstlers Janssen aus dem Jahr 2007. Basierend auf fünf Jahren Forschung mit Fallstudien tatsächlicher Patienten entwickelt und simuliert der Film in sechseinhalb Minuten eine psychotische Episode. „Der Besucher bekommt den Eindruck, sich alleine durch ein Haus zu bewegen und währenddessen akustische und visuelle Halluzinationen zu erleben“, lautet die Beschreibung in einem Folder zur Ausstellung.

Virgilius Moldovan: Double Target, 2002, Ausstellung Madness & Mysticism in der Kirche am Steinhof

Kunstglaube

„Double Target“ von Virgilius Moldovan (2000)

Für Menschen, die noch nie ein psychotisches Erlebnis hatten, könne dieser Film „zu besserem Verständnis für die verzerrte Realitätswahrnehmung während einer Psychose sowie größerem Mitgefühl für Menschen, die unter Halluzinationen leiden, führen“. Wer sich eine solche Tour de force nicht zutraut, kann die Kopfhörer weglassen.

Unheimliche Auslotung von Wahrnehmung

In einem kurzen Video mit dem Namen „At The Shrink’s“ („Beim Seelenklempner“) von Laurie Anderson aus dem Jahr 1977 wird der schmale Grat zwischen „normalen“ und psychotischen Wahrnehmungen ausgelotet: Für eine scheinbar halluzinatorische Erscheinung findet sich eine plausible Erklärung. Gesehen werde die Episode „sowohl im tatsächlichen als auch im übertragenen Sinn aus völlig verschiedenen Blickwinkeln“, heißt es in der Beschreibung.

Andrei Tarkovsky, Nostalghia (Final Scene), 1983 in der Ausstellung Madness & Mysticism in der Kirche am Steinhof, Wien, 2016

Kunstglaube/Sovinfilm

Ausschnitt aus Andrej Tarkowskis „Nostalghia“, 1983

Viele der Exponate sind recht unheimlich, was die klaustrophobisch-düstere Atmosphäre der Kirchengewölbe noch verstärkt. Die Skulptur „Double Target“ von Virgilius Moldovan etwa zeigt zwei Arme, die „aggressiv in die Münder zweier Männer fassen“. Die Geste könne „entweder als gewalttätig oder als disziplinierend aufgefasst werden, als ernst oder spielerisch“, lautet die Einordnung des Ausstellungstextes. Die Besucher sind „eingeladen, über die Bandbreite der möglichen Reaktionen auf Einschränkung und Behinderung nachzudenken“.

religion.ORF.at

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